CDU-Abgeordneter fordert mehr Zeit
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Thomas Heilmann hatte einen Antrag auf eine einstweilige Anordnung gestellt. Diese sollte dem Bundestag die abschließende Beratung und Abstimmung über das Gesetz untersagen, wenn der Gesetzentwurf den Abgeordneten nicht mindestens 14 Tage vorher schriftlich vorliegt. Heilmann hatte argumentiert, seine Rechte als Abgeordneter, insbesondere sein Recht auf gleichberechtigte Teilhabe an der parlamentarischen Willensbildung aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG, seien durch das Gesetzgebungsverfahren erheblich verletzt worden. Wegen der maximal verkürzten Beratungen zur Novelle des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) im Parlament könne man keine konzeptionellen Schwächen des Gesetzespakets aufzeigen und ändern.
Recht zu beraten setzt hinreichende Information voraus
Das BVerfG gab dem Eilantrag nun statt. Heilmanns Hauptsacheantrag im Organstreitverfahren erscheine weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Den Abgeordneten stehe nicht nur das Recht zu, im Deutschen Bundestag abzustimmen, sondern auch das Recht zu beraten. Dies setze ungeachtet der Verfahrensautonomie eine hinreichende Information über den Beratungsgegenstand voraus. Die Abgeordneten müssten dabei Informationen nicht nur erlangen, sondern diese auch verarbeiten können. Dies sei hier fraglich, da der streitige Beratungsgegenstand – auch nach Ansicht des Antragsgegners - eine erhebliche Verdichtung der zeitlichen Abläufe und eine "nicht geringe Komplexität" aufweise.
Folgenabwägung zugunsten des Antragstellers
Die Folgenabwägung führe zum Ergebnis, "dass die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechenden Gründe überwiegen". Das Interesse an der Vermeidung einer irreversiblen Verletzung der Beteiligungsrechte wiege schwerer als der Eingriff in die Verfahrensautonomie des Bundestags, der die Gesetzgebung lediglich verzögere. Für das weitere Verfahren gibt es laut BVerfG nun zwei Möglichkeiten: Entweder trifft sich der Bundestag zu einer Sondersitzung in der Sommerpause, die eigentlich nach diesem Freitag beginnt - oder der Beschluss wird auf die Zeit ab September vertagt, wenn der Bundestag regulär wieder zusammenkäme. Die Entscheidung fiel im Zweiten Senat mit fünf gegen zwei Stimmen.
Union spricht von "schwerer Niederlage der Ampel"
Unionsfraktionschef Friedrich Merz wertete den Stopp als "schwere Niederlage für die Bundesregierung von Olaf Scholz". "Dem unsäglichen Umgang der Bundesregierung mit dem Parlament und der Öffentlichkeit wurde nun ein Riegel vorgeschoben", sagte der CDU-Vorsitzende der Deutschen Presse-Agentur. "Olaf Scholz und seine Bundesregierung wären gut beraten, das Urteil aus Karlsruhe zum Innehalten zu nutzen. So wie bisher kann es im Deutschen Bundestag nicht weitergehen." Der Chef der CSU-Abgeordneten im Bundestag, Alexander Dobrindt, sagte in Berlin: "Die Ampel sollte jetzt in sich gehen und dieses Murks-Gesetz endlich einstampfen." CSU-Generalsekretär Martin Huber sprach von einer "schallenden Ohrfeige für die Bundesregierung". Er forderte: "Das Heizgesetz muss weg und komplett neu aufgesetzt werden."
Ampel will schnell über neuen Termin entscheiden
Der FDP-Vizevorsitzende Wolfgang Kubicki wertete den Karlsruher Eilbeschluss als "verdiente Quittung für die Grünen, die in dieses Verfahren einen unerklärlichen Druck hineingegeben haben", wie er der Funke-Mediengruppe sagte. Der FDP-Abgeordnete Frank Schäffler lobte die Entscheidung. "Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit. Es war falsch, den Grünen hier auf den Leim zu gehen", schrieb er auf Twitter. SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch reagierte gelassen. "Die Entscheidung ist selbstverständlich zu respektieren. Den Inhalt des Gesetzes betrifft sie nicht", sagte er der Düsseldorfer "Rheinischen Post" (Donnerstag). "Ausdrücklich weist das Gericht auf die Möglichkeit einer Sondersitzung hin, über die nun beraten werden muss." Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge sagte, man habe Respekt vor dem Urteil und werde "schnell in der Ampel über den neuen Termin zur abschließenden Beratung entscheiden".
"Schneller Fahrplan" für Gebäudeenergiegesetz
Wochenlang hatten die Ampel-Partner über das Heizungsgesetz von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Bauministerin Klara Geywitz (SPD) gestritten. Vor allem die FDP hatte Bedenken. Zunächst hatte das Kabinett den Gesetzentwurf beschlossen. Aber noch vor der ersten Lesung im Bundestag am 15.06.2023 hatte die Ampel weitere Änderungen vereinbart, die sie in teils vage formulierten "Leitplanken" festhielt - ein sehr ungewöhnliches Verfahren, das dazu führte, dass eine erste Expertenanhörung im Ausschuss für Klimaschutz und Energie zu dem zu diesem Zeitpunkt schon veralteten ursprünglichen Gesetzentwurf stattfand. Der Ausschuss hatte in einer Sondersitzung einen schnellen "Fahrplan" zur Verabschiedung des Gesetzes unter Berücksichtigung möglicher Änderungen noch vor der Sommerpause beschlossen. Am 27.06.2023 hatten die Vertreter der Koalitionsfraktionen die Ergebnisse ihrer Verhandlungen zu noch offenen Punkten bekannt gegeben und am 30.06.2023 eine 94-seitige Synopse des Gesetzentwurfs und der Änderungsvorschläge sowie einen 14-seitigen Begründungsteil vorgelegt. Nach einer weiteren Anhörung des Ausschusses wurde ein Änderungsantrag zum Entwurf des Gebäudeenergiegesetzes formuliert, der sodann erneut beraten wurde und über den morgen, am 07.07.2023, im Anschluss an die zweite und dritte Lesung im Deutschen Bundestag abgestimmt werden sollte.