Amri-Un­ter­su­chungs­aus­schuss: Re­gie­rung muss V-Per­son-Füh­rer nicht be­nen­nen
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Das Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um wei­ger­te sich ge­gen­über dem Un­ter­su­chungs­aus­schuss zum An­schlag auf den Ber­li­ner Weih­nachts­markt am Breit­scheid­platz, einen V-Mann-Füh­rer beim Bun­des­amt für Ver­fas­sungs­schutz für eine Zeu­gen­be­fra­gung zu be­nen­nen. Einen da­ge­gen ge­rich­te­ten Or­ga­n­an­trag von Grü­nen, Links­par­tei, FDP hat das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt nun zu­rück­ge­wie­sen. Das par­la­men­ta­ri­sche Auf­klä­rungs­in­ter­es­se müsse hier aus­nahms­wei­se hin­ter den Be­lan­gen des Staats­wohls zu­rück­ste­hen.

Un­ter­su­chungs­aus­schuss will V-Mann-Füh­rer als Zeu­gen ver­neh­men

Am Abend des 19.12.2016 steu­er­te der At­ten­tä­ter Anis Amri einen Sat­tel­zug in eine Men­schen­men­ge auf einem Weih­nachts­markt am Ber­li­ner Breit­scheid­platz. Dabei star­ben elf Men­schen, viele wei­te­re wur­den zum Teil schwer ver­letzt. Den Fah­rer des ge­raub­ten Lkw hatte Amri zuvor er­schos­sen. Um die Hin­ter­grün­de des An­schlags und et­wai­ge Ver­säum­nis­se der zu­stän­di­gen Be­hör­den auf­zu­klä­ren, setz­te der Deut­sche Bun­des­tag einen Un­ter­su­chungs­aus­schuss ein. Als be­kannt wurde, dass das Bun­des­amt für Ver­fas­sungs­schutz min­des­tens eine V-Per­son in der von Amri re­gel­mä­ßig be­such­ten Fus­si­let-Mo­schee führ­te, er­such­te der Un­ter­su­chungs­aus­schuss das Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um per Be­weis­be­schluss, den V-Mann-Füh­rer beim Bun­des­amt für Ver­fas­sungs­schutz für eine Zeu­gen­ver­neh­mung zu be­nen­nen.

Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um will Iden­ti­tät nicht of­fen­le­gen

Das Bun­des­mi­nis­te­ri­um wei­ger­te sich, die Iden­ti­tät preis­zu­ge­ben. Es er­klär­te, dass der V-Mann-Füh­rer im Rah­men einer lau­fen­den Quel­len­ope­ra­ti­on ein­ge­setzt sei und sein Be­kannt­wer­den ein er­heb­li­ches Ent­tar­nungs­ri­si­ko für die von ihm ge­führ­te V-Per­son be­grün­de. Eine Ent­tar­nung führe in dem be­ob­ach­te­ten is­la­mis­ti­schen Um­feld, bei dem es sich um ein auf Klan­destin­i­tät be­dach­tes Kleinst­mi­lieu han­de­le, po­ten­ti­ell zu einer Ge­fahr für Leib und Leben der V-Per­son und auch des V-Per­son-Füh­rers. Die Zeu­gen­ver­neh­mung eines V-Per­son-Füh­rers einer lau­fen­den Quel­len­ope­ra­ti­on habe zudem er­heb­li­che Aus­wir­kun­gen auf die Ar­beits- und Funk­ti­ons­fä­hig­keit der Nach­rich­ten­diens­te. Die noch ak­ti­ve Quel­le ver­traue auf die ihr er­teil­te Ver­trau­lich­keits­zu­sa­ge. Werde diese ge­bro­chen, be­stehe die Ge­fahr, dass die Quel­le die Zu­sam­men­ar­beit von sich aus be­en­den werde. Gegen die Wei­ge­rung wen­de­ten sich Grüne, Links­par­tei, FDP im Or­gan­streit­ver­fah­ren und rüg­ten eine Ver­let­zung ihrer Rech­te sowie eine Ver­let­zung der Rech­te des Deut­schen Bun­des­ta­ges aus Art. 44 GG.

BVerfG: Staats­wohl über­wiegt aus­nahms­wei­se

Das BVerfG hat den An­trag zu­rück­ge­wie­sen. Die Wei­ge­rung, den zu­stän­di­gen V-Per­son-Füh­rer des Bun­des­am­tes für Ver­fas­sungs­schutz zu be­nen­nen, ver­let­ze nicht das Be­weis­er­he­bungs­recht des Un­ter­su­chungs­aus­schus­ses aus Art. 44 Abs. 1 Satz 1 GG. Das par­la­men­ta­ri­sche Auf­klä­rungs­in­ter­es­se müsse im vor­lie­gen­den Fall aus­nahms­wei­se hin­ter den Be­lan­gen des Staats­wohls in Form der Funk­ti­ons­fä­hig­keit der Nach­rich­ten­diens­te zu­rück­ste­hen. Die Bun­des­re­gie­rung könne eine Mit­wir­kung an der ge­plan­ten Ver­neh­mung von Zeu­gen im Un­ter­su­chungs­aus­schuss unter Be­ru­fung auf eine Ver­trau­lich­keits­zu­sa­ge al­ler­dings nur dann ver­wei­gern, wenn Grün­de des Staats­wohls dies im Ein­zel­fall zwin­gend er­for­dern.

