Kein Nachgeben: Bundesgerichte und Lambrecht streiten weiter um Spitzenposten
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Der Konflikt zwischen den fünf obersten Bundesgerichten und Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) um die Besetzung der Gerichtsspitzen hält an: Der Versuch einer Einigung ist nach Informationen der NJW bei einer Telefonkonferenz aller Beteiligten gescheitert. Für die als BFH-Vizepräsidentin auserkorene Präsidentin des saarländischen FG, Anke Morsch (SPD), stellt sich damit die Frage, ob sie sich nun überhaupt zur (zunächst einfachen) Richterin am obersten Steuergericht ernennen lässt, zu der sie kürzlich gewählt wurde. Denn mindestens ein Senatsvorsitzender hat bereits eine Konkurrentenklage angekündigt.

BFH-Spitze verwaist

Der BFH steht mittlerweile ohne Präsident und ohne Vizepräsidentin da. Ex-Gerichtschef Rudolf Mellinghoff schied turnusmäßig zum 31.7. aus dem Amt, seine Stellvertreterin Christine Meßbacher-Hönsch am 31.10. dieses Jahres. Anfang Oktober wählte deshalb der Richterwahlausschuss, der sich aus 16 Bundestagsabgeordneten und derselben Zahl von Landesministern zusammensetzt, Morsch zur Richterin an den BFH; sie war bisher seit gut drei Jahren Präsidentin des FG des Saarlands und zuvor Staatssekretärin in dem Bundesland. Nach internen Absprachen in der Großen Koalition soll sie in München sofort zur Vizepräsidentin aufsteigen. BFH-Präsident soll Hans-Josef Thesling werden: Er steht der CDU nahe und leitet derzeit die Zentralabteilung im Justizministerium von Nordrhein-Westfalen. Zuvor war er zwei Jahre lang Präsident des FG Düsseldorf und elf Jahre in der dortigen Landtagsverwaltung tätig.

Qualifikationsanforderungen gesenkt

Der Richterverein am BFH stellte sich jedoch öffentlich gegen die „Politisierung“ der Gerichtsspitze. Unterstützung fand er an den anderen Bundesgerichten, denn Lambrecht hatte zudem die formalen Anforderungen an solche Amtsinhaber gesenkt: Bislang müssen sie „in der Regel“ mindestens fünf Jahre lang Erfahrung als Revisionsrichter gesammelt haben, was bei beiden nicht der Fall ist; diese Voraussetzung hat Lambrecht jüngst streichen lassen. Die Bedenken richten sich allerdings zumeist nur gegen Morsch – zugunsten von Thesling gehen auch Kritiker davon aus, dass er vor allem Repräsentationsaufgaben ausüben werde, wohingegen Morsch in erster Linie als Senatsvorsitzende tätig würde (beck-aktuell vom 9.10.2020).

Staatssekretärin kann nicht überzeugen

Lambrechts verbeamtete Staatssekretärin Margaretha Sudhof konnte jetzt bei einer telefonischen Besprechung mit den Präsidentinnen und Präsidenten der fünf obersten Bundesgerichte (für den BFH nahm der dienstälteste Senatsvorsitzende Michael Wendt teil, der allerdings auch schon das 65. Lebensjahr vollendet hat) die Einwände nicht entkräften. Die Herabsetzung der Qualifikationsanforderungen sei zwar „einstweilen ausgesetzt“. Doch dem Vernehmen nach halten Lambrecht und Sudhof an ihren Personalwünschen fest.

Morsch in der Bredouille

Die Ernennung der beiden durch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier steht noch aus. Das Problem: Mindestens ein Senatsvorsitzender am BFH hat bereits eine Konkurrentenklage angekündigt, falls Morsch ihm als Vizepräsidentin vorgezogen würde. Solche Verfahren vor den Verwaltungsgerichten dauern häufig jahrelang; Erinnerungen werden wach an die Zeit, als am BGH im Streit um die Beförderung des Strafrichters Thomas Fischer zeitweise drei Senate ohne regulären Vorsitzenden dastanden. Würde Morsch nur als „einfache“ Richterin am obersten Steuergericht arbeiten, wäre dies zumindest finanziell weniger attraktiv: Diese Position ist mit der Besoldungsgruppe R 6 dotiert, für Vorsitzende gilt R 8 und für Vizepräsidenten kommt eine Amtszulage obendrauf. FG-Präsidenten werden mit R 5 eingestuft.

Prof. Dr. Joachim Jahn ist Mitglied der NJW-Schriftleitung, 13. Dezember 2020.