Richtervorlage des BVerwG
Ein Vorsitzender Richter am Landgericht (Besoldungsgruppe R2), ein Richter am Landgericht (Besoldungsgruppe R1) und die Witwe eines Vorsitzenden Richters am Kammergericht (Besoldungsgruppe R3), der im Jahr 2015 in dieses Amt befördert worden war und wenig später verstarb, hatten die Besoldungshöhe moniert. Ihre erstmals im Jahr 2009 gegen die Besoldungshöhe erhobenen Widersprüche waren ebenso wie ihre nachfolgenden Klagen vor dem Verwaltungsgericht und der Berufungsinstanz erfolglos geblieben. Das Bundesverwaltungsgericht setzte das Revisionsverfahren aus und legte dem BVerfG die Frage vor, ob die Besoldung in den genannten Besoldungsgruppen mit Art. 33 Abs. 5 GG vereinbar ist.
BVerfG nimmt dreistufige Prüfung der Amtsangemessenheit vor
Das BVerfG hat alle drei geprüften Besoldungen für nicht amtsangemessen erachtet. Das zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums zählende Alimentationsprinzip verpflichte den Dienstherrn, Richtern und Beamten sowie ihren Familien lebenslang einen Lebensunterhalt zu gewähren, der ihrem Dienstrang und der mit ihrem Amt verbundenen Verantwortung angemessen sei und der Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse sowie der Entwicklung des allgemeinen Lebensstandards entspreche. Damit werde der Bezug der Besoldung sowohl zu der Einkommens- und Ausgabensituation der Gesamtbevölkerung als auch zur Lage der Staatsfinanzen hergestellt. Diese Gewährleistung einer rechtlich und wirtschaftlich gesicherten Position bilde die Voraussetzung und innere Rechtfertigung für die lebenslange Treuepflicht sowie das Streikverbot. Der Besoldungsgesetzgeber verfüge über einen weiten Entscheidungsspielraum. Dem entspreche eine zurückhaltende verfassungsgerichtliche Kontrolle. Ob die Bezüge evident unzureichend seien, müsse anhand einer Gesamtschau verschiedener Kriterien geprüft werden. Dies erfolge in drei Schritten.
Erste Stufe: Fünf Vergleichsparameter
Auf der ersten Prüfungsstufe werde mit Hilfe von fünf Parametern ein Orientierungsrahmen für eine grundsätzlich verfassungsgemäße Ausgestaltung der Alimentationsstruktur und des Alimentationsniveaus ermittelt (Tarifentlohnung im öffentlichen Dienst, Nominallohnindex sowie Verbraucherpreisindex, systeminterner Besoldungsvergleich und Quervergleich mit Besoldung des Bundes und anderer Länder). Beim systeminternen Besoldungsvergleich sei neben der Veränderung der Abstände zu anderen Besoldungsgruppen in den Blick zu nehmen, ob in der untersten Besoldungsgruppe der gebotene Mindestabstand zum Grundsicherungsniveau eingehalten ist. Ein Verstoß hiergegen betreffe insofern das gesamte Besoldungsgefüge, als sich dann der vom Gesetzgeber selbst gesetzte Ausgangspunkt für die Besoldungsstaffelung als fehlerhaft erweise.
Zweite Stufe: Gesamtabwägung
Auf der zweiten Prüfungsstufe seien die Ergebnisse der ersten Stufe mit den weiteren alimentationsrelevanten Kriterien im Rahmen einer Gesamtabwägung zusammenzuführen. Würden mindestens drei Parameter für eine Annahme der Verfassungswidrigkeit der ersten Prüfungsstufe erfüllt, bestehe die Vermutung einer verfassungswidrigen Unteralimentation. Würden umgekehrt bei allen Parametern die Schwellenwerte unterschritten, werde eine angemessene Alimentation vermutet. Seien ein oder zwei Parameter erfüllt, müssten die Ergebnisse der ersten Stufe, insbesondere das Maß der Über- beziehungsweise Unterschreitung der Parameter, zusammen mit den auf der zweiten Stufe ausgewerteten Kriterien im Rahmen der Gesamtabwägung eingehend gewürdigt werden.
Dritte Stufe: Rechtfertigungsgrund zu prüfen
Ergebe die Gesamtschau, dass die zur Prüfung gestellte Besoldung grundsätzlich als verfassungswidrige Unteralimentation einzustufen ist, bedürfe es auf der dritten Stufe der Prüfung, ob dies ausnahmsweise gerechtfertigt sein kann.
Berliner Richterbesoldung evident unzureichend
An diesen Maßstäben gemessen kommt das BVerfG zu dem Ergebnis, dass die Vorgaben des Art. 33 Abs. 5 GG nicht erfüllt sind. Eine Gesamtschau der für die Bestimmung der Besoldungshöhe maßgeblichen Parameter ergebe, dass die im Land Berlin in den verfahrensgegenständlichen Jahren und Besoldungsgruppen gewährte Besoldung evident unzureichend war. Bei der Festlegung der Grundgehaltssätze seien die Sicherung der Attraktivität des Amtes eines Richters oder Staatsanwalts für entsprechend qualifizierte Kräfte, das Ansehen dieses Amtes in den Augen der Gesellschaft, die von Richtern und Staatsanwälten geforderte Ausbildung, ihre Verantwortung und ihre Beanspruchung nicht hinreichend berücksichtigt worden.
