Anhörungsrüge vor Verfassungsbeschwerde
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Vor Erhebung einer Verfassungsbeschwerde muss versucht werden, Gehörsverletzungen noch im Instanzenzug korrigieren zu lassen. Anhand von zwei aktuellen Entscheidungen zeigt das Bundesverfassungsgericht erneut, dass der Verzicht auf die Anhörungsrüge auch aussichtsreichen Anträgen den Boden entziehen kann.

Mögliche Verfahrensfehler

In einem Strafverfahren und einer Abschiebungshaftsache rügten die Betroffenen unter anderem, dass man ihnen das rechtliche Gehör verweigert habe. Im ersten Fall (2 BvR 2697/18) hatte das Amtsgericht Soltau einen Strafbefehl erlassen, gegen den Einspruch eingelegt worden war – nach Ansicht des AG verfristet. Das LG Lübeck bestätigte diese Einschätzung, ohne die angebotenen Zeugen zu vernehmen, deren Aussagen ein falsches Datum auf der Zustellungsurkunde hätten belegen sollen. Dabei würdigte es das Beweisangebot nur im Rahmen eines Wiedereinsetzungsantrags nach § 45 StPO – mangels Glaubhaftmachung müssten keine Zeugen gehört werden. Bei der zweiten Sache (2 BvR 1217/19) hatte sich das LG Ingolstadt nicht damit auseinandergesetzt, dass eine äthiopische Staatsangehörige möglicherweise noch vor der einstweiligen Verlängerung ihrer Sicherungshaft durch das Amtsgericht Ingolstadt hätte angehört werden können. In beiden Verfahren wurde keine Anhörungsrüge erhoben. Die Verfassungsbeschwerden hatten vor diesem Hintergrund keinen Erfolg, obwohl das BVerfG deutliche Zweifel an der Verhandlungsführung anmeldete.

Grundsatz der Subsidiarität gilt auch gegenüber Anhörungsrüge

Die Bundesverfassungsrichter betonten, dass Betroffene Optionen ausschöpfen müssen, damit Verfahrensfehler nach Möglichkeit noch von den Fachgerichten korrigiert werden. Die Nachrangigkeit der Verfassungsbeschwerde könne dazu führen, dass über die Erschöpfung des Rechtswegs im engeren Sinn hinaus auch eine Anhörungsrüge zur Korrektur von Gehörsverletzungen erhoben werden müsse. Dies gilt, so das BVerfG, selbst dann, wenn das fehlende rechtliche Gehör nicht gerügt werden soll, aber ein deutlicher Hinweis auf den übergangenen Vortrag zur Korrektur der angegriffenen Grundrechtsverletzung durch das Fachgericht hätte führen können. Die Ablehnung des Beweisantrags durch das Strafgericht müsse man im Hinblick auf § 418 Abs. 2 ZPO wohl als fehlerhaft einstufen, da Beweis über den Zustellungszeitpunkt hätte erhoben werden müssen. Aus Sicht der Verfassungsrichter wäre es naheliegend gewesen, das Gericht hier durch eine Anhörungsrüge nach § 33a StPO auf den falschen Prüfungsmaßstab hinzuweisen.

BVerfG, Beschluss vom 09.01.2023 - 2 BvR 2697/18

Redaktion beck-aktuell, 3. Februar 2023.