Bundesrat billigt vor der Sommerpause zahlreiche Neuregelungen
bundesrat08072022_CR_FlashpicJensKrick
© Flashpic / Jens Krick
bundesrat08072022_CR_FlashpicJensKrick

Der Bundesrat hat in seiner letzten Sitzung vor der Sommerpause zahlreiche Gesetzesvorhaben zum Abschluss gebracht. Er billigte unter anderem das sogenannte Osterpaket, das den Umbau auf Erneuerbare Energien beschleunigen soll und gab grünes Licht für die Abschaffung des Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche. Unmittelbar nach dem Bundestag billigte der Bundesrat außerdem den NATO-Beitritt von Finnland und Schweden.

Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes

Nur einen Tag nach dem Bundestag haben auch die Länder die Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes gebilligt – sie ist Teil des so genannten Osterpakets der Bundesregierung. Ziel der Novelle ist, den naturverträglichen Ausbau der erneuerbaren Energien und vor allem der Windenergie an Land bis 2045 zu beschleunigen und damit die Energiesicherheit zu gewährleisten – auch vor dem Hintergrund der aktuellen Ukraine-Krise. Dazu wird im Bundesnaturschutzgesetz der Grundsatz verankert, dass Errichtung und Betrieb von Windenergieanlagen im überragenden öffentlichen Interesse liegen und der öffentlichen Sicherheit dienen. So dürfen künftig auch Landschaftsschutzgebiete in die Suche nach Flächen für den Windenergieausbau einbezogen werden. Bundeseinheitliche Standards sollen die Genehmigungsverfahren vereinfachen und beschleunigen. Zusätzliche artenschutzbezogene Erleichterungen sieht das Gesetz für das sogenannte Repowering von Windanlagen vor, das ältere Windräder durch leistungsfähigere neue ersetzt. Das Bundesamt für Naturschutz ist künftig im Gegenzug dafür zuständig, zum dauerhaften Schutz besonders betroffener Arten nationale Artenhilfsprogramme aufzustellen und umzusetzen. Zur Finanzierung sollen auch Anlagenbetreiber beitragen.

Bundesrat billigt Maßnahmen zum Stromnetzausbau

Ebenfalls Teil des Osterpakets sind umfangreiche Änderungen des Energiewirtschaftsrechts, die der Bundestag am 24.06.2022 verabschiedet hatte. Die Maßnahmen sollen die beschleunigte Nutzung erneuerbarer Energien ermöglichen und umfassen den verstärkten Ausbau der Stromnetze, Änderungen im Vertragsrecht zwischen Stromanbietern und Endkunden sowie erweiterte Befugnisse der Aufsichtsbehörden im Wettbewerbsrecht. Das Gesetz verankert das Ziel der Treibhausgasneutralität im Jahr 2045 unmittelbar im Energiewirtschaftsgesetz. Es strafft Planungs- und Genehmigungsprozesse bei Stromleitungen, ergänzt die Netzentwicklungsplanungen um die Berechnung eines Klimaneutralitätsnetzes und richtet Planungen auf Verteilernetzebene am Ziel einer vorausschauenden und effizienten Bedarfsdimensionierung aus, die auch den Ausbau der Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge berücksichtigt.

Besserer Verbraucherschutz gegenüber Energielieferanten

Ziel ist zudem, rechtliche Unklarheiten für Verbraucherinnen und Verbraucher bei der Kündigung eines Vertrags durch Energielieferanten in Zeiten steigender Energiepreise zu beseitigen. Es grenzt die Ersatzversorgung von der Grundversorgung mit Strom und Gas ab, beendet die preisliche Kopplung beider Instrumente im Segment der Haushaltskunden und verpflichtet die Anbieter zu mehr Transparenz gegenüber Kunden und Bundesnetzagentur. Zudem ermöglicht das Gesetz eine stärkere Beobachtung der Raffinerien und des Kraftstoffgroßhandels durch die Markttransparenzstelle für Kraftstoffe beim Bundeskartellamt.

