Altanschließer mit Verfassungsbeschwerden gegen Anschlussbeiträge für "Nachwendeinvestitionen" gescheitert

Mehrere Altanschließer in Mecklenburg-Vorpommern, deren Grundstücke bereits zu DDR-Zeiten an die Kanalisation angeschlossen waren, haben sich vor dem Bundesverfassungsgericht ohne Erfolg gegen Anschlussbeiträge für sogenannte Nachwendeinvestitionen gewehrt. Das BVerfG sah in seinem Beschluss vom 29.06.2020 weder das Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit noch das Gebot der Belastungsgleichheit verletzt.

Altanschließer zu Beiträgen für "Nachwendeinvestitionen" herangezogen

Die Beschwerdeführer sind Eigentümer von Grundstücken in Mecklenburg-Vorpommern, die bereits vor der Wiedervereinigung über einen Anschluss an eine Abwasserentsorgungseinrichtung verfügten. Im Jahr 2005 wurden die Beschwerdeführer für nach der Wiedervereinigung getätigte Investitionsmaßnahmen zur Zahlung von Schmutzwasseranschlussbeiträgen herangezogen. Die dagegen erhobenen Klagen blieben vor den Verwaltungsgerichten in allen Instanzen bis hin zum Bundesverwaltungsgericht erfolglos.

Zeitlich unbegrenzt mögliche Inanspruchnahme gerügt

Die Beschwerdeführer rügten mit ihren Verfassungsbeschwerden im Wesentlichen eine Verletzung des Gebots der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG). Denn die maßgeblichen Vorschriften des Kommunalabgabengesetzes für das Land Mecklenburg-Vorpommern, insbesondere § 9 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 KAG M-V a. F., ermöglichten eine zeitlich unbegrenzte Inanspruchnahme der Beitragsschuldner nach der Erlangung des für die Beitragspflicht maßgeblichen Vorteils.

BVerfG: Beschwerdeführer mussten jedenfalls bis Ende 2008 mit Beitragserhebung rechnen

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung angenommen. Das Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit sei nicht verletzt. § 9 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 KAG M-V a. F. habe zwar bei unterbliebenem oder fehlerhaftem Erlass einer Beitragssatzung eine zeitlich unbegrenzte Festsetzung von Beiträgen ermöglicht. Auch § 12 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 KAG M-V a. F. habe keine zeitliche Höchstgrenze der Inanspruchnahme normiert, sondern lediglich die Festsetzungsverjährungsfrist im Sinn einer Mindestfrist verlängert. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hätten Betroffene wegen der in § 12 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 KAG M-V a. F. enthaltenen Frist jedoch die Gewissheit gehabt, jedenfalls bis zum Ablauf des 31.12.2008 mit der Heranziehung zu Anschlussbeiträgen rechnen zu müssen, sodass sich der Verstoß nicht auf Bescheide auswirkte, die - wie hier - zuvor erlassen wurden. Verfassungsrechtlich sei dies nicht zu beanstanden.

Zeitraum von 18 Jahren für Inanspruchnahme von gesetzgeberischem Gestaltungsspielraum gedeckt

Das BVerfG hat auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken dagegen, dass § 12 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 KAG M-V a. F. die Erhebung von Anschlussbeiträgen für eine 18-jährige Zeitspanne ermöglichte. Denn diese halte sich im Rahmen des weiten gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums, der dem Gesetzgeber im Bereich der Beitragserhebung zum Ausgleich von Vorteilen zukomme. Gegen die Annahme der Gerichte, die Erhebung von Schmutzwasseranschlussbeiträgen in Altanschließungsfällen sei rechtmäßig, sei jedenfalls dann verfassungsrechtlich nichts einzuwenden, wenn die Beitragsbescheide nur solche Aufwendungen zum Gegenstand haben, die nach der Wiedervereinigung entstanden sind.

Altanschließer erhalten gleichen Vorteil wie Neuanschließer

Auch einen Verstoß gegen das Gebot der Belastungsgleichheit hat das BVerfG verneint. Für die Erhebung der Anschlussbeiträge von den Beschwerdeführern bestehe auch ein hinreichender sachlicher Grund. Dieser liege in dem wirtschaftlichen Vorteil, der den Grundstücken der Beschwerdeführer durch die Nachwendeinvestitionen im gleichen Maß wie den Neuanschließern vermittelt werde. Vielmehr würde es gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen, wenn hier nur die Neuanschließer für denselben Vorteil zu Beiträgen herangezogen würden, nicht jedoch die Beschwerdeführer als Altanschließer.

BVerfG, Beschluss vom 29.06.2020 - 1 BvR 1866/15

Redaktion beck-aktuell, 13. August 2020.