Altanschließer in Brandenburg scheitern mit Verfassungsbeschwerde

Es bleibt dabei: Sogenannte Altanschließer in Brandenburg können gezahlte Beiträge nicht aus Staats- und Amtshaftung zurückverlangen. Das Bundesverfassungsgericht hat am 01.07.2020 das OLG Brandenburg bestätigt, das im Anschluss an den BGH in Altanschließerfällen eine vom OVG Brandenburg abweichende Auffassung zum Entstehen der Beitragspflicht nach alter Rechtslage vertreten hat. Das OLG habe dadurch auch nicht die Bindungswirkung des BVerfG-Beschlusses von 2015 missachtet.

Altanschließer verzichteten auf Klage gegen Beitragsfestsetzung

Die Beschwerdeführer sind Eigentümer eines Grundstücks in Brandenburg, das vor dem Jahr 2000 an das kommunale Trinkwassernetz angeschlossen wurde. 2011 setzte der Zweckverband einen Anschlussbeitrag fest, den er auf seine Beitragssatzung in Verbindung mit dem 2004 geänderten § 8 Abs. Abs. 7 Satz 2 KAG Brandenburg stützte. Nach erfolglosem Widerspruch zahlten die Beschwerdeführer die festgesetzte Summe. Eine Klage hielten sie für aussichtslos, nachdem § 8 Abs. 7 KAG Bbg n. F. in anderen Verfahren für verfassungskonform erachtet worden war.

Nach BVerfG-Beschluss Rückzahlung aus Amtshaftung begehrt

Nach dem entgegengesetzten Kammerbeschluss des BVerfG von 2015 beantragten die Beschwerdeführer, ebenso wie eine Vielzahl weiterer Betroffener, erfolglos das Wiederaufgreifen des Verfahrens und die Rückzahlung des Betrages. Mit ihrer anschließend erhobenen Klage vor den Zivilgerichten verlangten sie Ersatz des entrichteten Anschlussbeitrags auf der Grundlage eines staats- und amtshaftungsrechtlichen Anspruchs. Das Oberlandesgericht Brandenburg wies die Klage im ersten Berufungsverfahren ab. Der Bundesgerichtshof hob dieses Urteil auf und verwies den Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurück, das die Klage daraufhin erneut abwies.

OVG Brandenburg: Entstehung der Beitragspflicht nach alter Rechtslage auch bei unwirksamer Satzung

Nach § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG Bbg n. F. entsteht anders als nach der alten Fassung eine Beitragspflicht frühestens mit dem Inkrafttreten der "rechtswirksamen" Satzung. Das Oberverwaltungsgericht Brandenburg legte die alte Fassung des Gesetzes dahin aus, dass für das Entstehen der Beitragspflicht der Zeitpunkt des Erlasses der ersten Satzung mit formellem Geltungsanspruch maßgeblich war, unabhängig von ihrer materiellen Wirksamkeit. War diese Satzung materiell unwirksam, musste nach Auffassung des OVG eine spätere (wirksame) Satzung auf den Zeitpunkt des Erlasses der ersten unwirksamen Satzung zurückwirken.

Neue Rechtslage verlangt explizit rechtswirksame Satzung

Dies hatte zur Folge, dass die Beitragspflicht wegen rückwirkender Festsetzungsverjährung gleich wieder erlosch. Dadurch war es in vielen Fällen von vornherein nicht möglich, Beiträge zu erheben. Dem wollte der Gesetzgeber durch die Neufassung des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG Bbg mit Wirkung zum 01.02.2004 entgegenwirken, die seither eine rechtswirksame Satzung als Voraussetzung für das Entstehen der Beitragspflicht ausdrücklich vorsieht.

BVerfG bejahte Verstoß gegen Rückwirkungsverbot in Altanschließerfällen

Das BVerfG entschied 2015 in einem Kammerbeschluss (BeckRS 2015, 56182), dass die Anwendung von § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG Bbg n. F. in Fällen, in denen unter Zugrundelegung der oberverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zu § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG Bgb a. F. Beiträge wegen Verjährung nicht mehr erhoben werden könnten, gegen das Rückwirkungsverbot verstößt und verfassungswidrig ist.

BGH vertritt abweichende Auffassung

Der Bundesgerichtshof entschied demgegenüber, dass der an die Beschwerdeführer gerichtete Beitragsbescheid nicht deswegen rechtswidrig sei, weil die Beitragsforderung infolge von Verjährung nicht mehr hätte geltend gemacht werden dürfen. Entgegen der Rechtsprechung des OVG Brandenburg setze auch schon die alte Fassung von § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG Bbg für das Entstehen der Beitragspflicht und damit für den Beginn der Festsetzungsverjährung das Inkrafttreten einer rechtswirksamen Satzung voraus.

Auch zeitliche Obergrenze für Vorteilsausgleich eingehalten

Der die Beschwerdeführer belastende Beitragsbescheid halte sich auch innerhalb der durch § 19 Abs. 1 Satz 1 KAG Bbg vorgegebenen zeitlichen Obergrenze für den Vorteilsausgleich. Danach dürften Anschlussbeiträge ungeachtet der Satzungslage nach Vollendung des 15. Kalenderjahres, das auf den Eintritt der tatsächlichen Vorteilslage folge, nicht mehr erhoben werden, wobei der Lauf der Frist bis zum 03.10.2000 gehemmt sei und Beiträge damit erst ab dem 03.10.2015 nicht mehr festgesetzt werden dürften.

