Bundesgerichte sollen abspecken
© dpa | Peter Kneffel

Das Bundesjustizministerium hat nach Informationen der NJW einigen Bundesgerichten nahegelegt, Richterstellen und Senate abzubauen. Zumindest der BFH wird deshalb voraussichtlich einen Spruchkörper und drei bis fünf Entscheidungsfinder einsparen, wie aus München zu hören ist.

Die Klagefreude der Bürger und Bürgerinnen geht zurück, und dementsprechend auch die Neueingänge an einigen Bundesgerichten. Darauf hat die Politik nun reagiert: Bei manchen der obersten Rechtsprechungsorgane dringt sie aufs Abspecken. Am BFH deuten alle Zeichen darauf hin, dass man dem Ansinnen nachgibt. Spätestens Mitte dieses Jahres soll dem Vernehmen endgültig entschieden werden, ob und wann ein Senat aufgelöst wird. Die Stellenstreichungen wollen die obersten Steuerrichter teilweise durch Alterspensionierungen abfangen.

Auch am BGH sind längst nicht alle Senate maximal ausgelastet, wie es gelegentlich aus Karlsruhe heißt. Im vergangenen Jahr trafen dort im Zivilrecht 3.105 neue Revisionen und Nichtzulassungsbeschwerden ein, 2023 waren es noch 4.157. An den sechs Strafsenaten lief es allerdings genau andersherum: Es gab einen Anstieg von 3.180 auf 3.733 – der Höchstwert in der Zehn-Jahres-Statistik. Am BVerwG blieb die Zahl der Verfahrenseingänge 2024 gegenüber dem Vorjahr hingegen nahezu gleich. Als dort im Herbst 2022 Andreas Korbmacher den Chefposten antrat, verwies er im Interview mit der NJW auf einen deutlichen Rückgang der Eingangszahlen auch in Leipzig. Das BVerwG werde "gut mit Personal versorgt", sagte er damals: "Im nächsten Jahr sollen wir über unseren eigentlichen Bedarf hinaus einen weiteren Senat bekommen, der sich vornehmlich mit eilbedürftigen Planungsverfahren befassen kann." Hintergrund für diesen ungewöhnlichen Schritt war die Energiewende, die die damalige Ampel-Koalition auch auf dem Rechtsweg beschleunigen wollte. Am BSG freute sich wiederum die neue Präsidentin Christine Fuchsloch jetzt Mitte Februar über eine "echte Trendumkehr": Über alle Verfahrensarten hinweg seien die Eingangszahlen nicht mehr zurückgegangen und bei den Revisionen sogar leicht angestiegen.

Flächendeckender Rückgang

Der Rückgang von Klagen betrifft insbesondere die Zivilgerichtsbarkeit in allen Instanzen und bundesweit – von Sonderfällen wie Dieselklagen oder solchen von Flugpassagieren abgesehen, die sich an bestimmten Gerichtsstandorten ballen: Im Jahr 2023 haben die deutschen Amtsgerichte rund 750.000 Zivilverfahren abgeschlossen, wie das Statistische Bundesamt vor sechs Wochen als frischeste Auswertung bekanntgab. 2017 waren es noch etwa 950.000 Fälle gewesen, 1996 und 1997 sogar über 1,7 Millionen. Ein ähnlicher Rückgang zeigte sich laut Bundesamt für Justiz an den Landgerichten: Von fast 393.000 erstinstanzlichen Verfahrenserledigungen im Jahr 1999 sanken sie auf knapp 294.000 im Jahr 2023. Weil allerdings spezialisierte Rechtsanwälte und Legal-Tech-Anbieter oft mit langen Schriftsätzen voller Textbausteinen arbeiten, die sich kaum auf den konkreten Fall beziehen, hält die Justiz teilweise bereits mit KI gegen. Hinzu kommt eine längere Verfahrensdauer dadurch, dass der deutsche und europäische Gesetzgeber immer mehr regeln und in schneller Folge ändern, so dass die Bearbeitung vieler Klagen komplizierter wird.

Für Entlastung in der Fläche hat der Gesetzgeber bereits mit diversen Neuerungen gesorgt: Nach einer abermaligen Reform des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes (KapMuG), das gleichgelagerte Prozesse durch Vorentscheidungen von Obergerichtgen bündeln soll, gibt es mittlerweile die Musterfeststellungsklage, die Abhilfeklage (eingeführt durch das Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz – VDUG) und – ganz neu – das (unverbindliche) Leitentscheidungsverfahren beim BGH. Flankiert wird dies von dem Unterlassungsklagengesetz (UKlaG), dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) und dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungenz (GWB). Diese ermöglichen es Verbänden, rechtswidrige Zustände wenigstens für die Zukunft abzustellen. Anerkannt von den Gerichten wurde überdies in manchen Konstellationen kollektiver Rechtsschutz durch eine Abtretung von Ansprüchen an eigens geschaffene Prozessvehikel oder Prozessfinanzierer.

Was die deutlichen Rückgänge verursacht, konnte vor zwei Jahren auch eine Studie nicht eindeutig klären, die das Bundesjustizministerium in Auftrag gegeben hatte. Die Gründe sind demnach vielfältig: So sei das Interesse an vorbeugenden und konsensualen Konfliktlösungen (z.B. durch AGB-Gestaltung, Vorkasse und unternehmensinternes Beschwerdemanagement sowie Ombudsleute) gestiegen. Privatleute nutzten zunehmend den bequemeren Weg über Legal-Tech-Anbieter. Dass Anwälte häufiger von Klagen abrieten, ist der Untersuchung zufolge ein weiterer Grund; Rechtsschutzversicherer schränkten ihre Deckungszusagen ein. Und schließlich schmälerten "einzelne justizorganisatorische Faktoren die Attraktivität des Zivilprozesses" – so die im Vergleich zur Anwaltschaft oftmals geringere Spezialisierung, die schleppende Digitalisierung und der häufige Richterwechsel.

Redaktion beck-aktuell, Prof. Dr. Joachim Jahn ist Mitglied der NJW-Schriftleitung, 10. März 2025.

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