Streit um Umstellungsphase auf nachgelagerte Rentenbesteuerung
Seit 2005 läuft eine schrittweise Umstellung der Rentenbesteuerung, die erst 2040 abgeschlossen sein soll. Vor 2005 wurden "vorgelagert" die Rentenbeiträge der Arbeitnehmer besteuert, seither läuft die Umstellung auf eine "nachgelagerte" Besteuerung der ausgezahlten Rente, analog zu den Beamtenpensionen. Strittig ist die Regelung der 35-jährigen Übergangsphase. In dieser Zeit steigt schrittweise die Besteuerung der ausgezahlten Rente, während die Steuerlast der Rentenbeiträge während des Arbeitslebens sinkt. Das komplizierte Prozedere hatte von Anfang an zu Vorwürfen geführt, dass der Bund durch die Hintertür eine doppelte Besteuerung der Renten einführe und in Summe zu viel kassiere.
Aktuell keine doppelte Besteuerung, aber in Zukunft
Der Bundesfinanzhof hat mit seinem ersten heute verkündeten Urteil zum Themenkomplex (Az.: X R 33/19) erstmals genaue Berechnungsparameter für die Ermittlung einer doppelten Besteuerung von Renten festgelegt. Zwar hatte die Revision des Klägers – der eine seit dem Jahr 2007 laufende Rente mit entsprechend hohem Rentenfreibetrag bezieht – keinen Erfolg. Allerdings ergibt sich nach Auffassung der Richter auf der Grundlage der Berechnungsvorgaben des BFH, dass spätere Rentnerjahrgänge von einer doppelten Besteuerung ihrer Renten betroffen sein dürften. Dies folge daraus, dass der für jeden neuen Rentnerjahrgang geltende Rentenfreibetrag mit jedem Jahr kleiner werde. Er dürfte daher künftig rechnerisch in vielen Fällen nicht mehr ausreichen, um die aus versteuertem Einkommen geleisteten Teile der Rentenversicherungsbeiträge zu kompensieren.
Bei privaten Renten systembedingt keine Doppelbesteuerung möglich
In einer zweiten Entscheidung (Az.: X R 20/19) hat der BFH zahlreiche weitere Streitfragen geklärt. Er hat nicht nur über die Behandlung von Leistungen aus der freiwilligen Höherversicherung zur gesetzlichen Altersrente und Fragen der sogenannten Öffnungsklausel entschieden. Er hat auch klargestellt, dass es bei Renten aus privaten Kapitalanlageprodukten außerhalb der Basisversorgung (kurz: privaten Renten), die – anders als gesetzliche Altersrenten – lediglich mit dem jeweiligen Ertragsanteil besteuert werden, systembedingt keine Doppelbesteuerung geben kann. Zudem hat er entschieden, dass zum steuerfreien Rentenbezug nicht nur die jährlichen Rentenfreibeträge des Rentenbeziehers gehören, sondern auch die eines etwaig länger lebenden Ehegatten aus dessen Hinterbliebenenrente. Die Revision der Kläger, die eine doppelte Besteuerung eines Teils der bezogenen Renten beanstandet hatten, blieb auch im zweiten Verfahren ohne Erfolg.
Klage eines Steuerberaters
Im ersten Streitfall war der Kläger während seiner aktiven Erwerbstätigkeit überwiegend selbstständig als Steuerberater tätig. Auf seinen Antrag hin war er in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig. Er zahlte seine Rentenbeiträge größtenteils aus eigenem Einkommen. Dabei konnte er diese Aufwendungen nur begrenzt als Sonderausgaben abziehen. Seit 2007 erhält er eine Altersrente. Im vorliegenden Verfahren wandte er sich gegen deren Besteuerung im Jahr 2008. Das Finanzamt hatte – entsprechend der gesetzlichen Übergangsregelung – 46% der ausgezahlten Rente als steuerfrei behandelt und die verbleibenden 54% der Einkommensteuer unterworfen. Der Kläger hat eine eigene Berechnung vorgelegt, nach der er rechnerisch deutlich mehr als 46% seiner Rentenversicherungsbeiträge aus seinem bereits versteuerten Einkommen geleistet hat. Nach seiner Auffassung liegt deshalb eine verfassungswidrige doppelte Besteuerung von Teilen seiner Rente vor.
