Das AG Würzburg hat einen Kläger in seinem Recht aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt, indem es einen noch vor Urteilsverkündung eingegangenen Antrag im weiteren Verfahren nicht berücksichtigt hat: Das Schreiben lag einen Tag vor Urteilsverkündung im Nachtbriefkasten. Dass es "bei Gericht noch digitalisiert werden" müsse, finde im Prozessrecht keine Stütze, so das BVerfG (Beschluss vom 24.07.2025 – 2 BvR 1379/23).
Die zuvor geführte Klage des Mannes gegen seinen Zahnarzt war vor allem an einem gerichtlichen Sachverständigengutachten gescheitert, das keinen Behandlungsfehler erkannte – der Unterlegene wandte sich daher in einem Urkundenprozess vor dem AG Würzburg gegen den Sachverständigen. Das Gericht ordnete ein vereinfachtes Verfahren ohne mündliche Verhandlung an (§ 495a ZPO) und gab zu verstehen, dass eine mündliche Verhandlung nur auf Antrag stattfinden würde. Dabei würden alle Schriftsätze bis zum 3. Mai 2023 berücksichtigt, andernfalls werde "im Bürowege" entschieden.
Einen Antrag auf mündliche Verhandlung warf der Kläger am 11. Juni 2023 in den Nachtbriefkasten der Justizbehörden Würzburg ein – über einen Monat nach Ablauf der gesetzten Stellungnahmefrist. Am Folgetag, dem 12. Juni 2023, wies das Gericht die Klage ohne mündliche Verhandlung mit Endurteil ab: Der Urkundenprozess sei nicht statthaft – die vorgetragenen Tatsachen trügen den einzig einschlägigen Haftungsanspruch gegen den Gerichtssachverständigen (§ 839a BGB) nicht. Außerdem sei der Antrag unbegründet, denn weder eine Unrichtigkeit des Gutachtens, die grobe Fahrlässigkeit des Sachverständigen oder der geltend gemachte Schaden seien schlüssig dargelegt gewesen.
Der Kläger erhob daraufhin eine Anhörungsrüge und forderte eine Nachholung der mündlichen Verhandlung – das Urteil sei willkürlich entgegen Art. 3 Abs. 1 GG ergangen und er in seinem rechtlichen Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt. Das AG wies die Rüge zurück, sodass der Kläger schließlich Verfassungsbeschwerde erhob. Das BVerfG hob das Endurteil auf und verwies die Sache an das AG Würzburg zurück.
Kein Anspruch auf ordnungsgemäßes Subsumieren, aber auf Gehör
Die 3. Kammer des Zweiten Senats stellte eingangs klar, worauf es bei einer Gehörsrüge ankommt: Das Recht auf rechtliches Gehör sei etwa nicht schon dann verletzt, wenn das Gericht Vorbringen aus formell- bzw. materiell-rechtlichen Gründen unberücksichtigt lasse.
Ebenso wenig garantiere Art. 103 Abs. 1 GG, dass das Gericht einem bestimmten Umstand die gewollte Bedeutung beimesse, oder gar, dass ordnungsgemäß subsumiert oder begründet werde. Die Gerichte treffe keine automatische Pflicht, sich mit jedem Vorbringen ausdrücklich zu befassen.
Digitalisierung schiebt Kenntnisnahme nicht auf
Sehr wohl schütze Art. 103 Abs. 1 GG aber davor, dass ein Vorbringen gar nicht erst zur Kenntnis genommen werde. Indem das AG den Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung übergangen habe, sei eben das hier aber geschehen.
Das ändere sich auch nicht etwa dadurch, dass das Schreiben "nach dessen Eingang bei Gericht noch digitalisiert werden" musste und daher "bei der Erstellung des Urteils nicht vorgelegen" habe. Für den Eingang sei es – so das BVerfG – gerade nicht erforderlich, dass das Schreiben der richtigen Geschäftsstelle übergeben wird. Es müsse lediglich in den Machtbereich des Gerichts gelangen, was hier geschehen sei. Damit war der Antrag noch vor Erlass des streitigen Endurteils eingegangen.
Prüfen hätte man müssen
Der Antrag habe auch nicht deshalb übergangen werden dürfen, weil er nach der gesetzten Stellungnahmefrist eingegangen war. Das AG habe zumindest prüfen müssen, ob die mündliche Verhandlung durchzuführen oder der Antrag – wenn man dies "einfach-rechtlich für zulässig" halte – als verspätetes Vorbringen nach § 296 ZPO oder § 296a ZPO zurückzuweisen gewesen wäre.
Insgesamt beruhe das Urteil auch auf dem Gehörverstoß, so die Kammer. Unterbleibe nämlich eine mündliche Verhandlung, könne ein Einfluss auf die Entscheidung nicht mehr ausgeschlossen werden. Eine mündliche Verhandlung betreffe den gesamten Prozessstoff – je nach Prozesslage, Verhalten der Gegenseite und (mündlichen) Hinweisen des Gerichts zu weiteren Vorträgen sei der Ausgang gerade nicht mehr sicher vorhersehbar.


