Gesetz soll Corona-Massnahmen konkretisieren
Ziel des Gesetzes - das offiziell "Drittes Bevölkerungsschutzgesetz" heißt - ist es unter anderem, bislang per Verordnung erlassene Corona-Maßnahmen gesetzlich zu untermauern und konkret festzuschreiben. Im Infektionsschutzgesetz war bisher nur allgemein von "notwendigen Schutzmaßnahmen" die Rede, die die "zuständige Behörde" treffen kann. Mit der Gesetzesnovelle wird ein neuer Paragraf eingefügt, der die möglichen Schutzmaßnahmen von Landesregierungen und Behörden konkret auflistet, etwa Abstandsgebote, Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen oder Beschränkungen im Kultur- und Freizeitbereich. Es handelt sich im wesentlichen um Maßnahmen, die bereits im Lockdown im Frühjahr ergriffen wurden und teilweise auch jetzt im Teil-Lockdown im November gelten.
7-Tage-Inzidenz wird festgeschrieben
Festgeschrieben im Gesetz wird auch die sogenannte 7-Tage-Inzidenz von 35 und 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern pro Woche, ab denen Schutzmaßnahmen getroffen werden sollen. Vorgeschrieben wird zudem, dass Rechtsverordnungen mit Corona-Schutzmaßnahmen zeitlich auf vier Wochen befristet werden. Verlängerungen sind aber möglich. Außerdem müssen die Verordnungen mit einer allgemeinen Begründung versehen werden.
Gesetz schon mehrfach reformiert
Das Infektionsschutzgesetz war im Zuge der Corona-Pandemie schon mehrfach reformiert worden. Gleich zu Beginn im Frühjahr wurde eingeführt, dass der Bundestag eine epidemische Lage von nationaler Tragweite feststellen kann. Der Bundestag tat dies damals umgehend und gab damit dem Bundesgesundheitsministerium Sonderbefugnisse, um Rechtsverordnungen zu erlassen, ohne dass der Bundesrat zustimmen muss. Normalerweise ist bei Verordnungen der Regierung ein Ja der Länderkammer notwendig.
Gesetz soll zeitnah in Kraft treten
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wird das Gesetz möglicherweise noch am selben Tag ausfertigen, so dass es in Kraft treten kann. Bei Protesten mehrerer Tausend Teilnehmer gegen die Gesetzesänderung und die staatliche Corona-Politik in der Nähe des Bundestages kam es parallel zur Debatte im Parlament zu Auseinandersetzungen mit der Polizei und auch zum Einsatz von Wasserwerfern. Die Polizei sprach zudem von mehr als 100 Festnahmen.
Änderungen noch Anfang der Woche im Rechtsausschuss
Der Rechtsausschuss hatte zum Wochenbeginn noch zahlreiche Änderungen am Regierungsentwurf vorgenommen, wie dessen kommissarischer Vorsitzender Heribert Hirte (CDU) vor der Bundestagssitzung hervorhob. "Es geht um klare rechtliche Leitplanken für die Schutzmaßnahmen – dafür werden beispielhaft 17 Maßnahmen aufgezählt, die ergriffen werden dürfen, um die Pandemie einzudämmen", sekundierte Carsten Schneider, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion. Die Rechtswissenschaftlerin Andrea Kießling von der Ruhr-Universität Bochum hat diese Last-Minute-Korrekturen einer ersten Analyse unterzogen. Der Katalog der Schutzmaßnahmen sei an einigen Stellen, an denen er vorher besonders unbestimmt war, präzisiert worden, schreibt sie im Kurznachrichtendienst Twitter: "Für einige (nicht alle) der besonders sensiblen Bereiche (Versammlungen, Gottesdienste, Ausgangsbeschränkungen, Betreten von Pflegeheimen) müssen besondere Voraussetzungen vorliegen." Auch die Pflicht zur Kontaktdatenerhebung sei nun in mehrererlei Hinsicht eingegrenzt worden. Ein paar Kritikpunkte sieht Kießling aber weiterhin – etwa dass nicht auch Allgemeinverfügungen, wie es sie beispielsweise beim Lockdown in Berchtesgaden gegeben habe, zeitlich begrenzt werden müssten. Zu unbestimmt findet die Forscherin die Formulierung, Maßnahmen seien "insbesondere an dem Schutz von Leben und Gesundheit und der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems auszurichten". Neu hinzugekommen sei überdies, dass offenbar nächtliche Ausgangssperren zulässig sein sollen: "Das Virus überträgt sich aber nachts nicht anders als tagsüber (oder andersherum) – die Regelung halte ich für verfassungswidrig."
Union und SPD verteidigen Gesetz
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn verteidigte in der Debatte die Corona-Beschränkungen und warb um weiteres Vertrauen in das Krisenmanagement. Steigende Infektionszahlen führten früher oder später zu steigendem Leid auf den Intensivstationen und zu einem Kontrollverlust, sagte der CDU-Politiker. Die SPD-Gesundheitspolitikerin Bärbel Bas wies Befürchtungen zurück, dass mit der Reform des Infektionsschutzgesetzes Befugnisse für Bundes- und Landesregierungen ausgeweitet würden. "Genau das Gegenteil ist der Fall", sagte sie.
AFD scheitert mit Verschiebungs-Antrag
Zum Auftakt der Debatte hatte die AfD zunächst versucht, das Thema wieder von der Tagesordnung zu nehmen, scheiterte damit aber am geschlossenen Widerstand der anderen Fraktionen. Der parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion, Bernd Baumann, sagte: "Die heutige Gesetzesvorlage ist eine Ermächtigung der Regierung, wie es das seit geschichtlichen Zeiten nicht mehr gab". Abgeordnete der anderen Fraktionen wiesen die Vorwürfe zurück. Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Carsten Schneider sagte, die AfD spiele mit dem Vergleich mit dem Ermächtigungsgesetz von 1933. "Sie diskreditieren nicht nur unsere Demokratie, sondern sie machen sie verächtlich", betonte er.
Bedenken der Opposition
Redner von FDP, Grünen und Linkspartei kritisierten die Reform des Infektionsschutzgesetzes dennoch. Die geplanten Neuregelungen gäben den Regierungen keine Leitplanken vor, sondern stellten ihnen "einen Freifahrtschein" aus, sagte FDP-Fraktionschef Christian Lindner. Es sei eine demokratische Grundsatzfrage, dass niemals Regierungen über solche massiven Eingriffe in Grund- und Freiheitsrechte entscheiden dürften, sagte der parlamentarische Geschäftsführer der Linken, Jan Korte.