BVerfG: Nur entscheidungserhebliche Vorabentscheidungsersuchen an EuGH in Drittverfahren zu berücksichtigen

Vorabentscheidungsersuchen an den Europäischen Gerichtshof in anderen Verfahren als dem anhängigen Eilverfahren führen nicht ohne weiteres dazu, dass die Fachgerichte einen stattgebenden oder vorläufig stattgebenden Beschluss erlassen müssen, um die Entscheidung des EuGH berücksichtigen zu können. Dies hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 14.12.2017 klargestellt und die Verfassungsbeschwerde einer Asylbewerberin nicht zur Entscheidung angenommen, die sich auf in Drittverfahren gestellte Vorlagefragen bezogen hatte. Das anhängige Eilverfahren könne nur dann Erfolg haben, wenn die im Drittverfahren ergangene Vorlage für das anhängige Verfahren sowohl entscheidungserheblich als auch erforderlich ist (Az.: 2 BvR 1872/17).

Beschwerdeführerin forderte Aussetzung der Überstellung nach Italien

Die Beschwerdeführerin ist armenische Staatsangehörige. Sie reiste 2017 mit einem italienischen Visum in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo sie einen Asylantrag stellte. Mit Bescheid vom 07.06.2017 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge diesen als unzulässig ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nicht vorliegen, und ordnete die Abschiebung in das nach der Dublin-III-Verordnung zuständige Land Italien an. Hiergegen erhob die Beschwerdeführerin Klage beim Verwaltungsgericht Münster und beantragte die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage. Zur Begründung führte sie unter anderem an, dass sie an einer Herzerkrankung leide. Bei einer Überstellung nach Italien habe sie nach Statuszuerkennung eine menschenrechtswidrige Behandlung zu befürchten, da sie insbesondere Obdach- und Mittellosigkeit zu erwarten habe. Vorlagebeschlüsse anderer Gerichte zu dieser Problematik erforderten eine Aussetzung der Überstellung nach Italien bis zur Klärung der vorgelegten Fragen durch den EuGH.

Verfassungsbeschwerde gegen Beschlüsse erhoben

Mit Beschluss vom 28.06.2017 lehnte das VG den Eilantrag ab. Nach erfolgloser Anhörungsrüge und Zurückweisung eines Antrags auf Änderung des Beschlusses des VG am 19.07.2017 hat die Beschwerdeführerin gegen die Beschlüsse Verfassungsbeschwerde erhoben und den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Sie rügt die Verletzung ihrer Rechte aus Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip, Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 103 Abs. 1 GG.

Vorlagefrage muss auch im eigenen Verfahren entscheidungserheblich sein

Die Beschwerdeführerin hat nach Auffassung des BVerfG Verstöße gegen Art. 19 Abs. 4 GG nicht hinreichend substantiiert dargelegt. Zwar gebiete dieser die Berücksichtigung einer sich im Eilverfahren stellenden unionsrechtliche Frage, die im Hauptsacheverfahren voraussichtlich eine Vorlage des dann letztinstanzlich entscheidenden Gerichts an den EuGH erfordern würde, bei der Prüfung der Erfolgsaussichten grundsätzlich auch dann, wenn sich die Beschwerdeführer auf eine bereits in einem anderen Verfahren erfolgte Vorlage an den EuGH berufen. Voraussetzung hierfür sei allerdings, dass die Vorlagefrage auch im eigenen Verfahren entscheidungserheblich und eine Vorlage im Hauptsacheverfahren – vorbehaltlich der Möglichkeit der Aussetzung im Hinblick auf die in dem bereits vorgelegten anderen Verfahren zu erwartende Klärung – erforderlich sei.

