Entgeltkürzung für Zusatzversorgungszeiten hochrangiger DDR-Funktionäre
Das Alterssicherungssystem der DDR beruhte auf der Kombination einer vergleichsweise geringen Rente aus der Sozialpflichtversicherung, der Möglichkeit einer freiwilligen Zusatzrentenversicherung (FZR) und zahlreichen Zusatz- und Sonderversorgungssystemen. Nach der Wiedervereinigung wurden die ostdeutschen Rentenansprüche und -anwartschaften sowohl aus der gesetzlichen Sozialversicherung als auch aus der FZR und den Versorgungssystemen in das Rentenversicherungssystem der Bundesrepublik überführt. Bei der Rentenberechnung werden für Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Zusatz- oder Sonderversorgungssystem die berücksichtigungsfähigen Verdienste nach dem Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) zugrunde gelegt. § 6 Abs. 2 AAÜG sieht für einen bestimmten Personenkreis – darunter stellvertretende Minister (Nr. 4) und Staatsanwälte beim Generalstaatswalt (Nr. 7) – in Umsetzung von Vorgaben des Einigungsvertrags eine Kürzung der bei der Rentenberechnung berücksichtigungsfähigen Entgelte aus den Zeiten der Zugehörigkeit zu Zusatzversorgungssystemen auf die Werte vor, die dem Durchschnittsverdienst der Beschäftigten in der DDR im jeweiligen Kalenderjahr entsprechen.
Rentenkürzungen gerügt
Beschwerdeführer waren ein ehemaliger Stellvertreter des Finanzministers und die Witwe eines dem Generalstaatsanwalt – zuletzt als Abteilungsleiter – beigeordneten Staatsanwalts. Bei der Festsetzung ihrer Renten wurden die Verdienste aus dem Zusatzversorgungssystem für hauptamtliche Mitarbeiter des Staatsapparates jeweils nur mit dem Durchschnittsverdienst in der DDR entsprechenden Werten berücksichtigt. Im Fall des stellvertretenden Ministers galt dies auch für eine ihm aufgrund einer früheren Tätigkeit zugesagte Versorgung nach dem zusätzlichen Altersversorgungssystem der technischen Intelligenz (AVItech), soweit diese nach der Ernennung zum stellvertretenden Minister fortgeführt wurde, und einen anlässlich seiner Ernennung durch Einzelvertrag vereinbarten Anspruch auf Altersversorgung der Intelligenz an wissenschaftlichen, künstlerischen, pädagogischen und medizinischen Einrichtungen (AVIwiss). Die dagegen gerichteten Klagen der Beschwerdeführer blieben vor den Instanzgerichten ohne Erfolg. Mit ihren Verfassungsbeschwerden rügten sie in erster Linie eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 3 Abs. 1 und 14 Abs. 1 GG.
BVerfG: Frühere BVerfG-Entscheidung nicht substantiiert in Frage gestellt
Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung angenommen. Eine Grundrechtsverletzung sei nicht hinreichend substantiiert dargetan. Soweit der frühere stellvertretende Minister als Beschwerdeführer allgemein die Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Regelung aus § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG in Verbindung mit Anlage 5 zum AAÜG geltend gemacht habe, könne er damit schon deswegen nicht durchdringen, weil das BVerfG die Regelung ausdrücklich und damit mit Gesetzeskraft für mit dem Grundgesetz vereinbar erklärt habe (BeckRS 2010, 51129). Weder zeige das Vorbringen des Beschwerdeführers auf, dass die dort dargelegten Maßstäbe unzutreffend sein könnten, noch seien neue rechtserhebliche, gegen die damals tragenden Feststellungen sprechende Tatsachen, die eine andere Entscheidung rechtfertigen könnten, substantiiert dargelegt worden. Auch im Verfahren des Staatsanwaltes bei dem Generalstaatsanwalt seien die dort entwickelten Maßstäbe jedenfalls Ausgangspunkt der Argumentation, obwohl eine ausdrückliche Entscheidung zu der insoweit maßgeblichen Nr. 7 des § 6 Abs. 2 AAÜG noch nicht vorgelegen habe.
Auslegung des § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG durch Fachgerichte nicht zu beanstanden
Soweit gerügt werde, die Auslegung des § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG durch die Fachgerichte sei verfassungswidrig, weil sie zu einer Begrenzung der Entgelte aus einer Zeit der Zugehörigkeit des stellvertretenden Ministers zur AVItech (oder der AVIwiss) führe, sei eine mögliche Verletzung in Grund- oder grundrechtsgleichen Rechten ebenfalls nicht hinreichend dargetan, zumal der Wortlaut des AAÜG diese Versorgungssysteme unterschiedslos mit einbeziehe, fährt das BVerfG fort. Die insoweit durch den betreffenden Beschwerdeführer geforderte einschränkende Auslegung folge weder aus früheren BVerfG-Entscheidungen noch sei dargelegt, dass eine solche aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten sein könnte. Es würde im Gegenteil einen kaum zu rechtfertigenden Gleichheitsverstoß darstellen, wenn ein stellvertretender Minister im Gegensatz zu anderen von einer Entgeltbegrenzung verschont bliebe, nur weil das ihm zusätzlich gewährte Versorgungssystem seiner Tätigkeit nicht unmittelbar entspreche.