BFH: Darf nicht zu Doppelbesteuerung kommen
Die Gerichte sahen dies anders. Der BFH hielt er an seiner bisherigen, vom BVerfG bestätigten Rechtsprechung zur Rentenbesteuerung fest, nach der sowohl der mit dem Alterseinkünftegesetz eingeleitete Systemwechsel zur nachgelagerten Besteuerung von Altersbezügen als auch die gesetzlichen Übergangsregelungen im Grundsatz verfassungskonform sind. Klar sei, dass es im konkreten Einzelfall nicht zu einer doppelten Besteuerung von Renten kommen dürfe. Eine solche doppelte Besteuerung werde vermieden, wenn die Summe der voraussichtlich steuerfrei bleibenden Rentenzuflüsse (kurz: steuerfreier Rentenbezug) mindestens ebenso hoch ist wie die Summe der aus dem bereits versteuerten Einkommen aufgebrachten Rentenversicherungsbeiträge.
Geldentwertung bei Berechnung nicht zu berücksichtigen
Der Auffassung der Kläger, nach der die zwischen der früheren Beitragszahlung und dem heutigen bzw. künftigen Rentenbezug eintretende Geldentwertung im Rahmen der Berechnung zu berücksichtigen sei, folgte der Senat nicht. Für eine solche Abweichung vom sogenannten Nominalwertprinzip sah er weder im Einkommensteuerrecht noch im Verfassungsrecht eine Grundlage. Infolgedessen könnten Wertsteigerungen der Renten - unabhängig davon, ob sie inflationsbedingt sind oder eine reale Erhöhung darstellen - besteuert werden.
Berechnungsparameter für Ermittlung etwaiger Doppelbesteuerung
Erstmals hat der X. Senat aber konkrete Berechnungsparameter für die Ermittlung einer etwaigen doppelten Besteuerung von Renten festgelegt. Dabei hat er klargestellt, dass zum steuerfreien Rentenbezug nicht nur die jährlichen Rentenfreibeträge des Rentenbeziehers, sondern auch die eines etwaig länger lebenden Ehegatten aus dessen Hinterbliebenenrente zu rechnen sind. Alle anderen Beträge, die die Finanzverwaltung ebenfalls als "steuerfreien Rentenbezug" in die Vergleichsrechnung einbeziehen möchte, müssten allerdings unberücksichtigt bleiben. Sie dienten anderen – überwiegend verfassungsrechtlich gebotenen und daher für den Gesetzgeber nicht dispositiven – Zwecken und könnten daher nicht nochmals herangezogen werden, um eine doppelte Besteuerung von Renten rechnerisch zu vermeiden. Damit bleibe insbesondere auch der sogenannte Grundfreibetrag, der das steuerliche Existenzminimum jedes Steuerpflichtigen sichern soll, bei der Berechnung des "steuerfreien Rentenbezugs" unberücksichtigt. Für die Ermittlung des aus versteuertem Einkommen aufgebrachten Teils der Rentenversicherungsbeiträge hat der X. Senat ebenfalls konkrete Berechnungsparameter formuliert.
BFH sieht im konkreten Fall keine doppelte Rentenbesteuerung
Bei Anwendung dieser Berechnungsgrundsätze konnte die Revision der Kläger keinen Erfolg haben. Angesichts des noch recht hohen Rentenfreibetrags von 46% der Rentenbezüge des Klägers ergab sich keine doppelte Besteuerung. Diese zeichnet sich allerdings für spätere Rentnerjahrgänge, für die der Rentenfreibetrag nach der gesetzlichen Übergangsregelung immer weiter abgeschmolzen wird, ab. Denn auch diese Rentnerjahrgänge haben erhebliche Teile ihrer Rentenbeiträge aus versteuertem Einkommen geleistet.