Bundesrat macht Weg frei für EEG-Novelle 2023

Der Bundesrat hat auch das vom Bundestag gestern verabschiedete Gesetz zu Sofortmaßnahmen für einen beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien und weiteren Maßnahmen im Stromsektor gebilligt. Die Novelle überarbeitet das gesamte Erneuerbare-Energien-Gesetz grundlegend und umfassend, ändert flankierend zahlreiche andere Gesetze. Ziel ist es, im Jahr 2045 Treibhausgasneutralität zu erreichen. Schon 2030 sollen 80% des in Deutschland verbrauchten Stroms aus erneuerbaren Energien stammen. Um dieses Ziel zu erreichen, legt das Gesetz Ausbaupfade und Ausschreibungsmengen für die einzelnen Technologien zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien fest. Es schafft zudem die EEG-Umlage dauerhaft ab, nachdem sie durch eine kürzliche Änderung bereits auf Null abgesenkt worden war.

Wind-an-Land-Gesetz soll Windkraft stärken

Das Gesetz zur Erhöhung und Beschleunigung des Ausbaus von Windenergieanlagen an Land flankiert die erhöhten Ausbauziele. Es legt fest, dass bis spätestens 31.12.2032 mindestens 2% der Landesflächen für Windenergie an Land zur Verfügung stehen müssen. Dies bedeute mehr als eine Verdoppelung der derzeit ausgewiesenen Fläche. Das neue Windenergieflächenbedarfsgesetz gibt den Ländern in zwei Etappen verbindliche Flächenziele vor – sogenannte Flächenbeitragswerte. Die Länderöffnungsklausel, die es den Ländern bislang erlaubt, Mindestabstände der Windräder von bis zu einem Kilometer zu Wohngebieten festzulegen, bleibt zwar bestehen. Die Landesregeln greifen jedoch nur dann, wenn die im Verteilerschlüssel festgelegten Flächenziele in den jeweiligen Ländern erreicht sind.

Länder billigen Weiterentwicklung des Energie- und Klimafonds

Der Bundesrat hat die vom Bundestag beschlossene Weiterentwicklung des Energie- und Klimafonds zu einem Klima- und Transformationsfonds durch Verzicht auf ein Vermittlungsverfahren gebilligt. Ziel ist es, zusätzliche Klimaschutzmaßnahmen und Maßnahmen zur nachhaltigen Transformation der deutschen Wirtschaft zu finanzieren, die geeignet sind, die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie zu bekämpfen – und gleichzeitig dazu beitragen, die Klimaschutzziele des Klimaschutzgesetzes zu erreichen. Die dem Sondervermögen mit dem Zweiten Nachtragshaushaltsgesetz 2021 zugewiesenen Mittel in Höhe von 60 Milliarden Euro werden zweckgebunden zur Finanzierung entsprechender öffentlicher Investitionen sowie zur Förderung privatwirtschaftlicher Investitionen dienen.

Ersatzkraftwerke bei Gasmangel

Nur einen Tag nach der Beschlussfassung des Bundestages hat der Bundesrat einem Gesetz zugestimmt, das die Bereithaltung von Ersatzkraftwerken zur Reduzierung des Gasverbrauchs im Stromsektor im Fall einer drohenden Gasmangellage vorsieht. Das Gesetz ermöglicht es, dem Strommarkt durch Änderungen im Energiewirtschaftsgesetz befristet zusätzliche Kapazitäten zur Stromerzeugung mit Stein- und Braunkohle sowie Mineralöl zur Verfügung zu stellen. Dazu können Kraftwerke genutzt werden, die derzeit nur eingeschränkt verfügbar sind, demnächst stillgelegt würden oder sich in einer Reserve befinden. Dies soll die Gasverstromung soweit wie möglich ersetzen, um Erdgas einzusparen. Außerdem schafft das Gesetz eine Verordnungsermächtigung, um im Falle einer Gefährdung des Gasversorgungssystems sehr schnell den Einsatz von Gaskraftwerken beschränken und dadurch den Gasverbrauch in der Stromerzeugung noch weiter senken zu können. Das nunmehr verabschiedete Gesetz erleichtert den Einstieg des Bundes bei strauchelnden Gasimporteuren. Es ermöglicht zudem, die steigenden Kosten der Gasbeschaffung durch ein Umlagesystem auf alle Gasverbraucherinnen und -verbraucher zu verteilen.

