Fehlende Anhörung: Beschluss über Erstellung sozialpsychiatrischen Gutachtens ausgesetzt

Das Bundesverfassungsgericht hat am 22.03.2022 einen betreuungsrechtlichen Beschluss des Amtsgerichts Pinneberg über die Beauftragung eines Sachverständigengutachtens vorläufig ausgesetzt, weil keine Anhörung des Betroffenen stattgefunden hatte. Das BVerfG erinnert an die gerichtliche Pflicht, vor dem Erlass einer Entscheidung zu prüfen, ob den Verfahrensbeteiligten rechtliches Gehör gewährt wurde. Maßgebend dafür sei der Gedanke, dass der Beteiligte Gelegenheit haben müsse, auf die Gerichtsentscheidung vorab effektiv Einfluss nehmen zu können.

Zu betreuender Mann wird nicht angehört

Das AG Pinneberg hatte im Februar 2022 einen Sachverständigen mit der Erstellung eines sozialpsychiatrischen Gutachtens zu den medizinischen Voraussetzungen einer den Beschwerdeführer betreffenden Betreuung beauftragt. Unter anderem sollte sich die Expertise auf die Frage erstrecken, ob bei dem Mann eine psychische Krankheit, geistige, seelische oder körperliche Behinderung vorliege. Dagegen legte der Betroffene sowohl beim AG Pinneberg als auch beim Landgericht Itzehoe erfolglos Beschwerde ein. Die Anordnung sachverständiger Begutachtung und die Auswahl des Sachverständigen durch das Gericht seien als Zwischenentscheidungen nicht selbstständig anfechtbar, so die Begründung. Der Betroffene rügte unter anderem die Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG (rechtliches Gehör). Ihm sei der Beschluss des AG vorgelegt worden, wobei er nicht wisse, worum es sich hierbei handele. Den angegriffenen Entscheidungen fehlt es seiner Ansicht nach an einer Begründung der angeordneten Begutachtung. Eine Anhörung habe nicht stattgefunden.

Effektive Einflussnahme "im Voraus" ist entscheidend

Die Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg (Az.: 1 BvR 618/22). Dem BVerfG zufolge war der Erlass einer einstweiligen Anordnung angezeigt. Der angegriffene Beschluss des AG vom Februar 2022 habe den gesetzlichen Voraussetzungen nach Art. 103 Abs. 1 GG nicht entsprochen. Da der Mann vor Erlass des Beschlusses nicht angehört worden sei, könnte sein Recht auf rechtliches Gehör verletzt sein, zumal der angegriffene Beschluss keine besondere Dringlichkeit der beauftragten Begutachtung erkennen lasse. Eine Möglichkeit, auf die Entscheidung des Gerichts vorab effektiv Einfluss zu nehmen, sei dem Beschwerdeführer damit verwehrt worden. Die nachträgliche Information über den Erlass des angegriffenen Beschlusses ist laut BVerfG nicht geeignet, den Gehörsverstoß zu heilen. Denn jedenfalls für den juristischen Laien gehe aus dem Schreiben des Gerichts nicht hervor, dass eine Möglichkeit zur Stellungnahme noch vor der Untersuchung durch den Sachverständigen bestehe. Zudem sei es dem Beschwerdeführer allein auf der Grundlage des Schreibens des Gerichts nicht möglich, zu der Einleitung eines Betreuungsverfahrens und der Beauftragung eines Sachverständigengutachtens substantiiert Stellung zu nehmen, da ihm die Gründe, die das Gericht zur Einleitung des Betreuungsverfahrens bewogen haben, nicht bekannt seien. Eine vorherige Anhörung sei auch nicht deshalb entbehrlich, weil in dem Beschluss noch keine zwangsweise Untersuchung und Vorführung des Beschwerdeführers angeordnet wurde. Denn daraus ergebe sich nicht, dass die Mitwirkung an der Erstellung des Gutachtens für den Beschwerdeführer freiwillig sei. Das BVerfG hat weiter offen gelassen, ob in dieser Konstellation eine Anhörungsrüge nach § 44 FamFG statthaft gewesen wäre – die Einlegung eines "Rechtsbehelfs, der nach dem Gesetzeswortlaut nicht vorgesehen und dessen Statthaftigkeit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bislang offengelassen wurde", sei jedenfalls einem nicht anwaltlich vertretenen Beschwerdeführer nicht zuzumuten.

Redaktion beck-aktuell, 6. April 2022.