BVerfG ändert Unterschriften-Quoren für Zulassung zur Bundestagswahl nicht
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Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat das Bundesverfassungsgericht Anträge der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands (MLPD) und der Bayernpartei e. V. gegen den Deutschen Bundestag abgewiesen. Beide Parteien hatten die Feststellung begehrt, dass ihre Rechte verletzt oder unmittelbar gefährdet wurden, weil der Bundestag die Vorschriften des Bundeswahlgesetzes zur Vorlage von Unterstützungsunterschriften in Corona-Zeiten nicht aussetzte oder die Quoren anpasste.

Kleinparteien auf Unterstützungsunterschriften angewiesen

Parteien, die nicht im Bundestag oder in einem Landtag seit deren letzter Wahl ununterbrochen mit mindestens fünf Abgeordneten vertreten waren, können gemäß § 18 Abs. 2 BWahlG nur dann an der Bundestagswahl teilnehmen, wenn der Bundeswahlausschuss ihre Parteieigenschaft festgestellt hat. Fällt eine Partei in den Anwendungsbereich dieser Norm, benötigt sie zudem Unterstützungsunterschriften für Kreiswahlvorschläge sowie für die Aufstellung von Landeslisten. Kreiswahlvorschläge politischer Parteien benötigen die Unterstützung von 200 Wahlberechtigten des Wahlkreises, die den Kreiswahlvorschlag persönlich und handschriftlich unterzeichnen müssen (§ 20 Abs. 2 Satz 2 BWahlG). Landeslisten politischer Parteien sind von 0,1% der Wahlberechtigten des Landes bei der letzten Bundestagswahl, höchstens jedoch von 2.000 Wahlberechtigten, persönlich und handschriftlich zu unterzeichnen (§ 27 Abs. 1 Satz 2 BWahlG).

MLPD und Bayernpartei fordern pandemiebedingte Anpassung

Die Antragstellerinnen sind politische Parteien, die derzeit weder in einem Landtag noch im Deutschen Bundestag vertreten sind. Sie wenden sich im Weg des Organstreitverfahrens dagegen, dass der Deutsche Bundestag es bislang unterlassen hat, wegen der geänderten Rahmenbedingungen politischer Kommunikation infolge der COVID-19-Pandemie die genannten gesetzlichen Regelungen der Unterstützungsunterschriften im Hinblick auf die Bundestagswahl 2021 auszusetzen oder zu ändern.

BVerfG verwirft Anträge als unzulässig

Das BVerfG hat die Anträge als unzulässig verworfen. Die Antragstellerinnen seien nicht antragsbefugt, da sie die Möglichkeit einer Verletzung ihres Rechts auf Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG nicht in einer den Begründungsanforderungen von § 23 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG genügenden Weise dargelegt haben. Sie hätten zwar dargelegt, dass das Erfordernis von Unterstützungsunterschriften gemäß § 20 Abs. 2 Satz 2, § 27 Abs. 1 Satz 2 BWahlG einen Eingriff in das Recht auf Chancengleichheit beinhalte. Auch hätten sie zutreffend darauf hingewiesen, dass das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung wahlrechtliche Unterschriftenquoren für sachlich gerechtfertigt erachtet habe, wenn und soweit sie dazu dienten, den Wahlakt auf ernsthafte Wahlvorschläge zu beschränken und so der Gefahr der Stimmenzersplitterung vorzubeugen. Die Antragstellerinnen hätten zudem hinreichend erläutert, dass die pandemiebedingten, auf nicht absehbare Zeit fortbestehenden Kontaktverbote und -beschränkungen eine Veränderung der tatsächlichen Rahmenbedingungen für das Sammeln der erforderlichen Unterstützungsunterschriften darstellen. Es sei offenkundig, dass die Beibringung der Unterstützungsunterschriften unter erheblich erschwerten Bedingungen stattfinden müsse.

