BVerfG: Blankettstrafvorschrift im Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch verfassungsgemäß

§ 58 Abs. 3 Nr. 2 und § 62 Abs. 1 Nr. 1 LFGB sind mit den verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsanforderungen nach Art. 103 Abs. 2, 104 Abs. 1 Satz 1 und 80 Abs. 1 Satz 2 GG vereinbar. Dies hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 11.03.2020 entschieden. Die Blankettstrafnorm mit Rückverweisungs- und Entsprechungsklausel trage der kompetenzsichernden Funktion des Bestimmtheitsgebotes noch hinreichend Rechnung und lasse noch hinreichend klar erkennen, welche Verstöße gegen unionsrechtliche Vorschriften strafbewehrt seien (Az.: 2 BvL 5/17).

LG legte BVerfG LFGB-Vorschriften zur Überprüfung vor

Dem Angeklagten des Ausgangsverfahrens wird unter anderem ein Verstoß gegen § 58 Abs. 3 Nr. 2 LFGB zur Last gelegt. Das Landgericht setzte die Hauptverhandlung aus und legte dem BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG die Frage zur Entscheidung vor, ob § 58 Abs. 3 Nr. 2 sowie § 62 Abs. 1 Nr. 1 LFGB mit Art. 103 Abs. 2, Art. 104 Abs. 1 Satz 1 und Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG unvereinbar und daher nichtig sind.

BVerfG: § 58 Abs. 3 Nr. 2 LFGB noch bestimmt genug

Laut BVerfG ist § 58 Abs. 3 Nr. 2 LFGB – soweit Prüfungsgegenstand – mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Bestimmtheitsgebotes aus Art. 103 Abs. 2 GG (noch) vereinbar. § 58 Abs. 3 Nr. 2 LFGB sei eine Blankettstrafnorm, die die Strafandrohung nach Art und Maß der Strafe regle und das verbotene Verhalten in seinem Kern als Zuwiderhandlung gegen unmittelbar geltende Vorschriften des Unionsrechts beschreibe. Dabei würden die strafbewehrten Verbotsvorschriften des Unionsrechts aber nicht lediglich abstrakt skizziert. Vielmehr würden sie aufgrund der Entsprechungsklausel über § 58 Abs. 1 Nr. 18 LFGB und die in dieser Vorschrift genannten Verordnungsermächtigungen in der nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 LFGB zu erlassenden Rechtsverordnung als solche zu bezeichnende Verhaltensvorschriften konkretisiert, die der Verordnungsgeber in den in § 58 Abs. 1 Nr. 18 LFGB genannten Fällen selbst regeln dürfte.

Kompetenzsichernde Funktion des Bestimmtheitsgebotes gewahrt

Diese Regelungstechnik trage der kompetenzsichernden Funktion des Bestimmtheitsgebotes, soweit die Vorschrift des § 58 Abs. 3 Nr. 2 über § 58 Abs. 1 Nr. 18 auf § 13 Abs. 1 Nr. 1 und 2 LFGB verweise, noch hinreichend Rechnung. Die Voraussetzungen der Strafbarkeit seien auf gesetzlicher Ebene noch hinreichend deutlich beschrieben. Auf der Ebene eines formellen Gesetzes würden das geschützte Rechtsgut und die Tathandlung umschrieben. Die Verlagerung der Konkretisierungskompetenz in dem von § 13 Abs. 1 Nr. 1 und 2 LFGB bestimmten Ausmaß sei nicht zu beanstanden. Durch die Delegation der spezifizierenden Regelungssetzung auf den Verordnungsgeber solle ohne zeitaufwendiges Gesetzgebungsverfahren eine beschleunigte, kurzfristige Anpassung des Rechts an sich ändernde Verhältnisse erfolgen können, so das BVerfG weiter. Die Regelung wesentlicher Fragen durch den Gesetzgeber werde auch im vorliegenden Fall nicht in Frage gestellt.

