Erfolglose Verfassungsbeschwerde gegen Anerkennung britischer Tiergenerikum-Zulassung

Zwei Bayer-Töchter sind mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen die Anerkennung der britischen Zulassung eines Konkurrenz-Generikums eines Bayer-Tierarzneimittels gescheitert. Die beiden Bayer-Töchter seien weder in ihren deutschen noch in ihren europäischen Grundrechten verletzt, so das Bundesverfassungsgericht. Grundgesetz und EU-Grundrechte-Charta führten im vorliegenden Fall zum selben Ergebnis.

Bayer-Tierarzneimittel erhielt in Großbritannien Zulassung

Zwei Bayer-Töchter wandten sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen die einem slowenischen Konkurrenzunternehmen im Verfahren der gegenseitigen Anerkennung nach § 25b Abs. 2 AMG durch das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit erteilte Zulassung für ein Tierarzneimittel. Die eine Tochter ist Inhaberin und Eigentümerin der Rechte an den Zulassungsunterlagen für das Tierarzneimittel Baytril. Die andere Tochter ist die ausschließliche Lizenznehmerin dieser Rechte in Deutschland sowie Inhaberin der nationalen Zulassung für Baytril. 1993 erteilte die für Arzneimittelzulassungen zuständige Behörde in Großbritannien eine nationale Zulassung für das Medikament Baytril. Im Rahmen des 2004 durchgeführten Verfahrens zur Verlängerung der Zulassung legte ein zum Bayer-Konzern gehörendes Unternehmen auf Verlangen der britischen Zulassungsbehörde von der Rechtsvorgängerin der einen Bayer-Tochter erstellte Ökotox-Daten von Baytril vor.

Slowenisches Pharmaunternehmen erhielt britische Zulassung für Generikum

Das im fachgerichtlichen Verfahren beigeladene Konkurrenzunternehmen besitzt Zulassungen für das mit Baytril im Wesentlichen inhaltsgleiche Tierarzneimittel Enroxil in der Tschechischen Republik, Ungarn und Polen. Unter Bezugnahme auf die britische Zulassung für Baytril erteilte die britische Zulassungsbehörde im September 2005 eine nationale Zulassung von Enroxil als Generikum.

Deutsche Behörden erkennen britische Generikum-Zulassung an

Im Jahr 2006 beantragte eine hierfür von der Beigeladenen beauftragte Firma beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit die Erteilung einer nationalen Zulassung für Enroxil im Verfahren der gegenseitigen Anerkennung der britischen Referenzzulassung. Nachdem das Bundesamt bei der formalen Vorprüfung des Zulassungsantrags das Fehlen von Unterlagen zur Umweltverträglichkeit beanstandet hatte, übersandte die britische Zulassungsbehörde den im Jahr 2004 anlässlich der Verlängerung der britischen Zulassung für Baytril erstellten Beurteilungsbericht, der auf den von der Rechtsvorgängerin der einen Bayer-Tochter erstellten Ökotox-Daten basierte. Daraufhin erteilte das Bundesamt der Beigeladenen die beantragte Zulassung.

Bayer-Töchter rügen Heranziehung der Ökotox-Daten

Den Widerspruch gegen den Zulassungsbescheid des Bundesamtes wies dieses als unzulässig zurück. Die dagegen gerichtete Klage blieb in allen Instanzen der Verwaltungsgerichtsbarkeit erfolglos (VG Braunschweig, BeckRS 2013, 59210; OVG Lüneburg, PharmR 2012, 366; BVerwG, NVwZ 2014, 457). Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügten die beiden Bayer-Töchter eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1 GG, Art. 14 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG sowie ihres grundrechtsgleichen Rechts aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.

BVerfG: Deutsche oder europäische Grundrechte als Prüfungsmaßstab?

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde zurückgewiesen. Dabei stand zunächst die Frage im Raum, ob Beurteilungsmaßstab die deutschen oder die europäischen Grundrechte sind. Dabei ging das BVerfG davon aus, dass in unionsrechtlich vollständig determinierten Bereichen durch die Anwendung der europäischen Grundrechte nach derzeitigem Stand ein hinreichend wirksamer Grundrechtsschutz gewährleistet werde. Den Grundrechten des Grundgesetzes komme hier nur eine Reservefunktion zu. Das BVerfG lässt dann letztlich offen, ob Art. 12 Abs. 1 GG oder Art. 16 der EU-Grundrechtecharta einschlägig ist, weil beide Maßstäbe im Wesentlichen übereinstimmten.

Grundgesetz und EU-Grundrechtecharta führen hier zum selben Ergebnis

Da nicht nur die Auslegung der im Grundgesetz verbürgten Grundrechte im Lichte der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), der EU-Grundrechtecharta und der gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten sowie ihrer höchstrichterlichen Konkretisierung erfolgen müsse, sondern auch die Auslegung der EU-Grundrechtecharta unter Rückgriff auf die EMRK und die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten in Gestalt ihrer höchstrichterlichen Konkretisierung, führten beide Maßstäbe im vorliegenden Fall zum selben Ergebnis. Sowohl das Grundgesetz als auch die EU-Grundrechtecharta erkennten Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse als Bestandteil der Berufsfreiheit an, legten einen weiten Eingriffsbegriff zugrunde und erlaubten Beschränkungen nur bei Vorliegen einer wirksamen Rechtsgrundlage.

