Bun­des­jus­tiz­mi­nis­te­ri­um will Völ­ker­straf­recht fort­ent­wi­ckeln

Das Bun­des­jus­tiz­mi­nis­te­ri­um hat am Mon­tag einen Re­fe­ren­ten­ent­wurf zur Fort­ent­wick­lung des Völ­ker­straf­rechts ver­öf­fent­licht. Die Vor­schlä­ge zie­len dar­auf, Op­fer­rech­te zu stär­ken, Straf­bar­keits­lü­cken zu schlie­ßen und die Brei­ten­wir­kung völ­ker­straf­recht­li­cher Pro­zes­se und Ur­tei­le zu ver­bes­sern. Stel­lung­nah­men zu dem Vor­ha­ben sind bis 25.08.2023 mög­lich.

Ge­stärkt wer­den sol­len die Rech­te der Men­schen, die Opfer von Straf­ta­ten nach den §§ 6 bis 8 und 10 bis 12 VStGB ge­wor­den und in ihren Rech­ten auf kör­per­li­che Un­ver­sehrt­heit, Frei­heit, re­li­giö­se, se­xu­el­le oder re­pro­duk­ti­ve Selbst­be­stim­mung oder un­ge­stör­te kör­per­li­che und see­li­sche Ent­wick­lung in der Kind­heit ver­letzt wor­den sind.

Ihnen sowie den An­ge­hö­ri­gen der durch diese Straf­ta­ten Ge­tö­te­ten soll die Ne­ben­kla­ge­be­fug­nis ein­ge­räumt wer­den. Hier­zu soll § 395 StPO ge­än­dert wer­den.

Par­al­lel dazu sol­len die Re­geln über die an­walt­li­che Ver­tre­tung von Ne­ben­klä­ge­rin­nen und Ne­ben­klä­gern an­ge­passt wer­den. Wenn Opfer von VStGB-Straf­ta­ten als Ne­ben­klä­ge­rin­nen oder Ne­ben­klä­ger zu­ge­las­sen wur­den, sol­len sie künf­tig be­rech­tigt sein, ohne wei­te­re Vor­aus­set­zun­gen einen Op­fer­an­walt oder eine Op­fer­an­wäl­tin bei­ge­ord­net zu be­kom­men. Ins­be­son­de­re soll es dafür nicht auf die Vor­aus­set­zun­gen der Pro­zess­kos­ten­hil­fe an­kom­men. Hier­zu soll § 397a Abs. 1 StPO ge­än­dert wer­den.

Psy­cho­so­zia­le Pro­zess­be­glei­tung künf­tig ohne Vor­aus­set­zun­gen

Auch die Re­geln für die Bei­ord­nung einer psy­cho­so­zia­len Pro­zess­be­glei­tung sol­len an­ge­passt wer­den (§ 406g StPO): Wenn Opfer von Völ­ker­straf­ta­ten als Ne­ben­klä­ge­rin­nen oder Ne­ben­klä­ger zu­ge­las­sen wur­den, sol­len sie künf­tig be­rech­tigt sein, auf An­trag ohne wei­te­re Vor­aus­set­zung einen psy­cho­so­zia­len Pro­zess­be­glei­ter oder eine psy­cho­so­zia­le Pro­zess­be­glei­te­rin bei­ge­ord­net zu be­kom­men.

Um dem be­rech­tig­ten In­ter­es­se der Pra­xis an der ef­fek­ti­ven Durch­füh­rung von Haupt­ver­hand­lun­gen mit zahl­rei­chen Ne­ben­klä­gern und Ne­ben­klä­ge­rin­nen Rech­nung zu tra­gen, soll § 397b Ab­satz 1 StPO, der eine ge­mein­schaft­li­che Ne­ben­kla­ge­ver­tre­tung bei gleich­ge­la­ger­ten In­ter­es­sen er­mög­licht, um ein wei­te­res Re­gel­bei­spiel er­gänzt wer­den, das diese In­ter­es­sen in Ver­fah­ren nach dem VStGB kon­kre­ti­siert.

Zudem soll in einem neuen § 397b Abs. 4 StPO ge­re­gelt wer­den, dass in den Fäl­len, in denen nur auf­grund von VStGB-Tat­be­stän­den ein ge­mein­schaft­li­cher Rechts­an­walt oder Rechts­an­wäl­tin als Bei­stand meh­re­rer Ne­ben­klä­ger be­stellt wurde, die Aus­übung der in § 397 Abs. 1 Satz 3 und 4 StPO ge­nann­ten Be­tei­li­gungs­rech­te der Ne­ben­klä­ge­rin­nen und Ne­ben­klä­ger wie etwa deren Fra­ge­recht oder Be­weis­an­trags­recht auf deren Ne­ben­kla­ge­ver­tre­te­rin­nen oder -ver­tre­ter über­tra­gen wird.