Delegation auf Verordnungsgeber nur zu Konkretisierung technischer Details

Bei der industriellen Herstellung oder Behandlung von Lebensmitteln handele es sich in der Regel um einen hochtechnisierten Prozess. Dessen Detailregelung erfordere einen spezifisch-technischen Sachverstand und die zeitnahe Berücksichtigung des wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritts. Dem werde dadurch Rechnung getragen, dass es dem Verordnungsgeber obliege, die gegenständlichen Stoffe, Gegenstände oder Verfahren näher zu konkretisieren, die vorgeschriebenen Verfahren zu bestimmen oder die Anforderungen zu benennen, die an das Herstellen, das Behandeln oder das Inverkehrbringen von ihm zu bestimmender Lebensmittel gestellt werden. Damit habe der Verordnungsgeber zwar eine weitreichende Regelungskompetenz mit Blick auf einzelne Tatbestandsmerkmale. Inhaltlich gehe es dabei jedoch um eine von technischem Sachverstand geprägte, kurzfristige Umsetzung der für die Bewertung von Gefahrenpotentialen beim Herstellen, Behandeln und Inverkehrbringen von Lebensmitteln gewonnenen Erkenntnisse in konkrete Handlungsanweisungen. Dem Verordnungsgeber obliege danach lediglich die Konkretisierung technischer Details.

Kein substantieller Ausgestaltungsspielraum des Verordnungsgebers

Ein vorbehaltsloses Bezeichnungsrecht stehe dem nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 LFGB ermächtigten Verordnungsgeber nicht zu. Ihm verbleibe bei der Ausübung der ihm danach eingeräumten Befugnisse auch kein substantieller Ausgestaltungsspielraum. Vor dem Hintergrund der vielfältigen Überlagerung des nationalen Lebensmittelrechts durch das Lebensmittelrecht der Europäischen Union könne das nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 und 2 LFGB ergangene nationale Verordnungsrecht in seinem Anwendungsbereich zurückgedrängt werden. Der nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 LFGB ermächtigte Verordnungsgeber sei daher nicht berufen, die nähere Konkretisierung der Verhaltensgebote und Verbote im Hinblick auf einzelne Tatbestandsmerkmale des § 13 Abs. 1 Nr. 1 und 2 LFGB, namentlich die Bestimmung der verbotenen Gegenstände, Stoffe oder Verfahren, die Bestimmung der gebotenen Verfahren oder die Bestimmung der konkreten Anforderungen an das Herstellen, das Behandeln oder das Inverkehrbringen von zu bestimmenden Lebensmitteln, selbst vorzunehmen, sondern allein dazu, im Sinne einer (hypothetischen) Konkretisierung durch eine entsprechende Bezeichnung zu bestimmen, welche Regelungen er selbst hätte erlassen können, gäbe es die entsprechenden Bestimmungen des Unionsrechts nicht.

Gesetzgeber trifft Grundentscheidung über Strafbarkeit

Die Grundentscheidung über die Frage der Strafbarkeit treffe unverändert der Gesetzgeber, unterstreicht das BVerfG. Er lege durch die über § 58 Abs. 1 Nr. 18 auf § 13 Abs. 1 Nr. 1 und 2 LFGB verweisende Entsprechungsklausel hinreichend fest, dass Verstöße gegen unionsrechtliche Verhaltensgebote und Verbote im Zusammenhang mit der Verwendung bestimmter Stoffe, Gegenstände oder Verfahren bei der Herstellung oder Behandlung von Lebensmitteln oder den Anforderungen an das Herstellen, das Behandeln oder das Inverkehrbringen bestimmter Lebensmittel zu sanktionieren seien. Auch das einer Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen immanente Risiko eines später nicht tätig werdenden Verordnungsgebers bestehe nicht. Die Entsprechungsklausel eröffne einen zwingend auszufüllenden Rahmen, denn der Verordnungsgeber sei unionsrechtlich verpflichtet, seinem Bezeichnungsauftrag nachzukommen.

