BVerfG rügt unterlassene Benachrichtigung bei Abschiebungshaft

Obwohl ein zur Abschiebung festgenommener Afghane ausdrücklich darum bat, sein Konsulat zu informieren, und erklärte, dass er in Stuttgart viele Bekannte habe und sein Bruder in Frankfurt lebe, unternahm das AG nichts. Damit hat es laut BVerfG gegen die Benachrichtigungspflicht aus Art. 104 Abs. 4 GG verstoßen.

Ein Afghane wurde zur Abschiebung festgenommen. Das AG Stuttgart wies ihn bei seiner Anhörung darauf hin, dass Angehörige/Vertrauenspersonen benachrichtigt werden könnten. Daraufhin bat der Mann ausdrücklich darum, das afghanische Konsulat zu informieren, und erklärte: "In Stuttgart habe ich viele Bekannte (…). Mein Bruder ist in Frankfurt seit einem Jahr." Das Gericht sagte aber niemandem Bescheid. Schließlich habe es ihn auf die "Möglichkeit" der Benachrichtigung hingewiesen, woraufhin der Mann keinen Ansprechpartner genannt habe, sodass er – nach Auffassung des AG – auf eine Benachrichtigung verzichtet habe. Das sah das LG auf seine Beschwerde hin genauso.

Der Asylbewerber nahm das so nicht hin und monierte, in seinem Recht aus Art. 104 Abs. 4 GG (Benachrichtigungspflicht bei Verhaftung) verletzt worden zu sein. Seine Reaktion auf den Hinweis, dass die "Möglichkeit" einer Benachrichtigung seiner Familie bestehe, habe das AG nicht dokumentiert. Auch könne aus einem bloßen Schweigen nicht darauf geschlossen werden, dass er auf eine Benachrichtigung verzichtet habe. Schließlich habe er den Wunsch geäußert, dass sein Konsulat informiert werde, womit er zum Ausdruck gebracht habe, dass Dritte von seiner Lage in Kenntnis gesetzt werden sollten. Seine Verfassungsbeschwerde hatte überwiegend Erfolg.

BVerfG: Gericht muss Angehörige benachrichtigen

Das BVerfG hat entschieden, dass das AG das Grundrecht des Afghanen aus Art. 104 Abs. 4 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG (Rechtsschutzgarantie) verletzt habe (Beschluss vom 16.04.2025 – 2 BvR 845/22). Das Gericht wäre verpflichtet gewesen, Angehörige über die Festnahme zu informieren. Telefonnummer und Adresse des Bruders hätte man leicht erfragen können, so der Vorwurf des BVerfG. Die gleiche Kritik richtete es an das LG, das in der Sache insoweit erneut entscheiden muss.

Pflicht zur aktiven Kontaktaufnahme verkannt

Die Kammer stellt fest: Das AG habe seine Pflicht zur eigenständigen und unverzüglichen Benachrichtigung Dritter verletzt. Nicht ausreichend sei, dem Inhaftierten lediglich eine "Möglichkeit" der Benachrichtigung einzuräumen. Vielmehr obliege es dem Gericht, auch bei unvollständigen Angaben eigenständig Kontaktmöglichkeiten zu ermitteln, etwa durch die Einholung einer Meldeauskunft. Dabei dürften sich die Richter nicht auf das Mitwirken des Festgehaltenen verlassen. Auch gegen die Dokumentationspflicht habe das AG verstoßen, indem es nicht festgehalten habe, wie der Mann auf den Hinweis reagierte oder warum letztlich keine Benachrichtigung erfolgte.

Zudem bemängelte das BVerfG, dass das LG den Antrag des Afghanen auf Feststellung eines Verfassungsverstoßes zurückgewiesen habe, ohne den tatsächlichen Ablauf gerichtsfest aufzuklären, womit es den Verstoß verfestigte.

Keine Annahme erfolgte dagegen für den Teil der Beschwerde, der sich gegen die Anordnung der Abschiebungshaft richtete. Eine zusätzliche Verletzung des Freiheitsgrundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Art. 104 Abs. 1 GG durch die fehlende Benachrichtigung liege nicht vor.

BVerfG, Beschluss vom 16.04.2025 - 2 BvR 845/22

Redaktion beck-aktuell, ns, 23. Mai 2025.

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