BVerfG: Ab­schie­bung nach Grie­chen­land wegen un­zu­rei­chen­der Sach­auf­klä­rung un­zu­läs­sig

Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt hat der Ver­fas­sungs­be­schwer­de eines ab­ge­lehn­ten Asyl­be­wer­bers aus Sy­ri­en, der zuvor be­reits in Grie­chen­land als Flücht­ling an­er­kannt wor­den war, gegen seine dro­hen­de Ab­schie­bung dort­hin statt­ge­ge­ben. Das Ver­wal­tungs­ge­richt habe den Eil­an­trag des Flücht­lings ohne aus­rei­chen­de Sach­auf­klä­rung ab­ge­lehnt, ob­wohl An­halts­punk­te dafür vor­ge­le­gen hät­ten, dass dem Be­schwer­de­füh­rer in Grie­chen­land wegen eines fak­ti­schen Aus­schlus­ses von So­zi­al­leis­tun­gen eine un­mensch­li­che oder er­nied­ri­gen­de Be­hand­lung drohe (Be­schluss vom 08.05.2017, Az.: 2 BvR 157/17).

In Grie­chen­land an­er­kann­ter sy­ri­scher Flücht­ling soll ab­ge­scho­ben wer­den

Der sy­ri­sche Be­schwer­de­füh­rer reis­te im Juli 2015 in die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land ein und stell­te im De­zem­ber 2015 einen Asyl­an­trag. Im Rah­men einer An­hö­rung gab er an, ein be­reits in Grie­chen­land ge­stell­ter Asyl­an­trag sei dort po­si­tiv be­schie­den wor­den. Al­ler­dings habe er in Grie­chen­land auf der Stra­ße ge­lebt und keine Un­ter­stüt­zung vom grie­chi­schen Staat er­hal­ten. Das Bun­des­amt für Mi­gra­ti­on und Flücht­lin­ge lehn­te dar­auf­hin den Asyl­an­trag mit Hin­weis auf die Schutz­ge­wäh­rung in Grie­chen­land als un­zu­läs­sig ab. Der Be­schwer­de­füh­rer erhob da­ge­gen Klage beim Ver­wal­tungs­ge­richt und stell­te einen An­trag auf An­ord­nung der auf­schie­ben­den Wir­kung der Klage. Das VG wies den Eil­an­trag ab. Aus den zu­gäng­li­chen Quel­len lasse sich nicht ent­neh­men, dass an­er­kannt Schutz­be­rech­tig­te in Grie­chen­land sys­te­ma­tisch schlech­ter be­han­delt wür­den als In­län­der. Zudem habe sich die Si­tua­ti­on für Flücht­lin­ge in den letz­ten Mo­na­ten deut­lich ver­bes­sert. Mit sei­ner Ver­fas­sungs­be­schwer­de rügte der Be­schwer­de­füh­rer ins­be­son­de­re die Ver­let­zung sei­nes Rechts auf Ge­währ­leis­tung ef­fek­ti­ven Rechts­schut­zes (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG).

BVerfG: Rechts­schutz­ga­ran­tie wegen un­zu­rei­chen­der Sach­auf­klä­rung ver­letzt

Das BVerfG hat der Ver­fas­sungs­be­schwer­de statt­ge­ge­ben und die ver­wal­tungs­ge­richt­li­chen Be­schlüs­se auf­ge­ho­ben. Diese wür­den den An­for­de­run­gen, die Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG an die Ge­währ­leis­tung eines ef­fek­ti­ven Rechts­schut­zes stel­le, nicht ge­recht. Wie das BVerfG aus­führt, komme der ver­fah­rens­recht­li­chen Sach­auf­klä­rungs­pflicht in Fäl­len, in denen es um die Be­ur­tei­lung der Auf­nah­me­be­din­gun­gen in einem Dritt­staat als un­mensch­li­che oder er­nied­ri­gen­de Be­hand­lung gehe, ver­fas­sungs­recht­li­ches Ge­wicht zu. Die fach­ge­richt­li­che Be­ur­tei­lung die­ser Frage müsse, je­den­falls wenn An­halts­punk­te für eine un­mensch­li­che oder er­nied­ri­gen­de Be­hand­lung vor­lä­gen, auf einer hin­rei­chend ver­läss­li­chen, auch ihrem Um­fang nach zu­rei­chen­den tat­säch­li­chen Grund­la­ge be­ru­hen. Dabei könne es ge­bo­ten sein, dass sich die zu­stän­di­gen Be­hör­den und Ge­rich­te vor einer Rück­füh­rung in den Dritt­staat über die dor­ti­gen Ver­hält­nis­se in­for­mie­ren und ge­ge­be­nen­falls Zu­si­che­run­gen der zu­stän­di­gen Be­hör­den ein­ho­len. So­weit ent­spre­chen­de Er­kennt­nis­se und Zu­si­che­run­gen im einst­wei­li­gen Rechts­schutz­ver­fah­ren nicht vor­lä­gen und nicht ein­ge­holt wer­den könn­ten, sei es zur Si­che­rung ef­fek­ti­ven Rechts­schut­zes ge­bo­ten, die auf­schie­ben­de Wir­kung der Klage an­zu­ord­nen.

