Anhebung der "absoluten Obergrenze" für staatliche Parteienfinanzierung verfassungswidrig
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© Uli Deck / dpa

Mit heute verkündetem Urteil hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass die Erhöhung des jährlichen Gesamtvolumens staatlicher Mittel für die Finanzierung politischer Parteien auf 190 Millionen Euro mit Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG unvereinbar und damit nichtig ist. Damit gelte wieder die alte Gesetzesgrundlage für die Parteienfinanzierung. Was das konkret für schon ausgezahlte Gelder heißt, blieb zunächst offen.

Sprung von 165 auf 190 Millionen Euro im Jahr 2019

Mit ihrem Normenkontrollantrag wenden sich 216 Mitglieder des 19. Deutschen Bundestages aus den Fraktionen von FDP, Grünen und Linken gegen Art. 1 des Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes und anderer Gesetze vom 10.07.2018 (PartGuaÄndG 2018), durch den das jährliche Gesamtvolumen staatlicher Mittel, das allen politischen Parteien im Wege der staatlichen Teilfinanzierung höchstens ausgezahlt werden darf (sogenannte "absolute Obergrenze"), für die im Jahr 2019 vorzunehmende Festsetzung auf 190 Millionen Euro angehoben wurde. Seit 1994 werden politischen Parteien staatliche Mittel als Teilfinanzierung des ihnen nach dem Grundgesetz obliegenden Auftrags, an der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken, zur Verfügung gestellt. Die Höhe der staatlichen Teilfinanzierung darf bei einer Partei deren jährlich selbst erwirtschaftete Einnahmen nicht überschreiten (sogenannte "relative Obergrenze"). Die "absolute Obergrenze" wurde zunächst auf 230 Millionen Deutsche Mark festgesetzt und in den Folgejahren mehrfach erhöht. Seit 2013 richtete sich die Erhöhung der absoluten Obergrenze nach einem Preisindex. Für das Jahr 2018 hätte die nach dem Index erhöhte absolute Obergrenze rechnerisch rund 165 Millionen Euro betragen. Mit Inkrafttreten des Art. 1 PartGuaÄndG 2018 im Juli 2018 wurde sie für 2019 auf 190 Millionen Euro angehoben. Mit Stimmen von Union und SPD hatte der Bundestag seinerzeit die deutliche Aufstockung beschlossen. Die Parteien begründeten das in erster Linie mit den wachsenden Herausforderungen durch die Digitalisierung wie Hackern, Fake News und Datenschutz im Netz. Um derartige Aufgaben bewältigen zu können, sei mehr Geld nötig.

Nachhaltigen Akzeptanzverlust vermeiden

Vor allem habe der Gesetzgeber die Höhe der Anhebung seinerzeit nicht ausreichend begründet, erklärte die Vorsitzende des Zweiten Senats und Vizepräsidentin des Gerichts, Doris König. "Die Parteien müssen nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich und organisatorisch auf die Zustimmung und Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger angewiesen bleiben", betonte König. Nach dem Grundsatz der Staatsfreiheit der Parteien dürfe der Staat den Prozess der politischen Willensbildung nicht beeinflussen. Auch dürfe der Umfang der Staatsfinanzierung nicht immer weiter anschwellen. König sagte, eine absolute Obergrenze für die staatliche Teilfinanzierung solle verhindern, dass bei den Bürgerinnen und Bürgern der Eindruck entstehe, die Parteien würden sich in unangemessener Weise aus öffentlichen Kassen selbst bedienen. "Denn ein solcher Eindruck kann zu einem nachhaltigen Akzeptanzverlust für dieses System führen", argumentierte die Vorsitzende Richterin.

Einsparpotenzial bei Kalkulation ist zu beachten

Dass sich die Verhältnisse einschneidend geändert hätten, haben die Parteien laut König zwar hinreichend dargelegt - die Anhebung könnte also gerechtfertigt sein. Jedoch ergeben sich nach ihren Worten aus dem Grundgesetz auch Begründungspflichten, denen der Gesetzgeber nicht ausreichend nachgekommen sei. Art. 1 PartGuaÄndG 2018 verfehle insoweit die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die staatliche Parteienfinanzierung und verstoße gegen Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG. Das Gesetz zur Erhöhung der Parteienfinanzierung erkläre nicht, warum mit 25 Millionen Euro gerade der Mehrbedarf durch die Digitalisierung angemessen ausgeglichen und zugleich die staatliche Parteienfinanzierung auf das unerlässliche Maß beschränkt werde. Ferner machte die Vorsitzende Richterin deutlich, dass bei den Kalkulationen auch Einsparpotenziale infolge neuer Verhältnisse zu berücksichtigen seien.

