BVerfG mahnt Wahrung der Verhältnismäßigkeit bei Anordnung stichprobenartiger Durchsuchung von Strafgefangenen an

Der Leiter einer Justizvollzugsanstalt kann zwar auf der Grundlage des Art. 91 Abs. 2 Satz 1 BayStVollzG anordnen, Gefangene vor der Vorführung zum Besuch stichprobenartig unter vollständiger Entkleidung körperlich zu durchsuchen. Die Anordnung muss aber verhältnismäßig sein und deshalb im Einzelfall Ausnahmen ermöglichen, wenn die Gefahr eines Missbrauchs des Besuchs fernliegt. Dies hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 05.11.2016 entschieden und der Verfassungsbeschwerde eines Häftlings in der JVA Straubing wegen Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts stattgegeben (Az.: 2 BvR 6/16).

Häftling wurde vor Familienbesuch stichprobenartig körperlich durchsucht

Der Beschwerdeführer verbüßt seit 2010 eine lebenslange Freiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt Straubing. Am 17.05.2015 wurde er vor einem Besuch seiner Familie körperlich durchsucht und musste sich dafür vollständig entkleiden. Die körperliche Durchsuchung, die auch eine Inspektion der Körperöffnungen umfasste, war auf Grundlage des Bayerischen Strafvollzugsgesetzes genehmigt worden (Art. 91 Abs. 2 Satz 1 BayStVollzG). Dabei wurde pauschal angeordnet, dass jeder fünfte Strafgefangene und Sicherungsverwahrte vor der Vorführung zum Besuch körperlich durchsucht werden soll. Der Beschwerdeführer weigerte sich zunächst, die Durchsuchung durchführen zu lassen, und berief sich darauf, dass diese rechtswidrig sei. Nachdem die eingeteilten Vollzugsbeamten ihm mehrfach die Anwendung unmittelbaren Zwangs angedroht hatten, ließ er die Durchsuchung schließlich zu, wobei die Vollzugsbeamten nichts auffinden konnten. Den Antrag auf gerichtliche Entscheidung wies das Landgericht zurück. Die Rechtsbeschwerde zum Oberlandesgericht blieb ebenfalls ohne Erfolg. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügte der Beschwerdeführer vornehmlich die Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG).

BVerfG: Allgemeines Persönlichkeitsrecht durch Durchsuchungsanordnung verletzt

Das BVerfG hat der Verfassungsbeschwerde stattgegeben und die angegriffenen Beschlüsse aufgehoben. Der LG-Beschluss verletze den Beschwerdeführer in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Mit Entkleidungen und der Inspektion von Körperöffnungen verbundene Durchsuchungen stellten einen schwerwiegenden Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht dar, die durch die Erfordernisse der Sicherheit und Ordnung der Haftanstalt gerechtfertigt sein könnten. Insofern erlaube Art. 91 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 BayStVollzG im Einzelfall die mit einer Entkleidung verbundene körperliche Durchsuchung von Gefangenen auf Anordnung des Anstaltsleiters. Dabei hält es das BVerfG für vertretbar, dass das LG die Durchsuchungsanordnung vom 17.05.2015 als Einzelfallanordnung bewertet hat. Dass der Begriff des "Einzelfalls" sehr weit definiert werde, sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, solange nicht fast alle Gefangenen von der Anordnung betroffen seien, was hier nicht der Fall sei.

Anordnung mangels Abweichungsmöglichkeit unverhältnismäßig

Das BVerfG beanstandet die Durchsuchungsanordnung aber als unverhältnismäßig, weil sie keine Abweichungen zugelassen habe. Mit Blick auf den weiten Begriff des "Einzelfalls" hätte die Verfügung der Anstaltsleitung erkennen lassen müssen, dass von der Anordnung der Durchsuchung jedes fünften Gefangenen ausnahmsweise abgewichen werden könne. Um einen gerechten Ausgleich zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, der Wahrung der Intimsphäre des Gefangenen und dem Sicherheitsinteresse der Vollzugsanstalt zu erreichen, hätte den die Durchsuchungsanordnung vollstreckenden Vollzugsbeamten durch den Wortlaut der Anordnung zumindest die Möglichkeit belassen werden müssen, von ihr abzuweichen, wenn die Gefahr des Missbrauchs des Besuchs fernliege.

Vorliegen einer Ausnahme von Fachgerichten zu beurteilen

Das BVerfG weist darauf hin, dass es den Fachgerichten obliege zu entscheiden, ob die Justizvollzugsanstalt vorliegend zu Gunsten des Beschwerdeführers von der getroffenen Anordnung hätte abweichen müssen, da die Gefahr eines Missbrauchs des Besuchs durch den Beschwerdeführer fernliegend gewesen sei. Dies sei insbesondere mit Blick darauf, dass der Beschwerdeführer sich bei dem Empfang von Besuchen in der Vergangenheit bewährt habe, jedenfalls nicht ausgeschlossen.

OLG-Beschluss verletzt Rechtsschutzgarantie

Den OLG-Beschluss hat das BVerfG ebenfalls aufgehoben. Er verletze den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 GG. Das OLG habe von der verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Möglichkeit Gebrauch gemacht, von einer Begründung der Rechtsbeschwerdeentscheidung abzusehen. Daher lägen über die Feststellung im Beschlusstenor hinaus Entscheidungsgründe, die verfassungsrechtlich geprüft werden könnten, nicht vor. In einem solchen Fall sei die Entscheidung bereits dann aufzuheben, wenn an ihrer Vereinbarkeit mit Grundrechten des Beschwerdeführers erhebliche Zweifel bestehen.

BVerfG, Beschluss vom 05.11.2016 - 2 BvR 6/16

Redaktion beck-aktuell, 8. Dezember 2016.