Bundesregierung will Kleinstparteien aus EU-Parlament verbannen

Die Bundesregierung will den Einzug sehr kleiner deutscher Parteien ins Europaparlament verhindern. Nach Angaben von EU-Diplomaten setzen sich CDU, CSU und SPD in Brüssel dafür ein, dass am 17.04.2018 bei einem EU-Ministertreffen eine spezielle Sperrklausel beschlossen wird. Diese soll dafür sorgen, dass in Deutschland Parteien mit einem niedrigen einstelligen Wahlergebnis keinen Sitz im Europaparlament bekommen. Die Hürde für einen Einzug ins Parlament soll demnach auf einen Wert zwischen 2 und 5% festgelegt werden.

BVerfG kippte 3%-Hürde kurz vor EU-Wahl 2014

Die Änderung könnte beispielsweise die Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP), die Piratenpartei, die rechte NPD oder die Freien Wähler betreffen. Sie hatten bei der Wahl 2014 den Einzug in Europaparlament geschafft, weil das Bundesverfassungsgericht kurz zuvor die 3%-Hürde im deutschen Europawahlgesetz ersatzlos gestrichen hatte (NJW 2014, 1421). Die Sperrklausel verstoße gegen die Grundsätze der Wahlrechtsgleichheit und der Chancengleichheit der Parteien, hieß es damals im Urteil. Im Gegensatz zum Bundestag komme es im Europaparlament nicht so auf stabile Mehrheitsverhältnisse an.

Kritik: Aushebelung des BVerfG-Urteil durch die Hintertür

Vor allem unter Verweis auf den Karlsruher Richterspruch kritisieren kleine Parteien das Vorgehen der Bundesregierung als skandalös. "Nachdem das Bundesverfassungsgericht wiederholt Versuche der großen Koalition gestoppt hat, die Abbildung des Wählerwillens im Europaparlament durch eine Sperrklausel zu behindern und sich gleichzeitig selbst mehr Sitze zuzuweisen, will Bundeskanzlerin Merkel die Karlsruher Urteile nun durch Vorgaben aus Brüssel aushebeln“, kommentierte die Piratenpartei. Sie will rechtliche Schritte prüfen, sollte die von der Bundesregierung vorangetriebene Wahlrechtsreform beschlossen werden.

ÖDP: Etablierte Parteien unbelehrbar

Die ÖDP reagiert ähnlich und verweist darauf, dass die Wahlrechtsreform so konzipiert wurde, dass sie lediglich Deutschland und mit Einschränkungen Spanien treffen würde. "Die etablierten Parteien haben aus den diversen Verfassungsgerichtsurteilen nichts gelernt. Im Gegenteil: Sie versuchen mit immer neuer Trickserei die eindeutigen und vielfach von Gerichten bestätigten Verfassungsregeln zur Chancengleichheit bei demokratischen Wahlen zu umgehen“, kommentierte der Landesverband Nordrhein-Westfalen.

CDU und SPD befürchten Zersplitterung des EU-Parlaments

Die großen etablierten Parteien wie CDU und SPD begründen ihr Eintreten für eine Sperrklausel bei der Europawahl mit der Sorge vor einer Zersplitterung des EU-Parlaments. Das BVerfG sah diese bislang nicht. Es hatte bereits 2011 die damals geltende 5%-Klausel bei der Europawahl gekippt (NVwZ 2012, 33). 2013 beschloss der Bundestag als Reaktion darauf die 3%-Klausel, die 2014 aber ebenfalls keinen Bestand hatte.

Belgien gegen Sperrklausel

Über die Änderung des Europawahlrechts will die Bundesregierung diese Richtersprüche aushebeln. Bis zuletzt sah sie sich allerdings mit dem Widerstand Belgiens konfrontiert, das der Reform wie alle anderen EU-Staaten zustimmen müsste. Dort ist vor allem die flämische Regierungspartei NVA der Ansicht, dass kleine Parteien die politische Landschaft bereichern. Die deutschen Parteien verweisen auch darauf, dass die Gefahr einer Zersplitterung gering ist, weil sich die Abgeordneten kleiner Parteien sehr oft einer Fraktion anschließen, die in etwa ihre politischen Vorstellungen vertritt. Derzeit seien beispielsweise fünf der sieben deutschen Einzelmandatsträger Mitglied einer der großen EU-Parlamentsfraktionen.

Redaktion beck-aktuell, Ansgar Haase, 18. April 2018 (dpa).

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