Straf­bar­keits­lü­cken schlie­ßen

Straf­bar­keits­lü­cken im VStGB sol­len ge­schlos­sen und die dor­ti­gen Straf­tat­be­stän­de fort­ent­wi­ckelt wer­den.

§ 7 VStGB (Ver­bre­chen gegen die Mensch­lich­keit) und § 8 VStGB (Kriegs­ver­bre­chen gegen Per­so­nen) sol­len so an­ge­passt wer­den, dass sie auch den Tat­be­stand der se­xu­el­len Skla­ve­rei, des se­xu­el­len Über­griffs sowie den er­zwun­ge­nen Schwan­ger­schafts­ab­bruch um­fas­sen. Damit solle dem er­heb­li­chen Un­rechts­ge­halt der damit be­zeich­ne­ten Hand­lung und der zu­neh­men­den Be­deu­tung die­ser Tat­be­stän­de in der Recht­spre­chung des IStGH Rech­nung ge­tra­gen wer­den, so das BMJ.

Neu auf­ge­nom­men wer­den sol­len in das VStGB au­ßer­dem die Tat­be­stän­de der Ver­wen­dung von Waf­fen, deren Split­ter mit Rönt­gen­strah­len nicht er­kenn­bar sind, sowie der Ver­wen­dung von dau­er­haft blind­ma­chen­den La­ser­waf­fen. Diese Tat­be­stän­de wur­den jüngst in das Sta­tut des IStGH auf­ge­nom­men; durch Über­nah­me in das na­tio­na­le Recht soll zur Bil­dung ent­spre­chen­den Völ­ker­ge­wohn­heits­rechts bei­ge­tra­gen wer­den.

Schlie­ß­lich soll im Tat­be­stand des Ver­schwin­den­las­sens als Ver­bre­chen gegen die Mensch­lich­keit (§ 7 VStGB) das Nach­fra­ge­er­for­der­nis ge­stri­chen wer­den

Bes­se­re Me­di­en­ar­beit

Re­zep­ti­on und Ver­brei­tung wich­ti­ger deut­scher Völ­ker­straf­rechts­pro­zes­se sol­len ge­för­dert wer­den. Hier­zu soll in § 185 GVG klar­ge­stellt wer­den, dass Me­di­en­ver­tre­ter in Ge­richts­ver­fah­ren Ver­dol­met­schun­gen nut­zen kön­nen, wenn sie der deut­schen Spra­che nicht mäch­tig sind. Das Jus­tiz­mi­nis­te­ri­um wird dar­über hin­aus Über­set­zun­gen weg­wei­sen­der Ur­tei­le zum Völ­ker­straf­recht in die eng­li­sche Spra­che in Auf­trag geben, damit welt­weit auch die nicht-deutsch­spra­chi­ge Öf­fent­lich­keit Zu­gang hier­zu be­kommt.

Schlie­ß­lich soll die wis­sen­schaft­li­che und his­to­ri­sche Re­zep­ti­on von völ­ker­straf­recht­li­chen Ver­fah­ren er­leich­tert wer­den. Hier­zu soll in § 169 Abs. 2 S. 1 GVG auch die Mög­lich­keit von Film­auf­nah­men zu­ge­las­sen wer­den, so­fern es sich um ein völ­ker­straf­recht­li­ches Ver­fah­ren von ent­spre­chen­der Be­deu­tung han­delt.

Zudem soll ge­re­gelt wer­den, dass die – künf­tig oh­ne­hin für viele straf­ge­richt­li­che Haupt­ver­hand­lun­gen ob­li­ga­to­ri­sche – Auf­zeich­nung auch für wis­sen­schaft­li­che und his­to­ri­sche Zwe­cke ver­wen­det wer­den kann. Be­wirkt wer­den soll dies durch eine An­pas­sung des § 169 Abs. 2 GVG sowie auf­grund der Neu­fas­sung von § 273 StPO im Ent­wurf des Ge­set­zes zur di­gi­ta­len Do­ku­men­ta­ti­on der straf­ge­richt­li­chen Haupt­ver­hand­lung.

Redaktion beck-aktuell, 17. Juli 2023.

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