Polizeikosten-Urteil aus Karlsruhe: Sicherheit gegen Gebühr
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Der Steuerzahler muss nicht für Polizeieinsätze aufkommen, die nötig sind, um Hochrisikospiele des ertragreichen Profifußballs abzusichern, sagt das BVerfG. Wird es nur den Fußball treffen oder ist das eine Abkehr vom Prinzip des Steuerstaates?

Länder dürfen von ihren Fußballklubs Gebühren für Polizeieinsätze fordern, die notwendig sind, um bestimmte Hochrisikospiele mit zahlreichen gewaltbereiten Fans abzusichern. Das steht nach der Entscheidung des BVerfG vom Mittwoch fest (Urteil vom 14.01.2025 - 1 BvR 548/22). 

Dem Verfahren zugrunde lag die landesrechtliche Gebührenregelung des im November 2014 in Kraft getretenen § 4 Abs. 4 des Bremischen Gebühren- und Beitragsgesetzes (BremGebBeitrG). Danach wird für den polizeilichen Mehraufwand bei gewinnorientierten, erfahrungsgemäß gewaltgeneigten Großveranstaltungen mit mehr als 5.000 Personen eine Gebühr erhoben, die nach dem Mehraufwand zu berechnen ist, der für die Bereitstellung zusätzlicher Polizeikräfte entsteht. Wenngleich offen formuliert, war von vorneherein der Profifußball und damit der heimische Klub Werder Bremen klarer Adressat der Norm. 

Erster Anwendungsfall war dementsprechend auch das "Nord-Derby" zwischen dem SV Werder Bremen und dem Hamburger SV im April 2015, anlässlich dessen rund 1.000 Beamte im Einsatz waren. Die Stadt Bremen, die nicht länger auf den Kosten für solche Einsätze sitzen bleiben wollte, erließ einen Gebührenbescheid in Höhe von rund 425.000 Euro an die Deutsche Fußballliga (DFL), die für die Organisation und Vermarktung des deutschen Profifußballs zuständig ist.

BVerfG: Legitimes Ziel, Kosten auf diejenigen abzuwälzen, die Gewinne machen

Nachdem auf die Klage der DFL zunächst das VG Bremen den Gebührenbescheid beanstandet hatte, unterlag der Fußball-Dachverband in der Folge bis in die letzte Instanz vor dem BVerwG. Daraufhin zog die DFL nach Karlsruhe und rügte unter anderem eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 3 Abs. 1 GG. Der Erste Senat des BVerfG bestätigte nun aber das Urteil aus Leipzig: Es gebe "keinen allgemeinen Grundsatz, nach dem die polizeiliche Gefahrenvorsorge durchgängig kostenfrei zur Verfügung gestellt werden muss", führte Gerichtspräsident Stephan Harbarth in seiner Urteilsverkündung aus. Die Gebühren seien eine Gegenleistung der Bundesligaklubs, die für ihre Hochrisikospiele eine besondere Gefahrenvorsorge in Anspruch nähmen. Damit seien sie "objektiv Nutznießerinnen und Nutznießer der Bereitstellung von Polizeikräften", welche die Durchführung der Spiele ermöglichten. Das BVerfG führte aus, es sei ein legitimes Ziel des Gesetzgebers, Mehrkosten für Polizeieinsätze statt auf die Steuerzahlerinnen und -zahler auf diejenigen abzuwälzen, die mit den Veranstaltungen Gewinne machten.

Dabei sei es gerade nicht so, dass steuerfinanzierte staatliche Leistungen immer gebührenfrei seien müssten, betonte das Gericht. Dies zeige sich etwa daran, dass für den – sogar grundrechtlich in Art. 19 Abs. 4 GG explizit abgesicherten – Zugang zu Gerichten auch Gerichtsgebühren gefordert würden. Die Gefahrenvorsorge, so das BVerfG, sei keine allgemeine staatliche Tätigkeit, die zwingend ausschließlich aus dem Steueraufkommen zu finanzieren sei.

Sind Klubs verantwortlich für Fan-Randale?

Genau hier lag aber einer der zentralen Streitpunkte: Sind die Fußballklubs wirklich verantwortlich für Fan-Randale, die außerhalb des Stadions, gegebenenfalls Kilometer entfernt in einer Innenstadt stattfindet? Die Argumentation der DFL widersprach dem: Das sei eine allgemeine, steuerfinanzierte Aufgabe der Polizei, außerdem würden nicht die Klubs für die Einsätze sorgen, sondern einzelne Gewalttäter. Das BVerfG sah dies nun anders und folgte der Bremer Auffassung, wonach die Klubs nach dem Veranlasserprinzip für die Kosten verantwortlich seien.

