Bundestag erkennt Verbrechen gegen Jesiden als Völkermord an

Wenige Jahre nach den Massakern der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) an den Jesiden hat der Bundestag die Verbrechen als Völkermord anerkannt. Ein Antrag der Ampel-Koalition sowie der Unionsfraktion wurde einstimmig angenommen. Der IS zielte auf die Vernichtung der vor allem in der nordirakischen Sindschar-Region lebenden Minderheit ab.

Erinnern an den Völkermord ist gesamtgesellschaftlichen Aufgabe

"Der Deutsche Bundestag verneigt sich vor den Opfern der durch den IS begangenen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit", so der Beschluss des Bundestags. "Es muss zur gesamtgesellschaftlichen Aufgabe Deutschlands werden, die Aufmerksamkeit für und das Erinnern an den Völkermord an den Jesidinnen und Jesiden im öffentlichen Bewusstsein zu schaffen." Die Aufarbeitung müsse weiter unterstützt werden. Wie der Bundestag weiter feststellte, lebt in Deutschland die größte jesidische Diaspora weltweit. "Wichtig ist ihr Leben in Selbstbestimmung." Die Diaspora sei Teil der deutschen Gesellschaft. Der Bundestag werde sich mit Nachdruck für den Schutz jesidischen Lebens in Deutschland einsetzen.

Verfolgung nach dem Völkerstrafgesetzbuch

Das Parlament bekannte sich auch dazu, dass die Täterinnen und Täter weiter nach dem Völkerstrafgesetzbuch verfolgt werden. Eine Verantwortung dafür leite sich auch aus der Tatsache ab, dass seit 2012 mehr als 1.050 Deutsche in die vom IS besetzten Gebiete gereist seien, um für die Terrororganisation zu kämpfen. Weltweit Aufmerksamkeit hätten bereits Urteile gegen Täter nach dem deutschen Völkerstrafgesetzbuch erlangt, wie im November 2021 in Frankfurt am Main oder im Juli 2022 in Hamburg. Zehntausende Menschen waren vom IS in der Sindschar-Region ermordet, verschleppt, versklavt und misshandelt worden.

Baerbock: "Warum haben wir nicht gehandelt?"

Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sagte mit Blick auf die Massaker, auch künftig müsse man sich der Frage stellen: "Warum haben wir nicht gehandelt?" So sei es damals über verschickte GPS-Daten bekannt geworden, als Tausende von Frauen in einer Schule von ihren Peinigern eingepfercht worden seien. "Haben wir nicht gehandelt aufgrund der Herkunft der Opfer oder des Geschlechts der Opfer?" Sie könne diese Frage nicht beantworten, sagte Baerbock. Umso wichtiger sei es, dass nach noch Vermissten gesucht werde und dass die Verbrechen weiter aufgeklärt würden. "Als Gesellschaft ist es für uns Auftrag, dafür zu sorgen, dass wir nicht nur anerkennen, sondern dass wir Gerechtigkeit für die Opfer schaffen." So sei es nach den vorliegenden Urteilen wichtig, dass die Taten weiter vom Internationalen Strafgerichtshof aufgearbeitet würden. "Wir können dafür sorgen, dass die Opfer Gerechtigkeit erhalten, damit der Völkermord nicht vererbt wird."

Befriedung der Sindschar-Region und Ausbau der humanitären Hilfe

Der CDU-Abgeordnete Michael Brand sagte: "Es darf für diese barbarischen Verbrecher keinen Winkel der Erde geben, an dem sie vor ihrer Strafe sicher sind." Deutschland mit seiner größten jesidischen Diaspora komme hier eine große Verantwortung zu. Der SPD-Abgeordnete Frank Schwabe sagte, geprüft werden müsse, ob Menschen, die nicht im Irak bleiben können, aufgenommen werden könnten. Gearbeitet werden müsse aber auch für eine Rückkehr der Betroffenen an ihre angestammten Orte. "Die Sindschar-Region, sie ist heute zerrieben, zerrieben zwischen Militäroperationen der Türkei und des Irans, zwischen Autonomieregierung im Norden und Zentralregierung in Bagdad", sagte der Grünen-Abgeordnete Max Lucks. Die Befriedung der Region müsse Schwerpunkt der deutschen Irak-Politik werden. Die Terrormiliz IS ist mittlerweile militärisch besiegt, IS-Zellen sind im Irak und in Syrien aber weiter aktiv. Lucks forderte einen Ausbau der humanitären Hilfe für Überlebende des Genozids. Der FDP-Abgeordnete Christoph Hoffmann mahnte: "In den UN-Lagern im Nordirak sitzen noch viele Jesiden fest."

Vorbild Baden-Württemberg

Gelobt wurde in der Debatte mehrfach eine Initiative Baden-Württembergs, nach der 1.100 schutzbedürftige jesidische Frauen und Kindern in einem Sonderkontingent aufgenommen wurden. Auch psychologische und medizinische Begleitung wurde ermöglicht.

Redaktion beck-aktuell, 20. Januar 2023 (dpa).