Es kommt selten vor, dass die doch sehr heterogene Opposition im neu gewählten Bundestag einer Meinung ist. Doch Union und SPD haben genau das bereits geschafft, noch bevor überhaupt eine Regierung gebildet ist. "Unverantwortlich" nannte der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion, Bernd Baumann, die Entscheidung des Ältestenrats, die eigentlich für diese Woche geplante Sitzungswoche des Bundestags abzusagen. "Offenbar fühlen sich Union und SPD von unserer Forderung nach Parlamentsarbeit während der Koalitionsverhandlungen gestört", heißt es unterdessen vom Baumanns Parteiamtskollegen von der Linken, Christian Görke. Und auch die Grünen ließen verlauten, dass man nicht für eine längere Hängepartie zu haben sei.
Es wäre die erste richtige Parlamentswoche nach der Konstituierung des neuen Bundestags gewesen. Doch die wahrscheinlich künftigen Regierungsparteien CDU, CSU und SPD stecken mit ihrem Spitzenpersonal und vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern tief in den Koalitionsverhandlungen, die der designierte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) eigentlich vor Ostern abgeschlossen haben will. Somit haben sie aktuell wohl weder Zeit noch Kapazitäten, sich im Parlament für ihre Kompromisse zu rechtfertigen. So versteht die Opposition jedenfalls die Entscheidung, die Sitzungen zu streichen.
Ältestenrat für Sitzungsplanung verantwortlich
Zuständig für die Sitzungsplanung ist nach § 20 Abs. 1 GO-BT der Ältestenrat. Dieser besteht gemäß § 6 Abs. 1 GO-BT "aus dem Präsidenten, seinen Stellvertretern und dreiundzwanzig weiteren von den Fraktionen gemäß § 12 zu benennenden Mitgliedern". Er unterstützt im Wesentlichen die Präsidentin – in dieser Legislatur die CDU-Abgeordnete Julia Klöckner – bei der Organisation des Bundestags, unter anderem bei der Sitzungsplanung. Die Fraktionen sind darin nach ihrem Stärkeverhältnis im Parlament vertreten (§ 12 S. 1 GO-BT).
Genau genommen war es jedoch hier der sogenannte Vor-Ältestenrat, der über die Aufhebung der Termine für die aktuelle Kalenderwoche entschieden hat. Unter diesem informellen Titel firmiert das Gremium derzeit noch, weil der eigentliche Ältestenrat noch nicht konstituiert ist. Mit einer Mehrheit von Union und SPD entschied er nun, die Sitzungswoche zu streichen, wie eine Sprecherin am Freitag erklärte. Die nächste Sitzung ist nunmehr erst für den 8. Mai geplant.
Nun ist der Ältestenrat jedoch nicht völlig frei in der Gestaltung der Sitzungswochen. Die GO-BT macht hierfür einige Vorgaben, aber vieles ist vor allem durch parlamentarische Gepflogenheiten geprägt. Danach wird z. B. das Kalenderjahr in sogenannte Sitzungswochen und Wahlkreiswochen unterteilt. Weiterhin gilt, dass es mindestens 20 Sitzungswochen pro Jahr geben muss. Debatten können also nicht unendlich hinausgeschoben werden, zudem sind die Bundestagswochen an den Sitzungen des Europäischen Parlaments zu orientieren. Auch für die konkrete zeitliche Gestaltung gibt es gewisse etablierte Grundsätze, etwa den Grundsatz der Öffentlichkeit sowie die Möglichkeit der effektiven Mandatswahrnehmung. Diese erlauben z. B. keine Beratung zur Unzeit, etwa an gesetzlichen Feiertagen sowie Sonntagen. Sitzungen bis in die Nacht hinein sind dagegen prinzipiell kein Problem.
Gegen diese Anforderungen scheint der Ältestenrat mit der Streichung dieser Sitzungswoche noch nicht zu verstoßen. Die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, Katja Mast, erklärte zudem, es stünden keine konkreten parlamentarischen Entscheidungen an, die eine Sitzung zeitnah erforderlich machten. Sofern sich dies kurzfristig ändern sollte, könne der Bundestag immer noch zeitnah zusammenkommen.
"Brandmauer" lähmt auch die Opposition
Doch was kann die Opposition tun, wenn die Mehrheit im Ältestenrat ihren Fraktionen keine unliebsame Debatte zumuten möchte? Hier greift zum einen der Grundsatz des Selbstversammlungsrechts. Dies meint, dass der Bundestag als Souverän eigenständig über seine Geschäfte und seine Sitzungen bestimmen kann. Das tut er zwar unter anderem durch den proportional besetzten Ältestenrat, doch die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben auch ein Minderheitenrecht hierfür vorgesehen.
Art. 39 Abs. 3 S. 3 GG verpflichtet nämlich die Bundestagspräsidentin, das Parlament einzuberufen, wenn ein Drittel der Mitglieder dies verlangt. Diese müssen dazu in einem entsprechenden Antrag begründen, warum sie die Einberufung fordern. Zwar liegt damit weiterhin die Bestimmung des Sitzungszeitpunkts im Ermessen der Präsidentin, sie muss dieses aber pflichtgemäß und neutral ausüben. Einem begründeten Terminwunsch wird sie deshalb in der Regel nachkommen, wenn nicht gerade zwingende Gründe dagegensprechen. Kommt die Präsidentin ohne zwingende Gründe dem Verlangen nicht nach, ist ein Organstreitverfahren vor dem BVerfG als Rechtsschutzmöglichkeit denkbar.
Vereinzelt wurde auch schon auf diese Möglichkeit hingewiesen, doch Gebrauch davon machen wollen die meisten offenbar nicht. Das hat einen einfachen Grund: Linke und Grüne erfüllen zusammen nicht das Quorum und bräuchten somit für einen Antrag Stimmen aus der AfD. Doch beide bekennen sich uneingeschränkt zur "Brandmauer", also dem Grundsatz, keine Entscheidungen mithilfe der AfD herbeizuführen. Eine Einladung der AfD an die Linke, gemeinsam einen Minderheitsantrag zu stellen – beide Parteien kämen zusammen auf das erforderliche Drittel der Mitglieder – wies der Parlamentarische Geschäftsführer Görke bereits zurück: "Die sollen aufhören zu tricksen. Wir arbeiten weder in dieser noch in anderen Fragen mit der in Teilen verfassungsfeindlichen AfD zusammen."