Aus­ein­an­der­set­zung mit fak­ti­schem Aus­schluss von So­zi­al­leis­tun­gen fehlt

Laut BVerfG be­ruht die Schluss­fol­ge­rung des VG im We­sent­li­chen auf der An­nah­me, die Si­tua­ti­on des Be­schwer­de­füh­rers als an­er­kann­ter Schutz­be­rech­tig­ter in Grie­chen­land sei an­ders zu be­wer­ten als jene von Asyl­be­wer­bern. Der Um­stand, dass sich an­er­kannt Schutz­be­rech­tig­te auf eine Gleich­be­hand­lung mit In­län­dern be­ru­fen könn­ten, ge­nü­ge den uni­ons­recht­li­chen Vor­ga­ben. Das VG setze sich aber nicht damit aus­ein­an­der, dass die in Grie­chen­land ver­füg­ba­ren So­zi­al­leis­tun­gen – nach den vom Be­schwer­de­füh­rer vor­ge­leg­ten Er­kennt­nis­sen – an einen bis zu 20-jäh­ri­gen le­ga­len Auf­ent­halt an­knüp­fen, wes­halb an­er­kannt Schutz­be­rech­tig­te von der In­an­spruch­nah­me die­ser Leis­tun­gen fak­tisch aus­ge­schlos­sen seien. Zudem be­dür­fe es einer Aus­ein­an­der­set­zung mit der Ein­schät­zung, bei an­er­kannt Schutz­be­rech­tig­ten eben­so wie bei Asyl­be­wer­bern tref­fe die An­nah­me des Eu­ro­päi­schen Ge­richts­hofs für Men­schen­rech­te zu, dass es sich hier­bei um eine be­son­ders ver­letz­li­che Grup­pe han­delt, die zu­min­dest für eine Über­gangs­zeit auf staat­li­che Hilfe bei der In­te­gra­ti­on in den Auf­nah­me­staat an­ge­wie­sen ist.

VG hätte Ge­währ­leis­tung von Un­ter­brin­gung und Min­dest­ver­sor­gung prü­fen müs­sen

Dem BVerfG zu­fol­ge hätte es daher im vor­lie­gen­den Ein­zel­fall wei­te­rer Fest­stel­lun­gen dazu be­durft, ob und wie für nach Grie­chen­land zu­rück­ge­führ­te an­er­kannt Schutz­be­rech­tig­te zu­min­dest in der ers­ten Zeit nach ihrer An­kunft der Zu­gang zu Ob­dach, Nah­rungs­mit­teln und sa­ni­tä­ren Ein­rich­tun­gen si­cher­ge­stellt wird. Eine Zu­si­che­rung sei­tens der grie­chi­schen Be­hör­de, den Be­schwer­de­füh­rer zu­min­dest für eine Über­gangs­zeit un­ter­zu­brin­gen, sei im vor­lie­gen­den Ver­fah­ren nicht ab­ge­ge­ben und von Bun­des­amt oder Bun­des­re­gie­rung – so­weit er­sicht­lich – auch nicht an­ge­for­dert wor­den. Viel­mehr habe das Bun­des­amt in sei­nem Be­scheid le­dig­lich aus­ge­führt, dass davon aus­zu­ge­hen sei, dass Grie­chen­land die ein­schlä­gi­gen Re­ge­lun­gen des EU-Rechts ein­hal­te. Bei einer er­neu­ten Ent­schei­dung müsse das VG nun prü­fen, in­wie­weit seit der Ein­füh­rung all­ge­mei­ner So­zi­al­hil­fe­leis­tun­gen zum 01.01.2017 an­er­kannt Schutz­be­rech­tig­ten in Grie­chen­land in der Pra­xis Zu­gang zu die­sen ef­fek­tiv offen stehe.

BVerfG, Beschluss vom 08.05.2017 - 2 BvR 157/17

Redaktion beck-aktuell, 23. Mai 2017.

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