Bundesrat fordert Änderungen an Regierungsplänen zur Aufteilung von CO2-Kosten

Die Länder schlagen Änderungen am Gesetzentwurf der Bundesregierung vor, mit dem diese die Kohlendioxidkosten zwischen den Mietparteien aufteilen will. Sie fordern insbesondere, zur Ermittlung der Kohlendioxidkosten einen Bedarfsausweis heranzuziehen, der dem jeweiligen Gebäude eine bestimmte energetische Qualität zuweist – und nicht, wie im Entwurf vorgesehen, die Einstufung aufgrund des tatsächlich abgerechneten Verbrauches vorzunehmen. Dies werde zu einer besseren Steuerungswirkung und einer faireren Kostenverteilung führen. Außerdem fordert der Bundesrat, Mieterinnen und Mietern zur Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs zwölf statt – wie von der Bundesregierung vorgesehen – nur sechs Monate zur Verfügung zu stellen.

Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche wird aufgehoben

Der Bundesrat hat die ersatzlose Streichung des Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche in § 219a StGB gebilligt. Künftig können Ärztinnen und Ärzte ausführlich über Möglichkeiten zum Abbruch einer Schwangerschaft informieren, ohne mit einer strafrechtlichen Verfolgung rechnen zu müssen. Geändert wird auch das Heilmittelwerbesetz: Es erfasst künftig sowohl medizinisch indizierte als auch medizinisch nicht indizierte Schwangerschaftsabbrüche. Irreführende oder abstoßende Werbung für alle Arten von Schwangerschaftsabbrüchen bleibt damit weiter verboten. So werde sichergestellt, dass die Aufhebung des Werbeverbots nicht zu Lücken im grundrechtlich gebotenen Schutzkonzept für das ungeborene Leben führt, heißt es in der Gesetzesbegründung. Durch eine neue Regelung im Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch sollen strafgerichtliche Urteile, die wegen Werbung für den Schwangerschaftsabbruch ergangen sind, aufgehoben und noch laufende Verfahren eingestellt werden, um die verurteilten Ärztinnen und Ärzte zu rehabilitieren. Zudem verlängert das Gesetz die Frist zur Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen für Personen, die nach dem 08.05.1945 wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen verurteilt worden waren, bis einschließlich 21.07.2027.

Bundesrat billigt BAföG-Reform

Umfassende Verbesserungen beim BAföG durch die 27. Novelle des Bundesausbildungsförderungsgesetzes: Zum 01.08.2022 erhöhen sich die Bedarfsätze um 5,75%, die Freibeträge um 20,75%. Damit sollen die steigenden Lebenshaltungskosten abgefedert werden. Der Wohnzuschlag für auswärts Wohnende liegt künftig bei 360 Euro, der Vermögensfreibetrag von Geförderten bis zum 30. Lebensjahr bei 15.000 Euro sowie für Auszubildende, die das 30. Lebensjahr vollendet haben, bei 45.000 Euro. Die Altersgrenze zu Beginn des zu fördernden Ausbildungsabschnittes wird vereinheitlicht und auf 45 Jahre angehoben. Die Erlassmöglichkeit der Darlehensrestschulden nach 20 Jahren für Altfälle gilt künftig auch für jene Rückzahlungsverpflichteten, die es versäumt hatten, innerhalb der gesetzten Frist der vorangegangenen 26. BAföG-Novelle den Erlass der Darlehensrestschulden zu beantragen.

Neuer Zinssatz für Steuernachzahlungen

Der Zinssatz für Steuernachzahlungen oder Erstattungen sinkt rückwirkend zum 01.01.2019. Nach § 233a AO werden nun 0,15% pro Monat - also 1,8% pro Jahr fällig. Die Angemessenheit des neuen Zinssatzes wird künftig regelmäßig evaluiert, erstmals zum 01.01.2026. Außerdem verankert das Gesetz eine bisher nur im Verwaltungsweg getroffene Regelung über den Erlass von Nachzahlungszinsen bei vor Fälligkeit freiwillig geleisteten Zahlungen. Sie erstreckt sich damit künftig auch auf die von Kommunen verwaltete Gewerbesteuer.