Missachtung der Rechtsprechung von BVerfG und OVG Brandenburg gerügt

Die Beschwerdeführer machten im Verfassungsbeschwerdeverfahren insbesondere geltend, das OLG Brandenburg und der BGH setzten sich in verfassungsrechtlich unzulässiger Weise über die Rechtsprechung des BVerfG und des OVG Brandenburg hinweg. Die angegriffenen Entscheidungen verstießen daher gegen Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG sowie gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

BVerfG: Keine unmittelbare Betroffenheit durch BGH-Urteil

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde bereits für unzulässig erachtet, soweit sich die Beschwerdeführer gegen das BGH-Urteil wenden. Es mangele an der erforderlichen Beschwerdebefugnis. Die Beschwerdeführer würden durch diese Entscheidung nicht unmittelbar in ihren im Verfassungsbeschwerdeverfahren rügefähigen Rechten betroffen. In deren Rechtsstellung werde angesichts des Erfolgs ihrer Revision und der damit verbundenen Rückverweisung erst durch das erneut klageabweisende Urteil des OLG eingegriffen.

Bindungswirkung des BVerfG-Beschlusses durch OLG nicht missachtet

Soweit die Beschwerdeführer das OLG-Urteil angriffen, sei die Verfassungsbeschwerde unbegründet. Sie würden nicht in ihrem Grundrecht auf Rechtssicherheit und Vertrauensschutz nach Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verletzt. Das OLG habe die sich aus § 31 Abs. 1 BVerfGG ergebende Bindungswirkung des Kammerbeschlusses des BVerfG nicht in verfassungswidriger Weise missachtet. Zwar sei das BVerfG von einer konstitutiven Änderung der Rechtslage durch § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG Bbg n. F. ausgegangen. Zu diesem Ergebnis sei das Gericht jedoch nur vor dem Hintergrund gelangt, dass § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG Bbg a. F. von den Verwaltungsgerichten vertretbar in einem Sinn ausgelegt wurde, der mit der Neuregelung ausgeschlossen werden sollte. Insofern sei es dem OLG (und auch dem BGH) nicht verwehrt gewesen, eine andere methodisch vertretbare Auslegung von § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG Bbg a. F. vorzunehmen.

Zivilgerichte müssen verwaltungsgerichtlicher Auslegung nicht folgen

Das OLG habe sich in der Sache den Ausführungen des BGH angeschlossen und eine eigenständige, von den Verwaltungsgerichten abweichende Auslegung des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG Bbg a. F. vorgenommen. Verfassungsrechtlich sei diese Auslegung nicht zu beanstanden. Das OLG sei auch nicht verpflichtet, sich der Rechtsprechung des OVG Brandenburg anzuschließen. Zudem hätten es die Beschwerdeführer unterlassen, den Rechtsschutz der Verwaltungsgerichte anzurufen.

Zeitliche Obergrenze für Vorteilsausgleich verfassungskonform

Ferner hat das BVerfG entschieden, dass die zugleich angegriffene Regelung in § 19 Abs. 1 Satz 3 KAG Bbg nicht gegen das Gebot der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes verstößt. Das Rechtsstaatsprinzip schütze in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit davor, dass lange zurückliegende und abgeschlossene Vorgänge unbegrenzt zur Anknüpfung neuer Lasten herangezogen werden können. Der Gesetzgeber sei bei der Erhebung von Beiträgen verpflichtet, Verjährungsregelungen zu treffen oder jedenfalls im Ergebnis sicherzustellen, dass Beiträge nicht unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden können. Dabei stehe ihm ein weiter Gestaltungsspielraum zu.

Gesetzgeberischer Gestaltungsspielraum nicht überschritten

Sowohl die in § 19 Abs. 1 Satz 3 KAG Bbg geregelte Hemmung der Frist infolge der Deutschen Einheit als auch die aus § 19 Abs. 1 Satz 1 und 3 KAG Bbg resultierende Maximalfrist von 25 Jahren hielten sich in Anbetracht der Sondersituation der neuen Länder und angesichts des in die Zukunft fortwirkenden Vorteils eines Anschlusses an Trinkwasserversorgungs- und Abwasserbeseitigungsanlagen noch im Rahmen gesetzgeberischer Einschätzung.

OLG-Entscheidung auch nicht willkürlich

Die OLG-Entscheidung verstoße auch nicht gegen das sich aus Art. 3 Abs. 1 GG ergebende Willkürverbot. Die Auslegung von § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG Bbg a. F. durch die Zivilgerichte erscheine zwar nicht zwingend. Die Grenze zur Willkür sei jedoch nicht überschritten. Auch der Umstand, dass das OLG der Rechtsprechung des OVG Brandenburg nicht gefolgt sei, begründe nicht den Vorwurf eines Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

BVerfG, Beschluss vom 01.07.2020 - 1 BvR 2838/19

Redaktion beck-aktuell, 11. August 2020.