Strafbares Verhalten auch für sachkundige Normadressaten ausreichend erkennbar

Jedenfalls soweit die Vorschrift des § 58 Abs. 3 Nr. 2 über § 58 Abs. 1 Nr. 18 auf § 13 Abs. 1 Nr. 1 und 2 LFGB verweise, genüge sie auch den Anforderungen der freiheitssichernden Komponente des Bestimmtheitsgebotes, erläutert das BVerfG weiter. Bei der Frage, welche Anforderungen an die Erkennbarkeit des strafbaren Verhaltens anhand des formal-gesetzlichen Regelungsgehaltes zu stellen seien, sei hier das normative Leitbild eines sach- und fachkundigen Normadressaten zugrunde zu legen. Der gesetzliche Regelungsgehalt erschließe sich den – im Bereich der Lebensmittelproduktion und des Lebensmittelhandels tätigen und daher typischerweise sachkundigen – Normadressaten durch das Zusammenlesen der Einzelnormen aus der Kette der § 58 Abs. 3 Nr. 2, § 58 Abs. 1 Nr. 18 und § 13 Abs. 1 Nr. 1 und 2 LFGB. Der Aufwand bei der Normlektüre und der gedanklichen Umsetzung der Verweisungen sei damit zwar deutlich erhöht, führe vorliegend aber noch nicht dazu, dass der gesetzliche Regelungsgehalt nicht mehr erkennbar wäre. Inhaltlich zeige der Regelungsgehalt der § 58 Abs. 3 Nr. 2, § 58 Abs. 1 Nr. 18 und § 13 Abs. 1 Nr. 1 und 2 LFGB dem spezialisierten Normadressaten die wesentlichen Voraussetzungen strafbaren Verhaltens auf.

Verordnungsermächtigung in § 62 Abs. 1 Nr. 1 LFGB ebenfalls hinreichend bestimmt

Dem BVerfG zufolge ist auch die Vorschrift des § 62 Abs. 1 Nr. 1 LFGB – soweit Prüfungsgegenstand – mit den aus Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG folgenden verfassungsrechtlichen Vorgaben vereinbar. Mit den in die Betrachtung einzubeziehenden Vorgaben des § 58 Abs. 3 Nr. 2 LFGB und dessen Verweisung über § 58 Abs. 1 Nr. 18 auf § 13 Abs. 1 Nr. 1 und 2 LFGB sei der Inhalt der Ermächtigung des § 62 Abs. 1 Nr. 1 LFGB ausreichend detailliert vorgegeben und hinreichend bestimmt. Wegen der in § 13 Abs. 1 Nr. 1 und 2 LFGB enthaltenen Bezugnahme auf die in § 1 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 beziehungsweise Abs. 3 LFGB vorgegebene Zwecksetzung sei auch festgelegt, dass die Bezeichnung der Tatbestände – anders als im Fall des § 10 Abs. 3 RiFlEtikettG a. F. – nicht bloß der erforderlichen Durchsetzung (irgendwelcher) Rechtsakte der Europäischen Union diene, sondern nur solcher in Rechtsakten der Union enthaltener Tatbestände, die ein abstrakt oder konkret für die menschliche Gesundheit gefährliches Verhalten zum Gegenstand hätten.

Entsprechungsklausel gibt Inhalt und Programm der Ermächtigung vor

Das Ausmaß der Ermächtigung sei dabei aufgrund der Entsprechungsklausel darauf beschränkt, solche Bestimmungen des Unionsrechts zu bezeichnen, die der Verordnungsgeber auf Grundlage von § 13 Abs. 1 Nr. 1 und 2 LFGB selbst hätte erlassen können. Die in der Entsprechungsklausel in Bezug genommene Verordnungsermächtigung des § 13 Abs. 1 Nr. 1 und 2 LFGB stelle danach die gesetzgeberische Entscheidung zu Inhalt und Programm der Ermächtigung des § 62 Abs. 1 Nr. 1 LFGB dar. Damit sei – wiederum anders als bei § 10 Abs. 3 RiFlEtikettG a. F. – erkennbar, dass der Verordnungsgeber von seiner Ermächtigung in den Fällen Gebrauch machen müsse, in denen bei dem Herstellen, Behandeln oder Inverkehrbringen von Lebensmitteln Gefahren für die menschliche Gesundheit drohten. Erkennbar sei auch, dass die entsprechende Bezeichnung von Tatbeständen ein Verbot oder eine Beschränkung der Verwendung bestimmter Stoffe, Gegenstände oder Verfahren oder das Gebot der Anwendung bestimmter Verfahren sowie Anforderungen an das Herstellen, das Behandeln oder das Inverkehrbringen zu bestimmender Lebensmittel zum Gegenstand haben könne.

BVerfG, Beschluss vom 11.03.2020 - 2 BvL 5/17

Redaktion beck-aktuell, 8. April 2020.