Verbraucher dürfen jederzeit vom Vertrag für eine Pauschalreise zurücktreten und müssen dem Veranstalter dann auch nicht den Reisepreis zahlen. Der kann allerdings eine angemessene Entschädigung verlangen. Mit einer Ausnahme: "wenn am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen" (§ 651h Abs. 3 BGB im Einklang mit der Pauschalreiserichtlinie der EU). Der Bundesgerichtshof hat in einem am Montag veröffentlichten Urteil entschieden: Wenn solche Risiken bereits bei der Buchung vorhanden oder zumindest absehbar waren, ist der Antritt des Urlaubs zumutbar – oder anderenfalls eine Entschädigung zu leisten (BGH, Urteil vom 19.09.2023 – X ZR 103/22).
Rückzieher im letzten Moment
Obwohl das Auswärtige Amt wegen der Covid-19-Pandemie bereits vorher vor Reisen in die Dominikanische Republik gewarnt hatte, buchte ein Ehepaar im September 2020 einen Flug dorthin nebst Hotelaufenthalt für drei Wochen im März/April 2021. Als Anzahlung überwies es 1.540 Euro. Doch kurz vor Abflug wurde der Ehefrau mulmig: Sie stornierte in letzter Minute den Trip und forderte ihr Geld zurück. Der Anbieter konterte und verlangte den vollen Restbetrag – weitere 5.775 Euro – von ihr, zog aber nicht vor Gericht. Wie schon das AG Düsseldorf und das dortige LG schmetterte nun auch der BGH die Rückforderung der verhinderten Touristin ab. Von vornherein bekannte Umstände, "die der Durchführung der Reise zwar nicht zwingend entgegenstehen, aber doch so gravierend sind, dass nicht jeder Reisende die damit verbundenen Risiken auf sich nehmen möchte", berechtigen demnach nicht zum Gratis-Rücktritt.
Als unvermeidlich und außergewöhnlich kann eine Pandemie zwar durchaus gelten, und diese kann eine Reise auch erheblich beeinträchtigen, wie der X. Zivilsenat bekräftigte. Die Möglichkeit, sich in solchen Fällen vor Reisebeginn ohne Entschädigungspflicht vom Vertrag zu lösen, diene schließlich dem Zweck, "den Reisenden vor einer finanziellen Belastung zu bewahren, wenn die Durchführung der Reise mit schwerwiegenden Beeinträchtigungen der Sicherheit oder erheblichen Risiken für die menschliche Gesundheit verbunden wäre" – wobei die Richter sich zusätzlich auf den Erwägungsgrund 31 zur EU-Richtlinie berufen, der u.a. die unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstände näher definiert, bei deren Vorliegen Verbraucherinnen und Verbraucher ohne Rücktrittsgebühr von Pauschalreiseverträgen zurücktreten können sollen.
Der Daumen geht runter
Doch sodann senkten die Karlsruher Richter die Daumen: Eine erhebliche Beeinträchtigung kann nach ihrer Ansicht jedenfalls dann zu verneinen sein, wenn es schon beim Vertragsschluss heikle Umstände gab (oder solche zumindest absehbar waren). Dazu zählen sie Bedingungen, die einem Urlaubstrip zwar nicht zwingend entgegenstehen, "aber doch so gravierend sind, dass nicht jeder Reisende die damit verbundenen Risiken auf sich nehmen möchte".
Ihr Fazit: "Einem Reisenden, der in einer solchen Situation eine Reise bucht, ist es in der Regel zumutbar, die Reise anzutreten, wenn die im Zeitpunkt der Buchung bestehenden oder absehbaren Risiken zum Zeitpunkt des Reisebeginns fortbestehen." Da halfen auch die zahlreichen Hinweise der Ehefrau nicht: Eine drohende Überlastung des Gesundheitssystems in dem Inselstaat zwischen Karibik und Atlantik, die dortige Maskenpflicht sowie nächtliche Ausgangssperren konnten die Richterinnen und Richter ebenso wenig überzeugen wie drohende Einschränkungen touristischer Annehmlichkeiten durch sonstige Hygienemaßnahmen.