Nun ist es aber in Deutschland grundsätzlich so, dass staatliche Grundaufgaben auch aus staatlichen Mitteln, sprich Steuergeldern, finanziert werden. Es bedarf also einer besonderen Begründung, warum dies im Fall eines Fußballspiels anders sein sollte. Und diese Begründung fußt auf dem besonderen Näheverhältnis, welches das Gericht den Veranstaltern zu den Polizeieinsätzen unterstellt: Indem sie eine Veranstaltung durchführten, bei der von erhöhtem Gewaltpotenzial auszugehen sei, veranlassten die Vereine eine "deutlich gesteigerte staatliche Sicherheitsvorsorge", womit sie "begrenzte öffentliche Ressourcen in deutlich übermäßigem Umfang in Anspruch" nähmen, so der Senat.

Das komme überraschend, denn das Veranlassungsprinzip habe im Verfahren bislang keine Rolle gespielt, erklärt Bernd Hoefer, Rechtsanwalt und Partner der Kieler Kanzlei Weissleder Ewer, der in Karlsruhe für die DFL auftrat, gegenüber beck-aktuell. Sowohl das OVG als auch das BVerwG hätten die Zurechnung zuvor nur darauf gestützt, dass der Veranstalter einer Großveranstaltung einen zurechenbaren Vorteil aus der Polizeitätigkeit ziehe. "Dabei dürfte der Gedanke Pate gestanden haben, dass jedenfalls Maßnahmen der Gefahrenabwehr nur dann nach dem Veranlassungsprinzip zugerechnet werden können, wenn auch im gefahrenabwehrrechtlichen Sinne eine Veranlassung vorliegt, der Veranstalter also Störer ist", so Hoefer. "Das BVerfG sagt in seinem heutigen Urteil, vereinfacht gesagt, dass die gefahrenabwehrrechtliche Veranlassung und die gebührenrechtliche Veranlassung nicht identisch seien. Man kann also gebührenrechtlich Veranlasser für Polizeigebühren sein, ohne gleichzeitig polizeirechtlich Veranlasser zu sein."

Die DFL hatte sich dagegen auf den Standpunkt gestellt, dass Fußballklubs nicht dafür haften müssten, wenn anderenorts in der Stadt anreisende Fans randalierten. Dem zu begegnen sei eine originäre Polizeiaufgabe, hier hätten die Klubs – anders als bei der Sicherheit im und um das Stadion – mangels Gewaltmonopol auch gar keine Möglichkeit, Ausschreitungen zu verhindern. Das BVerfG entgegnete dem nun, dass die Sicherheitslage in einer Stadt, in der ein solches Hochrisikospiel durchgeführt werde, deutlich anders zu bewerten sei als normalerweise. Das zeige auch das "Nord-Derby", das dem Verfahren zugrunde lag: Hier hätte der Staat ein Vielfaches an Polizeikräften im Vergleich zu anderen Spielen eingesetzt.

DFL hält Konsequenzen noch nicht für absehbar

Dies führt gleich zu einem weiteren Angriffspunkt, den die DFL in Bezug auf die Bremer Gebührenordnung angeführt hatte: Wie viele Beamte für ein solches Spiel abgestellt werden, ist Gegenstand der polizeilichen Einsatzplanung und damit für die Veranstalter nicht wirklich vorhersehbar. Aus diesem Grund hielt die DFL die Norm hinsichtlich der zu zahlenden Gebühr für zu unbestimmt. Aber auch hier stimmte Karlsruhe nicht zu: Das Bestimmtheitsgebot verlange nicht, dass sich aus den Regelungen zur Bemessung de Gebühr vorab deren exakte Höhe ermitteln lasse. § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG sei so gefasst, "dass ein kleiner Kreis an Abgabepflichtigen die auf ihn entfallenden Abgaben zumindest in grobem Umfang vorhersehen kann", heißt es im Urteil. Die Höhe der prognostizierten Abgabenlast müsse ihnen nach dem Gesetz vorab mitgeteilt werden, zudem hätten die Veranstalter diesbezüglich Erfahrungswerte.

Schließlich konnte das BVerfG auch keinen Verstoß gegen den Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG feststellen. Zwar adressiere die Norm nur gewinnorientierte Großveranstaltungen, doch dies sei gerade Sinn und Zweck: "Der Aufwand soll dorthin verlagert werden, wo die Gewinne hinfließen und wo sie typischerweise auch vorhanden sind", schreibt der Senat in seinen Urteilsgründen. "Indem an die Gewinnorientierung angeknüpft wird, wird die Belastung gerade auf den Bereich verlagert, in dem die Schuldnerinnen und Schuldner einen Vorteil erzielen." Veranstaltungen mit einer Zahl von mehr als 5.000 Besucherinnen und Besuchern brächten zudem regelmäßig viel Geld ein, seien aber auch gefahrgeneigter.

