Bundeswehr-Kommandeurin kämpft in Karlsruhe für sexuelle Selbstbestimmung

Gemeinsam mit der Bundeswehroffizierin Anastasia Biefang wollen die Vereine Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) und QueerBw in Karlsruhe eine Stärkung des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung erreichen. Sie haben Verfassungsbeschwerde gegen ein Urteil eingelegt, mit dem das Bundesverwaltungsgericht bestätigt hatte, dass Soldaten in besonders repräsentativen Funktionen auch bei privaten Internetauftritten Zurückhaltung üben müssen. Dabei ging es um eine Annonce, die Biefang auf einem Dating-Portal geschaltet hatte.

BVerwG forderte Vermeidung des Eindrucks "sexueller Disziplinlosigkeit"

Mit dem angegriffenen Beschluss hatte das BVerwG im Mai 2022 einen disziplinarrechtlichen Verweis bestätigt, den Biefang 2019 von der Bundeswehr für die Formulierung ihres Online-Dating-Profils erhalten hatte (BeckRS 2022, 25051). Biefang dürfe zwar Dating-Plattformen verwenden, so das BVerwG. Dabei müsse sie aber "missverständliche Überspitzungen" und den Eindruck "sexueller Disziplinlosigkeit" vermeiden. Sonst werde ihr eventuell die Ahndung von sexueller Belästigung nicht zugetraut. Die GFF will nun vor dem BVerfG ein Grundsatzurteil erreichen, das die sexuelle Selbstbestimmung als Ausprägung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts stärkt.

Biefang: Kein Zusammenhang zwischen Führungsqualitäten und offener Sexualität

"Es ist absurd und unzulässig anzunehmen, mein Privatleben beschneide meine Führungsqualitäten. Insbesondere gibt es keinen Zusammenhang zwischen meiner offenen und einvernehmlichen Sexualität und der Unterstellung, ich würde bei Sexualdelikten nicht durchgreifen. Den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts kann ich nicht stehen lassen – daher gehe ich nach Karlsruhe" sagt die Beschwerdeführerin Biefang, Stabsoffizierin der Bundeswehr. Das BVerwG stützt sich auf die Erwägung, dass insbesondere flüchtig lesende Untergebene aus dem ländlichen Raum Zweifel an Biefangs Führungsstärke entwickeln könnten. "Die fehlende Toleranz und die möglichen Irrtümer ausgedachter Dritter sind nicht schutzwürdig und dürfen nicht zum Maßstab für Freiheit werden." sagt Lea Beckmann, Juristin und Verfahrenskoordinatorin bei der GFF. "Das Bundesverwaltungsgericht lässt über den Umweg der ausgedachten Dritten die Sexualmoral der 50er Jahre aufleben und verstärkt im Ergebnis Vorurteile gegen Frauen und queere Menschen."

Vorgesetzter hatte außerdienstliches Auftreten als nicht ordnungsgemäß beanstandet

Biefangs Dating-Profil enthielt die Information, dass sie als trans Frau in einer offenen Beziehung auf der Suche nach Sexualkontakten aller Geschlechter war. Nachdem ihrem Vorgesetzten der illegal erstellte Screenshot des Dating-Profils zugespielt worden war, erteilte er ihr den Verweis mit der Begründung, sie sei ihrer Verpflichtung zum ordnungsgemäßen außerdienstlichen Auftreten nicht gerecht geworden. Die GFF bewertet den Verweis der Bundeswehr und die Entscheidung des BVerwG als klaren Verstoß gegen die Grundrechte. Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dürfe nur dann eingeschränkt werden, wenn Menschen zu Schaden kommen könnten. Von einer Gefährdung von Menschen durch Biefangs Online-Dating könne keine Rede sein. Umso wichtiger sei es, dass diese Freiheit ohne Diskriminierung aufgrund des Geschlechts oder sexueller Orientierung allen Menschen zugestanden wird.

Redaktion beck-aktuell, 14. Oktober 2022.