Ausweitung der Online-Beglaubigung im Gesellschaftsrecht

Die Länder haben ergänzende Regeln zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie gebilligt, die der Bundestag am 23.06.2022 beschlossenen hatte. Das Gesetz weitet vor allem die Möglichkeit der Online-Beglaubigung von Handelsregisteranmeldungen aus. Die bisherige Beschränkung auf bestimmte Rechtsträger wie Einzelkaufleute, GmbH oder Aktiengesellschaften entfällt. Zudem erstreckt es das Verfahren auch auf Anmeldungen im Partnerschafts-, Genossenschafts- und Vereinsregister. Es sieht vor, dass das notarielle Verfahren der Online-Beurkundung auch auf einstimmig gefasste satzungsändernde Beschlüsse sowie auf GmbH-Sachgründungen und Gründungsvollmachten angewendet werden kann. Das Gesetz sieht zudem eine Ausweitung der Möglichkeiten der Beurkundung mittels Videokommunikation in der Bundesnotarordnung vor.

Bundesrat billigt Gesetz zum NATO-Beitritt

Unmittelbar nach dem Bundestag hat auch der Bundesrat das Ratifikationsgesetz zum geplanten NATO-Beitritt von Finnland und Schweden gebilligt und damit das parlamentarische Verfahren innerhalb kürzester Zeit abgeschlossen. Finnland und Schweden hatten unter dem Eindruck des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine am 18.05.2022 formell den Beitritt zur NATO beantragt. Gemäß Artikel 10 des Nordatlantikvertrags können die Mitgliedstaaten durch einstimmigen Beschluss neue Mitglieder zum Beitritt einladen. Jeder so eingeladene Staat kann dann durch Hinterlegung seiner Beitrittsurkunde bei der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika Mitglied werden.

Grünes Licht für beschleunigte Beschaffung bei der Bundeswehr

Die Armee kann künftig schneller Aufträge vergeben und Material beschaffen und die Mittel aus dem jüngst beschlossenen Sondervermögen zum Einsatz bringen. Die Vergabestellen können Aufträge nun zügiger vergeben, als es nach der bisherigen Rechtslage möglich war. Außerdem können sie mehrere Teil- oder Fachlose zusammen vergeben, wenn wirtschaftliche, technische oder zeitliche Gründe dies rechtfertigen. Überdies schafft das Gesetz Erleichterungen für die gemeinsame europäische Beschaffung. Die Regelungen erweitern auch den Kreis der Auftraggeber um bundeseigene Gesellschaften.

Weitergabe von Preisanpassungen bei Fernwärme

In verkürzter Frist hat der Bundesrat einer Verordnung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz zur Versorgung mit Fernwärme zugestimmt. Die Verordnung räumt Fernwärmeversorgungsunternehmen, die ihre Wärme aus Gas erzeugen, das Recht ein, die ihnen nach § 24 Energiesicherungsgesetz von ihren Gaslieferanten weitergegebenen Preisanpassungen auch bei entgegenstehenden vertraglichen Vereinbarungen ihrerseits zeitnah an ihre Fernwärmekunden weitergeben zu können. Diese erhalten im Gegenzug ein Sonderkündigungsrecht. Ohne diese Möglichkeit zur Weiterreichung der Preiserhöhungen könnten bei den Fernwärmeversorgern erhebliche Liquiditätsprobleme entstehen, meint der Bundesrat. Diese würden letztlich zu einer Gefährdung der Wärmeversorgung von Kundinnen und Kunden führen.

Ausweisung Nitrat-belasteter Gebiete

Schließlich hat der Bundesrat auch einer Verwaltungsvorschrift zur Ausweisung besonders Nitrat-belasteter Gebiete zugestimmt - allerdings nur unter der Bedingung einiger fachlicher Änderungen. Setzt die Bundesregierung diese um, kann sie die neuen Regeln in Kraft setzen. Hintergrund ist ein Vertragsverletzungsverfahren der EU gegen Deutschland wegen unzureichender Umsetzung der EU-Nitratrichtlinie. Grundlage für die Verwaltungsvorschrift ist die geänderte Düngeverordnung, der der Bundesrat im Frühjahr 2020 zugestimmt hatte. Die Bundesländer werden darin verpflichtet, bis zum 30.11.2022 die entsprechenden Gebiete neu auszuweisen. In einer begleitenden Entschließung weist der Bundesrat auf die Herausforderungen hin, die die bundesweite Düngeverordnung und die zugehörige Verwaltungsvorschrift in den Ländern auslöst. Für die Beendigung des EU-Vertragsverletzungsverfahrens seien binnen kürzester Frist die Landesdüngeverordnungen anzupassen.

Redaktion beck-aktuell, 8. Juli 2022.