Bun­des­tag be­schlie­ßt Wahl­rechts­re­form
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Nach jah­re­lan­gen er­geb­nis­lo­sen De­bat­ten über eine Ver­klei­ne­rung des Bun­des­tags hat die große Ko­ali­ti­on gegen den Wi­der­stand der Op­po­si­ti­on eine Wahl­rechts­re­form durch­ge­setzt. Der Ge­setz­ent­wurf der Ko­ali­ti­ons­frak­tio­nen wurde im Bun­des­tag am 08.10.2020 mit 362 Ja- und 281 bei acht Ent­hal­tun­gen an­ge­nom­men. Wir­kung wird das be­schlos­se­ne Mo­dell laut Ex­per­ten aber kaum haben.

Op­po­si­ti­on: Ko­ali­ti­ons­ent­wurf zu Bun­des­tags­ver­klei­ne­rung un­taug­lich

FDP, Linke und Grüne lehn­ten den Ent­wurf von CDU/CSU und SPD (BT-Drs. 19/22504) strikt ab, weil er aus ihrer Sicht völ­lig un­taug­lich ist, um die an­ge­streb­te Ver­klei­ne­rung des auf 709 Ab­ge­ord­ne­te an­ge­wach­se­nen Par­la­ments zu er­rei­chen. Die Ko­ali­ti­ons­frak­tio­nen bra­chen mit ihrem Vor­ge­hen auch mit der Tra­di­ti­on, Än­de­run­gen am Wahl­recht mög­lichst mit brei­ter Mehr­heit zu ver­ab­schie­den.

Bun­des­tags­prä­si­dent Schäub­le ent­hielt sich

Bun­des­tags­prä­si­dent Wolf­gang Schäub­le und sechs wei­te­re CDU-Ab­ge­ord­ne­te ver­sag­ten dem Ge­setz­ent­wurf aus den ei­ge­nen Rei­hen die Zu­stim­mung. Of­fen­bar aus Ent­täu­schung über die auch von Fach­leu­ten als weit­ge­hend wir­kungs­los kri­ti­sier­ten Re­ge­lun­gen ent­hiel­ten sie sich der Stim­me. Das zeigt das vom Bun­des­tag ver­öf­fent­lich­te Er­geb­nis der na­ment­li­chen Ab­stim­mung.

Op­po­si­ti­on wirft Ko­ali­ti­on kläg­li­ches Schei­tern vor  

Zur Wir­kung der Re­form sagte die Erste Par­la­men­ta­ri­sche Ge­schäfts­füh­re­rin der Grü­nen, Brit­ta Haßel­mann: "Es wird kei­nen Dämp­fungs­ef­fekt geben." Haßel­mann sprach von "Flick­schus­te­rei". Die Ko­ali­ti­on sei "kläg­lich ge­schei­tert", sagte sie. "Der Ent­wurf ist
ob­jek­tiv un­ge­eig­net, den Bun­des­tag zu ver­klei­nern. Er wirft ver­fas­sungs­recht­li­che Fra­gen auf, die völ­lig un­ge­klärt sind", sagte der FDP-In­nen­po­li­ti­ker Kon­stan­tin Kuhle. Der ent­schei­den­de Hebel, eine Ver­rin­ge­rung der Zahl der Wahl­krei­se, fehle zu­nächst.

CDU: Re­form fair und ver­fas­sungs­kon­form

Da­ge­gen be­ton­te Phil­ipp Amthor von der CDU: "Wir haben ein fai­res, ein ver­fas­sungs­kon­for­mes Mo­dell ge­fun­den." Und: "Wir sehen einer ver­fas­sungs­recht­li­chen Über­prü­fung ent­spannt ent­ge­gen." Der SPD-Ab­ge­ord­ne­te Mah­mut Öz­demir nann­te das Ge­setz eine "ehr­li­che Lö­sung, weil sie den we­nigs­ten Scha­den an­rich­tet, weil sie wirk­sam ist, weil sie ver­bind­lich ist, weil sie ver­ständ­lich ist".

Op­po­si­ti­on spricht von "Re­förm­chen" und "Stück­werk"

In der De­bat­te wies der Lin­ken-Po­li­ti­ker Fried­rich Straet­manns dar­auf hin, dass bei einer An­hö­rung im In­nen­aus­schuss des Bun­des­tags sechs von sie­ben Fach­leu­ten den Ge­setz­ent­wurf zer­pflückt hät­ten. "Der Bun­des­tag wird nach Ihrem Wahl­rechts­re­förm­chen und mit der Zah­len­grund­la­ge aller ak­tu­el­len Um­fra­gen noch deut­lich wei­ter wach­sen, auf über 800 Ab­ge­ord­ne­te." Al­brecht Gla­ser von der AfD mein­te, einen "To­tal­ver­riss" wie in der An­hö­rung habe er noch nicht ge­hört. Drei Jahre habe die Ko­ali­ti­on jede Re­form ver­hin­dert. "Und das jetzt zu­sam­men­ge­na­gel­te Stück­werk ist keine Re­form."

Gut­ach­ten: Be­schlos­se­nes Mo­dell hat nur ge­rin­ge Wir­kung

FDP, Linke, Grüne und AfD konn­ten sich auch durch ein am 08.10.2020 be­kannt ge­wor­de­nes Gut­ach­ten des Wis­sen­schaft­li­chen Diens­tes des Bun­des­tags be­stä­tigt füh­len. Es be­schei­nigt dem Mo­dell von CDU/CSU und SPD eine nur ge­rin­ge Wir­kung. Be­zo­gen auf das Er­geb­nis der Bun­des­tags­wahl 2017 wäre damit eine Ab­sen­kung der Ge­samt­sit­ze auf bis zu 682 Ab­ge­ord­ne­te mög­lich ge­we­sen, heißt es darin. Die Re­ge­lun­gen hät­ten also "eine Er­spar­nis von bis zu 27 Ab­ge­ord­ne­ten ge­bracht". Die Norm­grö­ße des Bun­des­tags be­trägt 598 Sitze.

Ko­ali­ti­ons­ent­wurf: Teil­wei­ser Nicht­aus­gleich von Über­hang­man­da­ten und teil­wei­se Ver­rech­nung mit Lis­ten­man­da­ten

Nach dem Ko­ali­ti­ons­ent­wurf soll es bei der Wahl in einem Jahr bei der Zahl von 299 Wahl­krei­sen blei­ben. Über­hang­man­da­te einer Par­tei sol­len teil­wei­se mit ihren Lis­ten­man­da­ten ver­rech­net wer­den. Und beim Über­schrei­ten der Re­gel­grö­ße von 598 Sit­zen sol­len bis zu drei Über­hang­man­da­te nicht durch Aus­gleichs­man­da­te kom­pen­siert wer­den.

Re­du­zie­rung der Wahl­krei­se erst 2025

Eine grö­ße­re Re­form – dann auch mit einer Re­du­zie­rung der Wahl­krei­se – soll es nach dem Wil­len der Ko­ali­ti­on erst für die Wahl 2025 geben. Dazu soll eine Re­form­kom­mis­si­on aus Wis­sen­schaft­lern, Ab­ge­ord­ne­ten und wei­te­ren Mit­glie­dern ein­ge­setzt wer­den, die spä­tes­tens bis zum 30.06.2023 ein Er­geb­nis vor­le­gen soll.

Redaktion beck-aktuell, 9. Oktober 2020 (dpa).

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