In zweitem Verfahren: Zahnarzt mit zusätzlicher Altersvorsorge
Im zweiten Verfahren meinten die Kläger, die gesetzliche Altersrente, eine ihrer "Rürup"-Renten und diverse Renten aus privaten Versicherungen würden unzulässigerweise doppelt besteuert, weil nach ihren Berechnungen die aus versteuertem Einkommen erbrachten Beiträge höher seien als der steuerfreie Teil der zu erwartenden Rentenzahlungen. Der BFH sah dies anders. Er entschied, dass die Leistungen aus der freiwilligen Höherversicherung zur gesetzlichen Altersrente (§ 269 Abs. 1 SGB VI) als Teil der Rente einheitlich mit den regulären Rentenbezügen zu versteuern seien. Dass jene Leistungen sozialversicherungsrechtlich zu einer überdurchschnittlichen Versorgung aus der gesetzlichen Rentenversicherung führten und ausschließlich aus eigenen Beiträgen des Versicherten finanziert wurden, erachtete der BFH als unerheblich.
Falsche Anwendung der Öffnungsklausel führte nicht zu Rechtsverletzung
Dagegen teilte der BFH die Auffassung der Kläger, dass die gesetzliche Öffnungsklausel, die bei überobligatorisch hohen Einzahlungen in ein Altersvorsorgesystem der Gefahr einer doppelten Besteuerung von Renten vorbeugen soll, nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut nur auf Antrag des Steuerpflichtigen anwendbar ist. Sie hätte danach im Streitfall keine Anwendung finden dürfen, weil die Kläger keinen entsprechenden Antrag gestellt hatten. Trotzdem bleibe ihre Revision auch in diesem Punkt ohne Erfolg, denn die unzutreffende Anwendung der Öffnungsklausel verletze die Kläger nicht in ihren Rechten. Die ihnen durch die Anwendung der Öffnungsklausel zu Unrecht gewährte Entlastung falle nämlich höher aus als der Betrag, der ohne Geltung der Öffnungsklausel für das Streitjahr als doppelt besteuert anzusehen wäre. Die Frage, ob Steuerpflichtige, die bewusst keinen Antrag auf Anwendung der gesetzlichen Öffnungsklausel zur niedrigeren Besteuerung ihrer Altersrente stellen, überhaupt eine doppelte Besteuerung rügen können, musste daher offen bleiben.
Witwen- und "Rürup"-Rente
Der BFH stellte zudem klar, dass zum steuerfreien Rentenbezug nicht nur die jährlichen Rentenfreibeträge des Rentenbeziehers, sondern auch die eines etwaig länger lebenden Ehegatten aus dessen Hinterbliebenenrente zu rechnen sind. Im Streitfall seien daher auch der steuerfrei bleibende Teil einer späteren – bei statistischer Betrachtung wahrscheinlichen – Witwenrente der Klägerin zu berücksichtigen gewesen. Regelmäßige Anpassungen einer der Basisversorgung dienenden gesetzlichen oder "Rürup"-Rente seien auch in der Übergangsphase in voller Höhe und nicht – wie von den Kläger begehrt – mit dem geringeren individuellen Besteuerungsanteil zu berücksichtigen. Der BFH bestätigte insoweit seine bisherige Rechtsprechung.
Bei privaten Kapitalanlageprodukten keine Doppelbesteuerung
Hinsichtlich der streitigen Renten des Klägers aus privaten Kapitalanlageprodukten außerhalb der Basisversorgung konnte der BFH keine doppelte Besteuerung feststellen. Die für diese Renten geltende Ertragsanteilsbesteuerung könne bereits systematisch keine doppelte Besteuerung hervorrufen, weil der durch das Gesetz festgelegte Ertragsanteil in zulässiger Weise die Verzinsung der Kapitalrückzahlung für die gesamte Dauer des Rentenbezugs typisiere. Diese Art der Besteuerung verlange nicht, dass die Beitragszahlungen in der Ansparphase steuerfrei gestellt werden.
BVerfG hatte Umstellung gefordert
Das Bundesverfassungsgericht hatte dem Bund die Umstellung vor knapp 20 Jahren aufgegeben, damit Rentner und pensionierte Beamte gleich behandelt werden. Beamte im Ruhestand müssen seit jeher ihre Pensionen versteuern. Gleichzeitig entschied das Gericht, dass Renten nicht doppelt besteuert werden dürfen. Dies bedeutet, dass jeder Rentner mindestens so viel Rente steuerfrei erhalten muss wie er zuvor an Beiträgen aus versteuertem Einkommen eingezahlt hat.