Hier drei Parameter erfüllt: Vermutung verfassungswidriger Unteralimentation
Für alle verfahrensgegenständlichen Jahre lasse sich feststellen, dass die Besoldungsentwicklung in den jeweils vorangegangenen 15 Jahren um mindestens 5% hinter der Entwicklung der Tariflöhne im öffentlichen Dienst und der Verbraucherpreise zurückgeblieben war. In den Jahren 2010 bis 2014 habe die Differenz zur Tariflohnsteigerung bei über 10% gelegen. Auch sei das Mindestabstandsgebot in den unteren Besoldungsgruppen durchgehend deutlich verletzt worden. Hinsichtlich der Entwicklung des Nominallohnindex und im Quervergleich mit der Besoldung in Bund und Ländern seien die maßgeblichen Schwellenwerte nicht überschritten worden. Weil damit drei von fünf Parametern der ersten Stufe erfüllt seien, bestehe die Vermutung einer verfassungswidrigen Unteralimentation.
Qualitätssichernde Funktion der Alimentation nicht erfüllt
Diese werde erhärtet, wenn man im Rahmen der Gesamtabwägung die weiteren alimentationsrelevanten Kriterien einbeziehe. Mit dem Amt eines Richters oder Staatsanwaltes seien vielfältige und anspruchsvolle Aufgaben verbunden, weshalb hohe Anforderungen an den akademischen Werdegang und die Qualifikation ihrer Inhaber gestellt würden. Gleichwohl habe das Land Berlin nicht nur die formalen Einstellungsanforderungen abgesenkt, sondern auch in erheblichem Umfang Bewerber eingestellt, die nicht in beiden Examina ein Prädikat ("vollbefriedigend" und besser) erreicht hätten. Dies zeige, dass die Alimentation ihre qualitätssichernde Funktion, durchgehend überdurchschnittliche Kräfte zum Eintritt in den höheren Justizdienst in Berlin zu bewegen, nicht mehr erfüllt hat. Gegenüberstellungen mit Vergleichsgruppen außerhalb des öffentlichen Dienstes führten im Rahmen der Gesamtabwägung zu keiner anderen Bewertung. Schließlich seien verschiedene Einschnitte im Bereich des Beihilfe- und Versorgungsrechts zu berücksichtigen, die das zum laufenden Lebensunterhalt verfügbare Einkommen zusätzlich gemindert hätten.
Unteralimentation nicht gerechtfertigt: Kein schlüssiges Konzept der Haushaltskonsolidierung
Kollidierendes Verfassungsrecht, zu der auch die Verpflichtung zur Haushaltskonsolidierung (Art. 109 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit Art. 143d Abs. 1 GG) zählt, vermöge diese Unterschreitung des durch Art. 33 Abs. 5 GG gebotenen Besoldungsniveaus nicht zu rechtfertigen. Insbesondere habe das Land Berlin nicht dargetan, dass die teilweise drastische Abkopplung der Besoldung der Richter und Staatsanwälte von der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung in Berlin Teil eines schlüssigen und umfassenden Konzepts der Haushaltskonsolidierung gewesen wäre, bei dem die Einsparungen – wie verfassungsrechtlich geboten – gleichheitsgerecht erwirtschaftet werden sollten.
Rückwirkende Anpassung bei noch offenen Verfahren
Der Berliner Gesetzgeber müsse nun bis Juli 2021 verfassungskonforme Regelungen treffen. Eine rückwirkende Behebung sei hinsichtlich derjenigen Richter und Staatsanwälte erforderlich, die sich gegen die Höhe ihrer Besoldung zeitnah mit den statthaften Rechtsbehelfen gewehrt hätten. Dabei sei es unerheblich, ob insoweit ein Widerspruchs- oder ein Klageverfahren schwebt.
Besoldung seit 2016 bereits deutlich angepasst
Seit August 2016 sei die Besoldung in den Einstiegs- und Beförderungsämtern für Richterinnen und Richter sowie für Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in Berlin um insgesamt 17% gestiegen, teilte der Justizsenat in Berlin am gleichen Tag mit. Zudem habe ab 2018 die Besoldungsanpassung jeweils 1,1% über der durchschnittlichen Besoldungsanpassung der Bundesländer gelegen und sei 2017 und 2018 durch erhöhte Sonderzahlungen ergänzt worden. Bis 2021 werde die Besoldung das Niveau des Durchschnitts der Bundesländer erreichen. Offene Stellen hätten zudem in den vergangenen Jahren aufgrund guter Bewerbungslage in der Regel mit Kandidatinnen und Kandidaten besetzt werden können, die in beiden Staatsexamina ein Prädikat erreicht haben.