Joachim Wieland, Staatsrechtslehrer und Mitglied des Verfassungsgerichtshofs NRW, der die Stadt Bremen in dem Verfahren vertrat, zeigte sich im Gespräch mit beck-aktuell erfreut über die Entscheidung. Nach dem Erfolg vor dem BVerwG sei man zwar guter Dinge gewesen, doch "dass rundum alles ohne jegliche Beanstandung gebilligt wird, ist schon ein Erfolg", so Wieland. Für die DFL bedeutet das Urteil hingegen einen herben Rückschlag, schließlich geht es in der Summe potenziell um Millionenbeträge. Die Konsequenzen würden sich erst in den kommenden Wochen und Monaten zeigen, ließ die DFL wissen. "Leider ist uns das Bundesverfassungsgericht (...) nicht gefolgt. Das ist für uns natürlich enttäuschend. Aber das ist so zu akzeptieren", sagte DFL-Vertreter Hoefer. "Immerhin hat das Bundesverfassungsgericht heute gesagt, dass es ein Gemeinwohlinteresse auch an der Ausrichtung von Spielen der Fußball-Bundesliga gibt", fügte Hoefer hinzu.

"Sehe nicht, dass eine Lawine losgetreten wurde"

Die Gegner der Bremer Gebührenregelung haben indes noch ein staatstheoretisches Argument auf ihrer Seite, das sich in Dammbruchbefürchtungen äußert, wonach künftig für allerlei Veranstaltungen oder sonstige staatliche Leistungen Gebühren erhoben werden könnten. Wollte man das Karlsruher Urteil als einen Startschuss für eine solche Entwicklung lesen, stünde das Prinzip der steuerfinanzierten öffentlichen Aufgaben, das auch laut BVerfG die Finanzverfassung der Bundesrepublik prägt, auf der Kippe. Angesichts zunehmend klammer Haushaltslagen in Bund, Ländern und Kommunen scheint ein politisches Interesse daran zumindest nicht abwegig.

Diese Bedenken teilt Bremens Verfahrensbevollmächtigter Wieland nicht: "Das Gericht lässt solche Gebühren in gewissem Umfang zu, aber das Urteil macht auch deutlich, dass hierfür bestimmte Anforderungen gegeben sein müssen." Dies sei im Karlsruher Urteil "wie im Lehrbuch des Gebührenrechts" ausgeführt, lobte er. Der Gesetzgeber habe damit in Zukunft eine "gute Vorlage". Dass die Entscheidung das Prinzip des Steuerstaates hinterfragt, sieht Wieland dagegen nicht: "Ich sehe nicht, dass da eine Lawine losgetreten würde."

Wie es nun weitergeht, ist noch unklar. Zwar stehen diverse andere Bundesländer wohl in den Startlöchern, um ihrerseits Polizeigebühren auf die DFL abzuwälzen. "Nach diesem Ergebnis denke ich, dass einzelne Länder nachziehen werden, wenn es nicht zu einer gesamtdeutschen Lösung kommt, die ich politisch für vorzugswürdig halten würde" erklärte Wieland gegenüber beck-aktuell. Diese Lösung deutete auch der Bremer Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) nach der Urteilsverkündung in Karlsruhe noch einmal an. So steht seit Längerem die Möglichkeit eines Fonds im Raum, in den die DFL-Klubs einzahlen könnten und aus dem dann die Polizeikosten bezahlt würden. "Die Profiliga zahlt in einen Fonds ein und die Polizeien des Bundes und der Länder werden dann nach dem Aufwand abgerechnet", erklärte der SPD-Politiker. "Das wäre das Einfachste." Nach der Niederlage in Karlsruhe dürfte die Kompromissbereitschaft des Profifußballs diesbezüglich wohl gestiegen sein. Vielleicht darf man auch BVerfG-Präsident Harbarth so verstehen, dass er für einen Kompromiss wirbt: Es lohne, sich Folgendes bewusst zu machen, sagte er in der Urteilsverkündung: Darüber, ob die Bremer Gebührenregelung politisch klug oder wünschenswert sei, habe der Senat heute nicht entschieden.

BVerfG, Urteil vom 14.01.2025 - 1 BvR 548/22

Redaktion beck-aktuell, Maximilian Amos, 14. Januar 2025 (ergänzt durch Material der dpa).