Verfassungsbeschwerden gegen abgelehnte Befangenheitsanträge in KapMuG-Verfahren gegen Porsche und VW unzulässig
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Mehrere Verfassungsbeschwerden gegen die Zurückweisung von Befangenheitsanträgen im nach der VW-Übernahmeschlacht gegen Porsche und Volkswagen geführten Kapitalanleger-Musterverfahren sind gescheitert. Das Bundesverfassungsgericht hat sie in seinem Beschluss vom 15.09.2020 mangels ausreichender Begründung bereits für unzulässig erachtet.

Senatsvorsitzender übermittelte Geschäftsverteilungsplan verzögert

Nach Beginn des Musterverfahrens fanden innerhalb des zuständigen Senats des Oberlandesgerichts mehrere aufeinanderfolgende Richterwechsel statt. Auf die Bitte des Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin übersandte der Senatsvorsitzende diesem die senatsinternen Geschäftsverteilungspläne vom 01.09.2017, 01.01.2018 und 01.04.2018. Einen weiteren Beschluss über die Geschäftsverteilung ab dem 01.03.2018 übersandte der Senat erst zu einem späteren Zeitpunkt, nachdem Unstimmigkeiten aufgefallen waren. Die Geschäftsverteilungspläne weisen das Musterverfahren jeweils einem der Beisitzer als Berichterstatter zu. Außerdem geht hieraus hervor, dass der Senat mit fünf und im März 2018 sogar mit sechs Richtern einschließlich des Vorsitzenden besetzt war.

Beschwerdeführerin warf Vorsitzendem bewusstes Vorenthalten zu Vertuschungszwecken vor

Die Beschwerdeführerin lehnte den Senatsvorsitzenden sowie den Berichterstatter für das Musterverfahren wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Der Beschluss vom 01.03.2018 sei entweder ihrem Bevollmächtigten bewusst vorenthalten oder nachträglich gefälscht worden, um zum einen eine unzulässige Überbesetzung des Senats im März 2018 und zum anderen die ebenfalls unzulässige Zuweisung der Berichterstattung für das Kapitalanleger-Musterverfahren an einen bestimmten Beisitzer zu verschleiern. Der Senat wies das Ablehnungsgesuch gegen den Senatsvorsitzenden und den Berichterstatter für das Musterverfahren unter Mitwirkung einer Richterin sowie zweier weiterer Richter zurück.

Vorbefassung an Zurückweisung beteiligter Richterin moniert

Daraufhin lehnte die Beschwerdeführerin die beteiligte Richterin wegen der Besorgnis der Befangenheit ab, da diese an den Beschlüssen über die senatsinterne Geschäftsverteilung mitgewirkt habe, so dass sie aufgrund Vorbefassung im Sinne des § 41 Nr. 6 ZPO von der Ausübung des Richteramtes ausgeschlossen gewesen sei. Auch dieses Ablehnungsgesuch wies der Senat ebenso wie ein weiteres Ablehnungsgesuch gegen den Senatsvorsitzenden, das ebenfalls die Versendung der senatsinternen Geschäftsverteilungspläne betraf, als unbegründet zurück. Die von der Beschwerdeführerin in allen drei Ablehnungsverfahren erhobenen Anhörungsrügen blieben jeweils erfolglos.

Verletzung des Rechts auf gesetzlichen Richter und des Justizgewährungsanspruchs gerügt

Die Beschwerdeführerin rügte mit ihren Verfassungsbeschwerden unter anderem eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG sowie eine Verletzung des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG. Das OLG habe den im Ablehnungsverfahren geltenden Amtsermittlungsgrundsatz verletzt, weil es mangels Einholung dienstlicher Stellungnahmen aller an den Beschlüssen über die Geschäftsverteilung beteiligten Richter die Umstände der Zuweisung der Berichterstattung für das Musterverfahren nicht weiter aufgeklärt habe.