Eventuelle Rechtsverstöße bei britischer Zulassung ohne Belang

Laut BVerfG verletzen weder der Zulassungsbescheid noch die ihn bestätigenden verwaltungsgerichtlichen Urteile die beiden Bayer-Töchter in Rechten aus Art. 12 Abs. 1 GG beziehungsweise Art. 16 GRCh. Ohne Belang sei, ob die britische Referenzzulassung eventuell rechtswidrig war. Das Bundesverwaltungsgericht habe zu Recht darauf hingewiesen, dass Rechtmäßigkeitsmängel der britischen Zulassungsentscheidung vom Bundesamt nicht zu prüfen waren. Eventuelle Rechtsverstöße hätten die beiden Bayer-Töchter mit einer Anfechtung der Referenzzulassung in Großbritannien geltend machen müssen.

Verwendung der Ökotox-Daten wäre jedenfalls gerechtfertigt gewesen

Ob der Bescheid des Bundesamts die Beschwerdeführerinnen in ihren Grundrechten aus Art. 12 Abs. 1 GG beziehungsweise Art. 16 GRCh verletzt, hänge vielmehr davon ab, ob Heranziehung und Verarbeitung der von ihnen erstellten Ökotox-Daten Aufgabe des Bundesamts waren und wie weit sein Entscheidungsspielraum und seine Entscheidungsverantwortung dabei reichten. Das habe das BVerwG allerdings mit Blick auf § 23 und § 24b sowie § 25b AMG 2005 nicht im Einzelnen ermittelt. Es könne hier aber dahinstehen, ob die Heranziehung und Verarbeitung der Ökotox-Daten im Bescheid des Bundesamts eine selbstständige Bezugnahme auf die Ökotox-Daten der Bayer-Töchter im Sinne von § 24b AMG 2005 darstellt, die einen der Bundesrepublik Deutschland zuzurechnenden eigenständigen Grundrechtseingriff bewirke. Auch wenn dies der Fall sein sollte, wäre dies durch § 25b in Verbindung mit 24b Abs. 1 Satz 1 und § 23 Abs. 1 Nr. 3 AMG 2005 jedenfalls gerechtfertigt, so das BVerfG.

Rechtsgrundlage für Verwendung der Ökotox-Daten wäre gegeben gewesen

Unabhängig davon, ob und inwieweit § 24b Abs. 1 Satz 1 AMG 2005 mit Art. 13 Abs. 1 Richtlinie 2001/82/EG in der durch die Richtlinie 2004/28/EG geänderten Fassung vereinbar gewesen sei, sei letzterer mangels unmittelbarer Anwendbarkeit jedenfalls nicht geeignet gewesen, § 24b Abs. 1 Satz 1 AMG 2005 zu verdrängen. Vor diesem Hintergrund habe sich die Frage nach der Verwendung von Ökotox-Daten des Rechteinhabers – eine selbstständige Bezugnahme durch das Bundesamt bei der Anerkennung des Generikums vorausgesetzt – hier nach § 24b Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 23 Abs. 1 Nr. 3 AMG 2005 gerichtet. Bei der Erstzulassung eines Generikums habe dieser die Bezugnahme auf Unterlagen des Vorantragstellers auch gestattet, soweit mit ihnen eine Bewertung möglicher Umweltrisiken nachgewiesen worden sei, sofern das Referenzarzneimittel seit mindestens acht Jahren oder vor mindestens acht Jahren zugelassen worden war. Entsprechendes hätte für die Anerkennung eines Generikums im Verfahren nach § 25b Abs. 1 AMG gegolten.

Etwaiger Grundrechtseingriff dient Gemeinwohlbelang und wiegt nicht besonders schwer

Verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 25b in Verbindung mit § 24b Abs. 1 Satz 1 und § 23 Abs. 1 Nr. 3 AMG 2005 sind laut BVerfG nicht ersichtlich. Der etwaige Eingriff in die Berufsfreiheit und die mit der Heranziehung der von den Bayer-Töchtern erstellten Ökotox-Daten zugunsten der Beigeladenen des Ausgangsverfahrens verbundene Wettbewerbsverzerrung dienten einem Gemeinwohlbelang und wögen unter dem Gesichtspunkt von Art. 12 Abs. 1 GG nicht besonders schwer. Da der angegriffene Zulassungsbescheid des Bundesamts danach jedenfalls auf einer zureichenden Rechtsgrundlage ergangen sei, scheide im Ergebnis auch eine Verletzung von Art. 14 GG beziehungsweise Art. 17 GRCh sowie von Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG aus.

BVerfG, Beschluss vom 27.04.2021 - 2 BvR 206/14

Redaktion beck-aktuell, 1. Juni 2021.