Relevanz nicht ausreichend dargelegt

Nach diesen Maßstäben habe die Beschwerdeführerin nicht dargelegt, dass die fehlende Auseinandersetzung des VG mit den Vorlagebeschlüssen des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.06.2017 (BeckRS 2017, 121936) und des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim vom 15.03.2017 (BeckRS 2017, 106575) gegen Art. 19 Abs. 4 GG verstößt. Sie habe schon nicht hinreichend erklärt, dass eine der darin aufgeworfenen Fragen für ihr Verfahren entscheidungserheblich ist und das VG deshalb das Vorliegen unionsrechtlich ungeklärter Rechtsfragen im Rahmen einer offenen Abwägungsentscheidung hätte berücksichtigen müssen.

Verfahren vor BVerwG betrifft Klägerin thematisch nicht

Die Fragen, die das BVerwG in seinem Beschluss vom 27.06.2017 dem EuGH zur Beantwortung vorgelegt hat, würden die Beschwerdeführerin bereits deshalb nicht betreffen, weil diese ausschließlich die Situation der in einem anderen Mitgliedstaat anerkannt Schutzberechtigten beziehungsweise Verfahrensfragen bei einer unterbliebenen Anhörung zum Gegenstand haben. Die Beschwerdeführerin habe in Italien gerade keinen Schutzstatus erhalten und mache keine Anhörungsmängel geltend.

Zu Fragen aus Verfahren vor VGH Mannheim nicht ausreichend vorgetragen

Gleiches gelte im Ergebnis für die vom VGH Mannheim vorgelegte Frage, ob die Überstellung eines Asylbewerbers in den zuständigen Mitgliedstaat zur Durchführung des Asylverfahrens unzulässig ist, wenn im Fall einer Zuerkennung internationalen Schutzes aufgrund der dortigen Lebensumstände das ernsthafte Risiko einer Behandlung entgegen Art. 4 EU-Grundrechtecharta besteht. Zwar könne diese Rechtsfrage für die Beschwerdeführerin grundsätzlich relevant werden, weil in Betracht komme, dass ihr nach einer Rücküberstellung nach Italien dort internationaler Schutz zuerkannt wird. Entscheidungserheblich für das Verfahren der Beschwerdeführerin wäre diese Frage jedoch nur, wenn der Beschwerdeführerin für den Fall einer Zuerkennung internationalen Schutzes in Italien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit tatsächlich eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung drohte. Hierzu habe die Beschwerdeführerin jedoch weder im fachgerichtlichen Verfahren noch mit der Verfassungsbeschwerde substantiiert vorgetragen. Sie habe nicht hinreichend dargelegt, dass in Italien anerkannt Schutzberechtigte dort allgemein eine solche Behandlung zu erwarten hätten. Im fachgerichtlichen Verfahren habe sie lediglich zu den allgemeinen Aufnahmebedingungen für Asylsuchende in Italien vorgetragen, nicht jedoch zur Situation der dort anerkannt Schutzberechtigten.

Hauptsacheverfahren in Deutschland kann aus Italien betrieben werden

Entgegen ihrer Auffassung gehe auch der VGH Mannheim in seinem Beschluss vom 15.03.2017 nicht von dem Risiko einer unmenschlichen, erniedrigenden Behandlung für alle in Italien anerkannt Schutzberechtigten aus. Er habe dem EuGH gerade eine Rechtsfrage vorgelegt, die eine Bewertung der tatsächlichen Lage dieser Gruppe offen lässt. Auch individuelle Umstände, die zur Annahme einer bei Rücküberstellung nach Italien und Zuerkennung internationalen Schutzes ihr konkret drohenden Gefahr berechtigten, habe die Beschwerdeführerin nicht dargetan. Hiervon unabhängig habe sie nicht hinreichend dargelegt, dass es ihr vor dem Hintergrund ihres Rechts aus Art. 19 Abs. 4 GG unzumutbar wäre, das Hauptsacheverfahren in Deutschland von Italien aus zu betreiben.

BVerfG, Beschluss vom 14.12.2017 - 2 BvR 1872/17

Redaktion beck-aktuell, 12. Januar 2018.

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