Ge­fahr des Quel­len­ver­lus­tes

Dies könne in be­son­ders ge­la­ger­ten Sach­ver­hal­ten der Fall sein, wenn al­lein die Zu­sa­ge und Wah­rung un­ein­ge­schränk­ter Ver­trau­lich­keit die Ar­beits­fä­hig­keit der Nach­rich­ten­diens­te in einem be­stimm­ten Mi­lieu ge­währ­leis­ten kann. Für das Vor­lie­gen der­ar­ti­ger spe­zi­fi­scher Um­stän­de be­dür­fe es einer be­son­de­ren vor­he­ri­gen Be­grün­dung. Im vor­lie­gen­den Fall be­grün­de­ten die spe­zi­fi­schen Um­stän­de des Quel­len­ein­sat­zes die ernst­haf­te Be­sorg­nis, dass die be­trof­fe­ne V-Per­son und auch an­de­re Quel­len eine Ver­neh­mung des V-Per­son-Füh­rers als Bruch der ihnen ge­ge­be­nen Ver­trau­lich­keits­zu­sa­gen ver­ste­hen, das Ver­trau­en in die Ge­heim­hal­tung ihrer Iden­ti­tät ver­lie­ren und die Zu­sam­men­ar­beit mit dem Bun­des­amt für Ver­fas­sungs­schutz be­en­den.

Ein­satz in is­la­mis­tisch-ter­ro­ris­ti­schem Mi­lieu er­for­dert un­ein­ge­schränk­te Ver­trau­lich­keit

Das is­la­mis­tisch-ter­ro­ris­ti­sche Mi­lieu, in dem sich die vom V-Per­son-Füh­rer ge­führ­te Quel­le be­we­ge, sei in Kleinst­grup­pen or­ga­ni­siert und stark ab­ge­schot­tet. In­ner­halb des be­ob­ach­te­ten Mi­lieus be­stehe eine hohe Ge­walt­be­reit­schaft, die ins­be­son­de­re gegen jene ge­rich­tet sei, die mit dem zu be­sei­ti­gen­den frei­heit­li­chen Staat ko­ope­rier­ten. Im Fall ihrer Ent­tar­nung drohe nach­rich­ten­dienst­li­chen Quel­len un­mit­tel­ba­re Ge­fahr für Leib, Leben und Frei­heit. Dies be­grün­de eine ge­stei­ger­te Sen­si­bi­li­tät der Quel­le im is­la­mis­tisch-ter­ro­ris­ti­schen Mi­lieu und ein Be­dürf­nis nach un­ein­ge­schränk­ter Ver­trau­lich­keit.

Quel­len­ver­lust er­schwert In­for­ma­ti­ons­ge­win­nung er­heb­lich   

Der Ver­lust von Quel­len hätte im spe­zi­fi­schen Fall er­heb­li­ches Ge­wicht, da sich Quel­len in einem is­la­mis­tisch ge­präg­ten Mi­lieu nur schwer ge­win­nen las­sen. Der Ver­lust einer oder meh­re­rer Quel­len in einem sol­chen Um­feld könne den nach­rich­ten­dienst­li­chen Zu­gang zu In­for­ma­tio­nen, die für die in­ne­re Si­cher­heit der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land von gro­ßer Be­deu­tung seien, nach­hal­tig er­schwe­ren, wenn nicht sogar – je­den­falls zeit­wei­se – ganz ver­schlie­ßen.

Ab­wei­chen­de Mei­nung eines Rich­ters

BVerfG-Rich­ter Peter Mül­ler teilt die Auf­fas­sung der Se­nats­mehr­heit nicht. Diese habe die exe­ku­ti­ven Ge­heim­hal­tungs­in­ter­es­sen über­be­wer­tet. "Zwin­gen­de" Grün­de des Staats­wohls sind hier sei­ner An­sicht nach nicht fest­stell­bar. Es wäre Sache der An­trags­geg­ner ge­we­sen, das Ri­si­ko ein­tre­ten­der In­for­ma­ti­ons­ver­lus­te und damit ein­her­ge­hen­der Ein­schrän­kun­gen der Funk­ti­ons­fä­hig­keit der Nach­rich­ten­diens­te be­last­bar und nach­voll­zieh­bar dar­zu­le­gen. Daran fehle es aber.

BVerfG, Beschluss vom 16.12.2020 - 2 BvE 4/18

Redaktion beck-aktuell, 3. Februar 2021.

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