Einzelvertragliche Einbeziehung in berufsfremdes Versorgungssystem lässt Funktionsträgereigenschaft unberührt
Soweit geltend gemacht werde, dass bei Personen, die der AVItech zugehört hätten, die Grundannahme des BVerfG, es handele sich um Funktionsträger auf höchster Staatsebene mit entsprechenden Privilegien, nicht zutreffe, sei dieses Vorbringen nicht geeignet, die Auslegung des AAÜG durch die Fachgerichte als verfassungswidrig auszuweisen. Ein (stellvertretender) Minister bleibe vielmehr Funktionsträger auf höchster Staatsebene, auch oder gerade wenn ihm die Einbeziehung in ein Versorgungssystem einzelvertraglich zugebilligt wird, dessen Anwendungsbereich primär auf ganz andere Berufsgruppen gezielt habe. Dass Personen wie er, die als Minister in die AVItech oder AVIwiss einbezogen gewesen seien, deswegen (oder aus sonstigen Gründen) anders und weniger privilegiert behandelt worden wären als andere Minister, sei nicht konkret dargetan.
Grund der Berufung zum stellvertretenden Minister irrelevant
Das BVerfG bekräftigt, dass der Gesetzgeber an herausgehobene politisch-gubernative Funktionen wie die des stellvertretenden Ministers ohne Verfassungsverstoß eine Begrenzung der in die bundesdeutsche Rentenversicherung zu überführenden Anwartschaften habe knüpfen dürfen. Vor diesem Hintergrund folge auch aus dem Vortrag, dass der Beschwerdeführer im Zuge der wirtschaftlichen Reformbestrebungen der DDR, die mit dem "Neuen Ökonomischen System" verbunden gewesen seien, stellvertretender Minister geworden sei und seine Berufung ausschließlich seiner fachlichen Qualifikation geschuldet sei, nicht die Verfassungswidrigkeit der Begrenzung.
Grundsätze zu (stellvertretenden) Ministern auf Staatsanwälte beim Generalstaatsanwalt übertragbar
Das BVerfG sieht auch ebensowenig substantiiert dargelegt, dass die genannten Grundsätze auf die Gruppe der Staatsanwälte bei dem Generalstaatsanwalt – mit denen sich das BVerfG in den vorherigen Entscheidungen zum AAÜG nicht zu befassen hatte – nicht übertragbar sein könnten. Für eine substantiierte Darlegung, dass die Entgeltbegrenzung zwar für andere hohe Funktionsträger, nicht aber für die Staatsanwälte bei dem Generalstaatsanwalt gerechtfertigt wäre, fehle es an einer konkreten Befassung mit der Bedeutung des Generalstaatsanwalts und der ihm beigeordneten Staatsanwälte.
Herrschaftssichernde Funktion der Generalstaatsanwaltschaft
So hätte sich das Beschwerdevorbringen damit auseinandersetzen müssen, dass dem Generalstaatsanwalt als Leiter der Staatsanwaltschaft mit all ihren Untergliederungen eine herausgehobene Funktion zugekommen sei und die Staatsanwaltschaft als zentrales Organ der einheitlichen sozialistischen Staatsmacht wiederum eine wichtige Rolle bei der Absicherung des auf die Führungsrolle der SED ausgerichteten Systems gespielt habe. Hinzu gekommen seien – wie in den realsozialistischen Staaten üblich – die allgemeine Gesetzlichkeitsaufsicht und die damit verbundene Rolle bei der Durchsetzung der sozialistischen Staats- und Herrschaftsordnung in Zusammenarbeit mit anderen Organen des Staates, der Partei und der Gesellschaft, wozu auch eine Abstimmung bezüglich politisch relevanter Verfahren gezählt habe. Die Behörde des Generalstaatsanwaltes sei für eine der führenden Rolle der Arbeiterklasse entsprechende Auswahl, Entwicklung und Erziehung der Kader der Staatsanwaltschaft verantwortlich gewesen. Die Besetzung der Positionen des Generalstaatsanwalts selbst, seiner Stellvertreter und der Abteilungsleiter seien dem Zentralkomitee der SED vorbehalten gewesen. Diese Zusammenhänge hätten auch die Stellung der einzelnen Staatsanwälte geprägt, die der Arbeiterklasse und dem sozialistischen Staat treu ergeben hätten sein müssen und zuletzt nahezu ausnahmslos Mitglieder in der SED und somit zugleich als Funktionäre des Staates und als Parteifunktionäre tätig gewesen seien.