BVerfG bestätigt Verletzung des parlamentarischen Fragerechts

Mit einem am Mittwoch verkündeten Urteil hat das Bundesverfassungsgericht die Informationsrechte von Abgeordneten gestärkt. Die Weigerung der Bundesregierung, die Zahl der in den Jahren 2015 bis 2019 in das Ausland entsandten Bediensteten des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) anzugeben, verletze das parlamentarische Fragerecht des antragstellenden Abgeordneten.

Antragssteller blieb mit Anfrage erfolglos

In dem zugrundeliegenden Fall bat ein Abgeordneter des Deutschen Bundestages und Mitglied der FDP-Bundestagsfraktion die Bundesregierung um Auskunft über die Anzahl der in den letzten fünf Jahren jeweils in das Ausland entsandten Bediensteten des BfV. Mit Schreiben vom 09.12.2020 teilte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat im Namen der Bundesregierung mit, dass die Beantwortung der Frage nicht – auch nicht eingestuft als geheimhaltungsbedürftige Verschlusssache – erfolgen könne. Die abgefragten Informationen beträfen in besonderem Maße das Staatswohl. Arbeitsmethoden und Vorgehensweisen der Sicherheitsbehörden des Bundes seien im Hinblick auf die künftige Aufgabenerfüllung besonders schutzwürdig. Die Beantwortung der Frage würde spezifische Informationen zur Tätigkeit, insbesondere zur Methodik und den konkreten Fähigkeiten der Sicherheitsbehörden einem nicht eingrenzbaren Personenkreis zugänglich machen. Der Antragsteller begehrte im Wege des Organstreitverfahrens die Feststellung, dass ihn die Bundesregierung durch die Verweigerung der erbetenen Auskunft in seinem parlamentarischen Fragerecht aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt hat.

Bundesregierung muss Verweigerung begründen

Dies bestätigte das BVerfG mit seiner jetzt ergangenen Entscheidung. Aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 und Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG folge ein Frage- und Informationsrecht des Deutschen Bundestages gegenüber der Bundesregierung. Der Informationsanspruch des Deutschen Bundestages und der einzelnen Abgeordneten sei allerdings nicht grenzenlos. Diese Grenzen müssten aber, auch soweit sie einfachgesetzlich geregelt sind, ihren Grund im Verfassungsrecht haben. Demgemäß sei das parlamentarische Fragerecht begrenzt durch den Zuständigkeitsbereich der Regierung, den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung, die Grundrechte Dritter und das Staatswohl. Wenn die Bundesregierung die erbetenen Auskünfte ganz oder teilweise verweigert oder nur in nicht öffentlicher Form erteilt, habe sie dies nachvollziehbar zu begründen. Dabei sei ein Nachschieben von Gründen nicht zulässig.

Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des BfV nicht dargelegt

An der erforderlichen Begründung fehle es aber, befand das BVerfG. Rechtfertigungsgründe für die Verweigerung der begehrten Auskunft gebe es nicht. Die Anfrage betreffe weder den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung noch Grundrechte Dritter. Eine Gefährdung des Staatswohls sei weder hinreichend dargelegt noch ansonsten ersichtlich. Die abstrakte Überlegung, dass ausländische Nachrichtendienste Informationen sammeln, um diese wie ein "Mosaik" zusammenzuführen, entbinde die Bundesregierung nicht von der konkreten Darlegung, dass es sich bei der jeweiligen erfragten Tatsache gerade um einen solchen "Mosaikstein" handeln könnte, der geeignet wäre, ein Gesamtbild entstehen zu lassen und damit den angestrebten Erkenntnisgewinn zu erreichen. An einer solchen Darlegung fehlt es nach Ansicht des BVerfG im vorliegenden Fall.

"Mosaiktheorie" würde Fragerecht leerlaufen lassen

Vor diesem Hintergrund ergebe sich aus den Darlegungen der Antragsgegnerin nicht, dass die behaupteten Geheimhaltungsinteressen den parlamentarischen Informationsanspruch in einem Maße überwiegen, dass von einer Beantwortung der parlamentarischen Anfrage – gegebenenfalls in eingestufter Form – abgesehen werden durfte. Die Übernahme der von der Antragsgegnerin vertretenen "Mosaiktheorie" hätte ein nahezu völliges Leerlaufen des parlamentarischen Fragerechts der Abgeordneten des Deutschen Bundestages im Sinne einer Bereichsausnahme für die Tätigkeit der Nachrichtendienste zur Folge. Eine solche Bereichsausnahme widerspreche dem Gebot, bei einer Kollision des verfassungsrechtlich verankerten Geheimhaltungsinteresses mit dem parlamentarischen Auskunftsanspruch einen Ausgleich im Wege der praktischen Konkordanz herbeizuführen.

Auch die weiteren Argumente überzeugen das BVerfG nicht

Es könne auch nicht darauf verwiesen werden, dass das Fragerecht des einzelnen Abgeordneten hinter sonstigen Möglichkeiten parlamentarischer Kontrolle der Nachrichtendienste zurückzutreten habe. Der Senat habe in seiner Rechtsprechung ausdrücklich klargestellt, dass das Parlamentarische Kontrollgremium lediglich ein zusätzliches Instrument parlamentarischer Kontrolle ist, das sonstige parlamentarische Informationsrechte nicht verdrängt. Ebenso gehe die Auffassung fehl, allein die Erweiterung des Kreises der Geheimnisträger stehe der Beantwortung der parlamentarischen Anfrage des Antragstellers selbst in eingestufter Form entgegen. Das Staatswohl sei im parlamentarischen Regierungssystem des Grundgesetzes nicht allein der Bundesregierung, sondern dem Bundestag und der Bundesregierung gemeinsam anvertraut. Mithin könne bei geheimhaltungsbedürftigen Informationen die Berufung auf das Staatswohl gerade gegenüber dem Deutschen Bundestag in aller Regel dann nicht in Betracht kommen, wenn beiderseits wirksame Vorkehrungen gegen das Bekanntwerden von Dienstgeheimnissen getroffen wurden. Auf dieser Grundlage ergäbe ebenfalls eine unzulässige Bereichsausnahme für das parlamentarische Fragerecht in Angelegenheiten der Nachrichtendienste.

Begründung für Gefährdung reicht nicht aus

Die Verweigerung der Beantwortung der parlamentarischen Anfrage hinsichtlich der Zahl der Auslandsbediensteten des BfV genüge zudem den verfassungsrechtlichen Begründungsanforderungen nicht. Die Begründung der Antragsgegnerin beschränke sich letztlich auf die bloße Behauptung, die Mitteilung der Gesamtzahl der im angefragten Zeitraum im Ausland tätigen Bediensteten des BfV begünstige die Entwicklung von Abwehrstrategien ausländischer Dienste und gefährde dadurch den Einsatzerfolg. Warum dies der Fall sein soll, wird nicht näher erläutert. Auch eine Auseinandersetzung mit dem Umstand, dass es sich bei der Auslandstätigkeit des BfV dem Grunde nach um eine offenkundige Tatsache handeln dürfte, erfolge nicht. Konkrete Umstände, die die Behauptung einer Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des BfV bei Beantwortung der Anfrage nachvollziehbar erscheinen lassen, würden nicht vorgetragen. Die Begründung versetze den Antragsteller daher nicht in die Lage, die Plausibilität der Antwortverweigerung eigenständig zu beurteilen.

BVerfG, Urteil vom 14.12.2022 - 2 BvE 8/21

Redaktion beck-aktuell, 15. Dezember 2022.

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