Befangenheitsantrag wegen früherer Urteilsausführungen zu Migration
Der Asylantrag des afghanischen Beschwerdeführers wurde abgelehnt. Im dagegen eingeleiteten Klageverfahren lehnte der Beschwerdeführer den zuständigen Einzelrichter wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Er verwies auf ein Urteil des abgelehnten Richters, mit dem dieser einer NPD-Klage gegen die Beseitigung eines Wahlplakats mit dem Slogan "Stoppt die Invasion: Migration tötet! Widerstand jetzt" stattgegeben hatte. In dem Urteil hieß es unter anderem: "Der Wortlaut des inkriminierten Wahlplakats der Klägerin "Migration tötet" [ist] nicht als volksverhetzend zu qualifizieren, sondern als die Realität teilweise darstellend zu bewerten. In der Tat hat die Zuwanderungsbewegung nach Deutschland ab dem Jahr 2014/2015 zu einer Veränderung innerhalb der Gesellschaft geführt, die sowohl zum Tode von Menschen geführt hat als auch geeignet ist, auf lange Sicht zum Tod der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu führen. [...] Allein dem erkennenden Gericht sind Fälle bekannt, in denen Asylbewerber zu Mördern wurden. Zu nennen ist hier [...]."
Verfassungsbeschwerde gegen Ablehnung des Befangenheitsantrags
Das Verwaltungsgericht wies durch eine Kammerentscheidung ohne Mitwirkung des abgelehnten Richters das Ablehnungsgesuch des Beschwerdeführers zurück. Mit anschließendem und durch den abgelehnten Richter als Einzelrichter gefasstem Urteil hob das VG den gegen den Beschwerdeführer ergangenen Bescheid des Bundesamts teilweise auf und verpflichtete das Bundesamt, dem Beschwerdeführer den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen. Im Übrigen wies es die Klage ab. Im Umfang der Klageabweisung ist ein Berufungszulassungsverfahren bei dem zuständigen Verwaltungsgerichtshof anhängig. Der Beschwerdeführer rügte allein eine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Das Verwaltungsgericht habe ihn in seinem Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt, weil es sein Ablehnungsgesuch zu Unrecht zurückgewiesen habe.
BVerfG: Befangenheitsantrag willkürlich abgelehnt
Die Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg. Der Beschluss des VG verstoße gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Der Befangenheitsantrag sei willkürlich abgelehnt worden. Anlass des Ablehnungsgesuchs seien die Urteilsausführungen des VG zur Migration gewesen, die offensichtlich Zweifel des Beschwerdeführers an der Unvoreingenommenheit des abgelehnten Richters begründen konnten. Dies ergebe sich schon aus der ausufernden historischen Begründung für die Behauptung, Einwanderung stelle "naturgemäß eine Gefahr für kulturelle Werte an dem Ort dar, an dem die Einwanderung" stattfinde, und aus dem Verweis darauf, dass die bestehende "Gefahr für die deutsche Kultur und Rechtsordnung sowie menschliches Leben [...] nicht von der Hand zu weisen" sei. Noch deutlicher folge dies aus denjenigen Passagen der Urteilsbegründung, in denen es heiße, es handele sich bei der Wendung "Migration tötet" um eine empirisch zu beweisende Tatsache, und in denen der Einzelrichter ihm vermeintlich bekannte Einzelfälle von Asylsuchenden anführe, die im Nachhinein wegen Mordes, anderer Tötungsdelikte oder sonstiger schwerer Straftaten verurteilt worden seien.
Gleichsetzung von Migration mit Gewalttätern
Diese Einzelfälle nehme das VG als Beleg dafür, dass Migration etwas mit Tod und Menschenverachtung zu tun haben könne und dass Zuwanderer durchaus in der Lage seien, Tötungsdelikte und Kapitalverbrechen in Deutschland zu begehen. Mit dieser Deutung geschichtlicher Abläufe und der aktuellen politischen Situation verenge das VG den weitergreifenden Begriff der Migration auf die Gruppe der Asylsuchenden und stelle aus dieser Gruppe die später mit schweren Straftaten straffällig gewordenen Personen als prägend nicht nur für die Gruppe der Asylsuchenden, sondern für den gesamten Bereich der Migration dar. Damit stehe es dem genannten Urteil gleichsam auf die Stirn geschrieben, dass der Richter, der es abgefasst habe, Migration für ein grundlegendes, die Zukunft unseres Gemeinwesens bedrohendes Übel hält.
Teilweise stattgebendes Urteil steht Bewertung nicht entgegen
Die genannten und zahlreiche weitere Passagen seien offensichtlich geeignet gewesen, Misstrauen des Beschwerdeführers gegen die Unparteilichkeit des abgelehnten Richters zu begründen. Der Umstand, dass das Verwaltungsgericht durch den vom Beschwerdeführer abgelehnten Richter inzwischen der Klage des Beschwerdeführers teilweise stattgegeben habe, stehe dem nicht entgegen.