BVerfG: OLG musste Sachverhalt nicht weiter aufklären

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung angenommen, da sie mangels einer hinreichenden Begründung unzulässig seien. Die Beschwerdeführerin habe eine Verletzung in ihren Grundrechten nicht dargelegt. Dies gelte zunächst für den Beschluss über die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs gegen den Senatsvorsitzenden und den Berichterstatter für das Musterverfahren. Der Beschluss verletze nicht den Justizgewährungsanspruch. Eine Verletzung der einfachgesetzlichen Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung könne nur unter besonderen Umständen einen Verfassungsverstoß begründen. Solche Umstände habe die Beschwerdeführerin aber weder vorgetragen noch seien solche sonst ersichtlich. Eine weitere Sachaufklärung sei hier nicht erforderlich gewesen, da weder die Zuweisung der Berichterstattung für das Kapitalanleger-Musterverfahren noch die Besetzung des für das Musterverfahren zuständigen Senats im März 2018 für den Senatsvorsitzenden Anlass bot, die senatsinterne Geschäftsverteilung zu verschleiern oder nachträglich zu fälschen.

Wegen Ausschluss der Einzelrichterübertragung im KapMuG kein Anlass zur Verschleierung

Der Vorsitzende könne grundsätzlich im Einzelfall nach seinem Ermessen ohne Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG bestimmen, wer von den Mitgliedern einer konkreten Sitzgruppe die Aufgaben des Berichterstatters wahrnehme. Zwar unterliege die Erstellung der Geschäftsverteilungspläne den Bindungen des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Für einen überbesetzten Spruchkörper müsse sich aus dem spruchkörperinternen Geschäftsverteilungsplan durch eine abstrakt-generelle und hinreichend klare Regelung ergeben, wer bei der Entscheidung welcher Verfahren mitwirke. Das Gebot des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verlange dementsprechend auch, dass der Berichterstatter bereits im Geschäftsverteilungsplan nach abstrakt-generellen und hinreichend klaren Regelungen festgelegt sein muss, wenn - wie hier nach der Geschäftsverteilung ab dem 01.03.2018 - die Entscheidung eines Rechtsstreits vom Kollegialgericht auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen werden soll. Da nach § 11 Abs. 1 Satz 2 Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) die Übertragung auf den Einzelrichter nach §§ 348 ff. ZPO ausgeschlossen sei, habe für den Senatsvorsitzenden jedoch kein Anlass bestanden, die Zuweisung der Berichterstattung für das Musterverfahren an einen bestimmten Beisitzer durch Zurückhaltung oder Fälschung von Geschäftsverteilungsplänen zu verschleiern.

Überbesetzung allein begründet noch keinen Verstoß gegen Recht auf gesetzlichen Richter

Wenn sich aus dem spruchkörperinternen Geschäftsverteilungsplan durch eine abstrakt-generelle und hinreichend klare Regelung ergebe, welcher Richter bei der Entscheidung welcher Verfahren mitwirke, sei auch eine strenge zahlenmäßige Begrenzung auf weniger als das Doppelte der gesetzlichen Mitgliederzahl jedenfalls grundsätzlich nicht erforderlich. Allein der Verweis auf die Anzahl von sechs Richtern reiche zur Begründung eines Verstoßes gegen die Garantie des gesetzlichen Richters aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG daher nicht aus.

An Ablehnungsentscheidung beteiligte Richterin war mit Sache nicht vorbefasst

Auch die Rüge, der Senat habe mit falscher Besetzung über das Ablehnungsgesuch entschieden und so das Recht der Beschwerdeführerin auf den gesetzlichen Richter verletzt, werde nicht hinreichend substantiiert begründet. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gebiete keine verfassungskonforme Auslegung dahingehend, dass über den Wortlaut des § 41 Nr. 6 ZPO hinaus von der Ausübung des Richteramtes ausgeschlossen ist, wer mit der Sache zwar bereits befasst, aber an der angefochtenen Entscheidung nicht beteiligt gewesen sei.

BVerfG, Beschluss vom 15.09.2020 - 1 BvR 2435/18

Redaktion beck-aktuell, 25. September 2020.