Auszubildende handelt auf eigene Faust
Eine Versicherte verlangte von ihrer Krankenkasse höheres Krankengeld bei einem rückabgewickelten Altersteilzeitvertrag. Das SG Regensburg hatte die Klage abgewiesen. Als Zustellungsdatum des Urteils war auf dem elektronischen Empfangsbekenntnis ihres Anwalts der 07.10.2019 angegeben. Am 11.11.2019 legte er Berufung ein und beantragte vorsorglich die Wiedereinsetzung. Er teilte mit, eine Auszubildende habe den elektronischen Empfang nach Abruf des Urteils über den Webclient des beA ohne Vorlage und ohne Rücksprache mit ihm abgegeben. Davon habe er erst nach turnusmäßiger Wiedervorlage am 11.11.2019 Kenntnis erlangt. Das Bayerische Landessozialgericht verwarf das Rechtsmittel, da die Berufung vom 11.11.2019 verspätet sei. Auch das elektronische Empfangsbekenntnis habe ein voluntatives Element, da die Rücksendung weiter vom Willensakt des Adressaten abhängig sei. Wiedereinsetzung sei nicht zu gewähren, weil die Versicherte zu Auswahl, Schulung und Überwachung der Auszubildenden nichts vorgetragen habe. Daraufhin rügte die Klägerin die Verletzung von § 151 SGG (Form und Frist der Berufungseinlegung). Sie war der Ansicht, dass ein von einer Rechtsanwaltsfachangestellten abgegebenes elektronisches Empfangsbekenntnis keine Zustellung bewirke. Die Revision beim BSG hatte dennoch keinen Erfolg.
Beweiswirkung wird nicht entkräftet
Den Kasseler Bundesrichtern zufolge gibt es keine hinreichenden Gründe für eine Wiedereinsetzung. Der Prozessbevollmächtigte müsse sich die in dem elektronischen Empfangsbekenntnis enthaltene Erklärung zurechnen lassen. Die Versäumung der Berufungsfrist sei nicht unverschuldet gewesen. Die Beweiswirkung des über den sicheren Übermittlungsweg des beA versandten elektronischen Empfangsbekenntnisses wird den BSG-Richtern zufolge nicht allein durch den Vortrag entkräftet, dass es vom Sekretariat des Postfachinhabers unautorisiert übermittelt wurde. Das besondere Vertrauen in die Authentizität der von Anwälten über ihr beA an die Gerichte übermittelten elektronischen Dokumente stütze sich maßgeblich auf die Erwartung, dass dieser Übermittlungsweg von den Inhabern ausschließlich selbst genutzt wird und demzufolge die das Dokument (nur einfach) signierende und damit verantwortende Person mit der des tatsächlichen Versenders übereinstimmt. Da sich der Anwalt über die Verpflichtung zur ausschließlich eigenen - höchstpersönlichen - Nutzung durch Überlassung des nur für seinen Zugang erzeugten Zertifikats und der dazugehörigen Zertifikats-PIN an Dritte oder auf andere Weise bewusst hinweg gesetzt habe (§§ 23 Abs. 2 S. 2, 26 Abs 1 RAVPV), müsse er sich das von der Auszubildenden abgegebene elektronische Empfangsbekenntnis auch dann wie ein eigenes zurechnen lassen, obwohl die Abgabe ohne seine Kenntnis erfolgt sei. Inwiefern sich sein Personal den Zugang eigenmächtig verschafft oder ob er ihr die Möglichkeit selbst eingeräumt habe, sei zu keinem Zeitpunkt erläutert worden.