Angeblicher zusätzlicher Finanzbedarf zu unkonkret beschrieben

Mit Blick auf die finanziellen Auswirkungen der Digitalisierung verweise die Begründung des Gesetzentwurfs lediglich auf die Notwendigkeit "hoher Einstiegs- und Betriebsinvestitionen". In welcher Größenordnung derartige Investitionen und laufende Kosten anfallen oder zu erwarten sind, bleibe offen. Nichts Anderes gelte für die Ausführungen zu den innerparteilichen Partizipationsinstrumenten. Der Gesetzgeber nehme in der Begründung nur auf "durch Veränderungen der politisch-kulturellen und der rechtlichen Rahmenbedingungen bedingte Kosten" Bezug. Es fehle aber an jeglicher Darlegung, welcher Finanzbedarf aus den genannten Herausforderungen resultiere und in welchem Umfang demgemäß eine Erhöhung der absoluten Obergrenze geboten erscheine. Auch im weiteren Gesetzgebungsverfahren sei der durch die veränderten Verhältnisse hervorgerufene Finanzbedarf nicht konkretisiert worden.

Über AfD-Klage soll heute noch entschieden werden

Die AfD hatte ebenfalls in Karlsruhe geklagt. Sie kritisiert, die große Koalition habe das Gesetz während der Fußball-Weltmeisterschaft in nur zehn Tagen durch den Bundestag gebracht. In so kurzer Zeit sei keine Zeit für Oppositionsarbeit geblieben. Das Verfassungsgericht wollte sein Urteil hierzu um 14.00 Uhr verkünden (Az. 2 BvE 5/18). Allerdings sagte Richterin König schon in der ersten Verkündung, der Senat habe wegen der generellen Entscheidung die Frage der Verfassungsmäßigkeit beim Zustandekommen des Gesetzes offengelassen.

Union enttäuscht von Urteil

Die Spitze der Unionsfraktion hat enttäuscht auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Erhöhung der Parteienfinanzierung reagiert. "Natürlich hätte ich mir ein anderes Ergebnis gewünscht", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Abgeordneten im Bundestag, Thorsten Frei (CDU), am Dienstag in Berlin. Zugleich betonte er, das Gericht habe eine Linie gezogen, "das ist auch richtig so. (...) Und daran werden sich jetzt alle Parteien, auch die CDU, zu orientieren haben. Und damit werden wir umgehen." CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte, das Urteil bedeute, dass die in den betreffenden vier Jahren gezahlten 100 Millionen Euro zurückgezahlt werden müssten. Bei der CSU gehe es um rund 4 Millionen Euro für diesen Zeitraum. Die Partei habe bereits Vorsorge getroffen für den Fall eines solchen Urteils. Die Gelder seien in Erwartung einer solchen Entscheidung nicht ausgegeben worden. Auch SPD, FDP, AfD und Linke erklärten, die fraglichen Gelder sofort zurückzahlen zu können.

Rückzahlung von Geldern noch offen

Ob es dazu kommt, ist aber noch unklar. Die Entscheidung darüber obliege der Bundestagsverwaltung, erklärten Parteienforscherin Sophie Schönberger und Rechtswissenschaftler Joachim Wieland am Dienstag in Karlsruhe. Schönberger hatte in dem Verfahren die klagenden Abgeordneten von Grünen, FDP und Linkspartei vertreten, Wieland war Bevollmächtigter der Bundestags. Schönberger sagte, es sei rechtlich nicht einfach, an bestandskräftigen Bescheiden über die Zahlungen der vergangenen Jahre zu rütteln. Das stehe im Ermessen der Bundestagsverwaltung. "Das ist eine Verwaltungsentscheidung, die die Bundestagsverwaltung vor gewisse Herausforderungen stellen würde", sagte Wieland. Gegen eine Rückforderung spricht aus seiner Sicht, dass das Gericht anerkannt hat, dass infolge der Digitalisierung ein Mehrbedarf bestand. "Deswegen schiene mir eine elegantere Lösung zu sein, wenn der Gesetzgeber das durch ein rückwirkendes Gesetz klären würde." Alle Tatsachen lägen auf dem Tisch, so dass das innerhalb weniger Monate geschehen könne - dann müsste die Bundestagsverwaltung nicht unbedingt vorher eine Regelung festsetzen, sagte der Experte. Für die für den 15.02.2023 geplante Festsetzung der neuen Höhe der staatlichen Mittel für die anspruchsberechtigten Parteien reiche die Zeit wohl nicht, sagte er. Da gelte zunächst die alte Rechtslage.

BVerfG, Urteil vom 24.01.2023 - 2 BvF 2/18

Redaktion beck-aktuell, Gitta Kharraz, 24. Januar 2023 (ergänzt durch Material der dpa).