Bildungs- und Teilhabeleistungen müssen teilweise neu geregelt werden
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Der Gesetzgeber muss die Leistungen für Bildung und Teilhabe, die die Kommunen Kindern und Jugendlichen im Rahmen der Sozialhilfe erbringen müssen, bis Ende 2021 zum Teil neu regeln. Dies hat das Bundesverfassungsgericht am 07.07.2020 auf eine Kommunalverfassungsbeschwerde gegen die zusätzlichen Belastungen für Kommunen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket von 2011 hin entschieden. Die Aufgaben der Kommunen seien unzulässig ausgeweitet und dadurch deren Selbstverwaltungsgarantie verletzt worden.

Neuregelung der Bildungs- und Teilhabeleistungen 2011

§ 34 SGB XII regelt, für welche Bedarfe Kommunen im Rahmen der Sozialhilfe Leistungen für Bildung und Teilhabe erbringen müssen. Sie müssen bei Bedürftigkeit etwa die Kosten für Klassenfahrten, Schulausflüge, Mittagessen in Kita und Schule, Schulbeförderung, eine angemessene Lernförderung sowie einen Zuschuss zum Schulbedarf zahlen. § 34a SGB XII enthält Vorgaben für die Gewährung der Bedarfe. Zuständig für die Leistungen sind die Kreise und kreisfreien Städte. Der Gesetzgeber hatte 2011 mit diesen Regelungen auf das Hartz IV-Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 (BeckRS 2010, 109647) reagiert. 

Kreisfreie Städte rügten gestiegene Belastung

Dieses hatte ihm unter anderem aufgegeben, alle existenznotwendigen Aufwendungen in einem transparenten und sachgerechten Verfahren nach dem tatsächlichen Bedarf folgerichtig und realitätsgerecht zu bemessen. Mehrere kreisfreie Städte in Nordrhein-Westfalen legten gegen die Regelungen (in der bis Ende Juli 2013 geltenden Fassung) eine Kommunalverfassungsbeschwerde ein. Sie machten einen Verstoß gegen Art. 84 Abs. 1 Satz 7 GG geltend, weil die Regelungen die ihnen als örtlichen Trägern der Sozialhilfe bereits zugewiesenen Aufgaben wesentlich verändert, erweitert und um neue Aufgaben ergänzt hätten.

BVerfG: Unzulässige Aufgabenübertragung auf Kommunen

Das BVerfG hat die angegriffenen Vorschriften, mit Ausnahme der Bedarfe für Klassenfahrten und Schulbedarf, für verfassungswidrig erklärt. Sie beinhalteten eine unzulässige Aufgabenübertragung auf die Kommunen und verletzen diese in ihrem Recht auf Selbstverwaltung aus Art. 28 Abs. 2 GG. Die kommunale Selbstverwaltungsgarantie werde durch das Durchgriffsverbot des Art. 84 Abs. 1 Satz 7 GG näher ausgestaltet. Dies verbiete dem Bund, den Kommunen neue Aufgaben zu übertragen. Ein Fall des Art. 84 Abs. 1 Satz 7 GG liege vor, wenn ein Bundesgesetz den Kommunen erstmals eine bestimmte Aufgabe zuweist oder eine damit funktional äquivalente Erweiterung einer bundesgesetzlich bereits zugewiesenen Aufgabe vornimmt. Die Zuweisung neuer Aufgaben könnte den Kommunen freiwillige Selbstverwaltungsaufgaben wegen der zusätzlichen finanziellen Belastung erschweren oder diese sogar verhindern.

Neuregelung geht über "Anpassung bestehender Aufgaben" hinaus

Eine Schranke finde das Durchgriffsverbot in der Übergangsregelung des Art. 125a Abs. 1 Satz 1 GG. Auf dieser Grundlage dürfe der Bund eine Anpassung des kommunalen Aufgabenbestandes an veränderte ökonomische und soziale Rahmenbedingungen vornehmen. Was darüber hinausgehe, verstoße gegen Art. 84 Abs. 1 Satz 7 GG. Gemessen daran habe der Bund seine Anpassungskompetenz überschritten. Die Beschwerdeführerinnen seien für die Gewährung der Bedarfe der Bildung und Teilhabe nach §§ 34, 34a SGB XII zuständig (§ 3 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 SGB XII). Vor Inkrafttreten der §§ 34 und 34a SGB XII hätten sie dagegen nur in einem eng begrenzten Umfang (Klassenfahrten, Schulbedarf) Bedarfe der Bildung und Teilhabe abdecken müssen. Weitere Regelungen zu entsprechenden Bedarfen habe es nicht gegeben. Diese seien mit den Regelbedarfen abgegolten gewesen. Die zu berücksichtigenden Bedarfe seien durch die angegriffenen Regelungen deutlich ausgeweitet worden.

Deutlich mehr Leistungen für mehr Leistungsberechtigte

Die Kommunen müssten nun einem erweiterten Kreis an Leistungsberechtigten zusätzliche Leistungen gewähren. Bedarfe für Schulausflüge - und nicht lediglich für mehrtägige Klassenfahrten - würden anerkannt. Die Bedarfe würden zudem auf Kita-Kinder erstreckt. Erstmals würden Bedarfe für die Schülerbeförderung, die Lernförderung und die Mittagsverpflegung anerkannt. Ferner würden für alle Kinder und Jugendlichen Bedarfe für die Teilnahme am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft berücksichtigt. Anspruchsberechtigt seien nicht mehr nur Schüler, sondern auch Kita-Kinder. Zudem seien nun alle Kinder und Jugendlichen vor Vollendung des 18. Lebensjahres leistungsberechtigt. Schließlich würden die Leistungen - wenngleich unter einschränkenden Voraussetzungen - auch gegenüber Personen erbracht, denen keine Regelleistungen zu gewähren seien.

Höherer Verwaltungsaufwand

Die diesbezügliche Regelung des Verwaltungsverfahrens bürde den Kommunen ebenfalls neue Lasten auf. So hänge die Berücksichtigung der Bedarfe von verschiedenen tatbestandlichen Restriktionen ab sowie von unbestimmten Rechtsbegriffen wie Angemessenheit oder Erforderlichkeit, die individuelle Wertungen voraussetzten. Das führe zu einer erheblichen organisatorischen und personellen Mehrbelastung der Kommunen beim Vollzug der in Rede stehenden Bestimmungen. Gleiches gelte mit Blick auf § 34a Abs. 2 Satz 1 SGB XII, der es den Trägern der Sozialhilfe überlasse, in welcher Form sie die Leistungen erbrächten.

Kosten für Klassenfahren und Schulbedarf mussten Kommunen schon vorher tragen

Nicht zu beanstanden seien hingegen die Bedarfe für mehrtägige Klassenfahren (§ 34 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB XII) und die Ausstattung mit persönlichem Schulbedarf (§ 34 Abs. 3 SGB XII). Denn diese seien bereits vor Inkrafttreten der angegriffenen Regelungen in § 31 Abs. 1 Nr. 3 und § 28a SGB XII in der bis zum 31.12.2010 geltenden Fassung vorgesehen gewesen. Die Beschwerdeführerinnen seien hierfür als örtliche Träger der Sozialhilfe auch zuständig gewesen. Insofern habe sich der kommunale Aufgabenbestand nicht verändert, ein Verstoß gegen Art. 84 Abs. 1 Satz 7 GG scheide aus.

BVerfG, Beschluss vom 07.07.2020 - 2 BvR 696/12

Redaktion beck-aktuell, 7. August 2020.