Antragsbegehren nur unzureichend begründet

Diese Darlegungen genügten aber den Begründungsanforderungen gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG nicht. Denn es folge nicht ohne Weiteres, dass der Antragsgegner verpflichtet sei, bei der Bundestagswahl 2021 die Anwendbarkeit von § 20 Abs. 2 Satz 2, § 27 Abs. 1 Satz 2 BWahlG vollständig auszusetzen. Dass es verfassungsrechtlich geboten sei, bei der bevorstehenden Bundestagswahl auf das Erfordernis der Beibringung von Unterschriften vollständig zu verzichten, werde von den Antragstellerinnen nicht nachvollziehbar dargelegt und sei auch in sonstiger Weise nicht ersichtlich. Ebenso genügten die Ausführungen nicht, um zumindest die Verengung des Gestaltungsspielraums des Antragsgegners auf eine Verpflichtung zur Absenkung der Zahl der erforderlichen Unterstützungsunterschriften zu begründen.

Keine hinreichende Auseinandersetzung mit angegriffenen Regelungen

Mit den in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entwickelten Maßstäben für die verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit von Unterschriftenquoren für parlamentarisch nicht vertretene Parteien setzten sich die Antragstellerinnen nicht substantiiert auseinander. Es fehle an einer substantiierten Darlegung, dass der Antragsgegner davon ausgehend aufgrund der pandemiebedingten Veränderungen der Rahmenbedingungen politischer Kommunikation überhaupt zur Anpassung der Regelungen zur Wahlteilnahme von nicht in den Parlamenten vertretenen Parteien verpflichtet sei. Denn auch das Erfordernis des Nachweises der Ernsthaftigkeit der Wahlteilnahme sei weiter zu beachten. Er rechtfertige unter normalen Umständen Unterschriftenquoren bis zu 0,25% der Wahlberechtigten. Dahinter bleibe die gesetzliche Regelung in § 20 Abs. 2 Satz 2, § 27 Abs. 1 Satz 2 BWahlG deutlich zurück.

Bisherige Quoren können trotz Pandemie zulässig sein

Damit habe der Gesetzgeber den Gestaltungsspielraum, der ihm von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für die Festsetzung der Höhe der Unterschriftenquoren unter normalen Umständen eingeräumt werde, bei weitem nicht ausgeschöpft. Folglich könne nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass bei einer Erschwerung der Beibringung die Beibehaltung der gesetzlichen Quoren die Grenze des verfassungsrechtlich Zulässigen überschreite. Vielmehr wäre es für die Antragstellerinnen erforderlich gewesen, nachvollziehbar zu begründen, dass aufgrund der pandemiebedingten Veränderungen der Rahmenbedingungen für das Sammeln von Unterstützungsunterschriften die Wahlteilnahme der nicht im Parlament vertretenen Parteien hierdurch praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert werde und dass daher der Antragsgegner von Verfassungs wegen zur Absenkung der gesetzlichen Unterschriftenquoren verpflichtet sei.

Antragsteller behaupten pauschal Unmöglichkeit der Unterschriftenbeibringung

Das könne dem Vortrag der Antragstellerinnen nicht in ausreichendem Maße entnommen werden. Sie beschränkten sich insoweit im Wesentlichen auf die bloße Behauptung, aufgrund der angeordneten Kontaktverbote und -beschränkungen sei die Beibringung der erforderlichen Unterschriften "massiv erschwert, wenn nicht gar im Einzelfall unmöglich". Dies sei nicht ohne Weiteres plausibel. So trage eine der beiden Antragstellerinnen vor, sie verfüge in Bayern über 5.000 Mitglieder. Warum es ihr angesichts dessen nicht möglich sein solle, die gesetzlichen Unterschriftenquoren zu erfüllen, erschließe sich nicht. In diesem Zusammenhang fehle es auch an einer Auseinandersetzung mit dem für die Beibringung von Unterstützungsunterschriften zur Verfügung stehenden Zeitraum von mehr als einem Jahr. Selbst bei Annahme einer dem Grunde nach bestehenden Pflicht zur Anpassung der gesetzlichen Regelungen an die pandemiebedingten Einschränkungen der politischen Kommunikation im öffentlichen Raum hätte es einer gesonderten Begründung für die Verengung des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers auf eine Pflicht zur Absenkung der Unterschriftenquoren gemäß § 20 Abs. 2 Satz 2, § 27 Abs. 1 Satz 2 BWahlG bedurft.

BVerfG, Beschluss vom 13.04.2021 - 2 BvE 1/21

Redaktion beck-aktuell, 27. April 2021.