Vor genau zehn Jahren endete eine mündliche Verhandlung vor dem BSG in Kassel mit einem weitreichenden Urteil: Der 5. Senat entschied, dass Syndizi, also Anwältinnen und Anwälte, die bei einem sogenannten nichtanwaltlichen Arbeitgeber beschäftigt sind, nicht von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung gemäß § 6 SGB VI zugunsten des anwaltlichen Versorgungswerks befreit werden konnten. Denn, so die wesentliche Begründung des Senats, bei einem solchen nichtanwaltlichen Arbeitgeber sei grundsätzlich keine anwaltliche Tätigkeit möglich, insbesondere da keine weisungsfreie berufsspezifische Tätigkeit ausgeübt werde (Urteil vom 03.04.2014 – B 5 RE 3/14 R u.a.).
Damit endete eine seit 2009 begonnene Diskussion um die sozialversicherungsrechtliche Stellung der Syndikusanwältinnen und -anwälte mit einem Debakel: Zwar gab es für diejenigen, die über einen gültigen Befreiungsbescheid verfügten, einen Vertrauensschutz. Aber wer seinen Arbeitgeber wechselte oder bei wessen Arbeitgeber es zu einer wesentlichen Veränderung des Tätigkeitsfeldes kam, verlor den Zugang zum anwaltlichen Versorgungswerk. Damit waren die Versicherungsbiografien von mehreren 10.000 in Unternehmen und Verbänden tätigen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten gefährdet. Sie waren zwar Pflichtmitglieder der jeweiligen Rechtsanwaltskammer und des jeweiligen Versorgungswerks, ihre Rentenversicherungsbeiträge hätten aber in die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV) eingezahlt werden müssen.
DRV legte Kriterien für anwaltliche Tätigkeit zunehmend enger aus
Begonnen hatte die Diskussion 2009, nachdem die DRV die von ihr selbst 2005 entwickelten vier Kriterien für die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung (Rechtsberatung, Rechtsgestaltung, Rechtsentscheidung und Rechtsvermittlung) zuletzt immer restriktiver ausgelegt hatte und es daher zu einer Flut von Gerichtsverfahren vor den Sozialgerichten kam, die mit dem Urteil des BSG endete.
Die Haltung der Anwaltschaft zu den Syndizi war durchaus gespalten: Viele der regionalen Rechtsanwaltskammern und die Bundesrechtsanwaltskammer waren skeptisch, ob sie tatsächlich "richtige" Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte seien, der Deutsche Anwaltverein (DAV) sah sie, insbesondere mit seiner Arbeitsgemeinschaft Syndikusanwälte, als vollwertige Mitglieder der Anwaltschaft an, weil sie typische anwaltliche Tätigkeiten in Unternehmen wahrnähmen.
Durch die Urteile des BSG waren plötzlich Wechsel zwischen Anwaltschaft und Syndikustätigkeit ohne Bruch der Versicherungsbiografie nicht mehr möglich, auch Tätigkeitswechsel waren für viele Syndizi nicht mehr interessant, da sie ohne die Befreiung von der Versicherungspflicht erhebliche finanzielle Nachteile hatten.
Schnelle Antwort des Gesetzgebers
Sehr schnell handelte dann allerdings der Gesetzgeber: Nachdem die Urteilsgründe des BSG im August 2014 vorlagen, gab es bereits im Januar 2015 ein Eckpunktepapier des Bundesjustizministeriums (BMJ), das einen völlig neuen Weg vorschlug: Erstmals in der Geschichte der Anwaltschaft nach dem Zweiten Weltkrieg sollten sowohl der Beruf angestellter Anwältinnen und Anwälte in Kanzleien als auch von Syndizi in Unternehmen und Verbänden nebeneinander geregelt werden. Es sollte, so die Vorstellungen des BMJ, eine eigene Zulassung als "Syndikusrechtsanwalt" geben, der im Wesentlichen, bis auf einige Vertretungsverbote, niedergelassenen angestellten Anwältinnen und Anwälten gleichgestellt werden sollte.
Ausgangspunkt war, dass die Syndizi ihren Arbeitgeber als einzigen Mandanten haben. Sie sollte auf Antrag zugelassen werden, Mitglied der regionalen Rechtsanwaltskammer werden und mit der Zulassung auch, wenn sie es wollten, von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung automatisch befreit werden. Im Gegenzug dafür erhielt die DRV gegen die Entscheidung über die Zulassung durch die regionale Rechtsanwaltskammer das Klagerecht. Dies jedoch nicht zu den Sozialgerichten, sondern zu den Anwaltsgerichtshöfen, da diese für das anwaltliche Berufsrecht zuständig und damit sachnäher sind, so die Begründung.
Nicht alle in der deutschen Anwaltschaft konnten sich mit der Vorstellung anfreunden, dass Unternehmensjuristinnen und -juristen nunmehr als vollwertige Teile ihrer Zunft zu betrachten seien, aber der Gesetzgeber ließ nicht locker und bereits zum 1. Januar 2016 trat die BRAO in der Neufassung in Kraft. Allerdings gab es eine Besonderheit: Antragstellerinnen und -steller, die als Syndizi zugelassen werden wollten, mussten, um auch rückwirkend bis zur Entscheidung des BSG vom April 2014 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit zu werden, bis zum 1. April 2016 einen Zulassungs- und einen Befreiungsantrag stellen.
Klagewelle führt zu neuem Berufsverständnis für Syndizi
Damit rollte im 1. Quartal 2016 auf die 27 regionalen Rechtsanwaltskammern eine Welle von über 12.000 Zulassungsanträgen zu, für die die Kammern extra eine überregionale Arbeitsgruppe gründeten. Die neuen Zulassungsbescheide wurden von der DRV jedoch bei verschiedensten Fallgruppen angefochten. So könnten, so die Begründung der DRV, sogenannte Schadenanwältinnen und -anwälte, die in Versicherungsunternehmen etwa für Berufshaftpflichtversicherungen zuständig sein, niemals fachlich weisungsunabhängig arbeiten. Gleiches galt für jede Tätigkeit rund um den öffentlichen Dienst. Auch wurde thematisiert, was unter "Rechtsangelegenheiten des Arbeitgebers" im Sinne des § 46 Abs. 5 BRAO zu verstehen sei. Die für die Klagen zuständigen Anwaltsgerichtshöfe sahen sich einer Flut von Klagen gegenüber, die sie so noch nicht erlebt hatten. So gingen etwa beim AGH Nordrhein-Westfalen, der für rund ein Viertel der deutschen Anwaltschaft zuständig ist, in der ersten Zeit weit über 200 Klagen ein.
Bereits im Herbst 2016 kam es zu den ersten Leitentscheidungen des AGH Nordrhein-Westfalen. Sie zeigten, dass die Übertragung der Zuständigkeiten auf die Anwaltsgerichtshöfe zu einem anderen Blickwinkel auf die Tätigkeit der Syndizi führte, als dies bisher bei vielen Sozialgerichten der Fall gewesen war. Es entwickelte sich ein neues eigenes Verständnis von ihrer Tätigkeit, immer wieder orientiert am Vergleich mit der Tätigkeit angestellter Anwältinnen und Anwälte in einer Sozietät.
Schnell stellte auch der Anwaltssenat des BGH erste wichtige Weichen: So bewertete er die Tätigkeit der sogenannten Schadenanwältinnen und -anwälte ohne weiteres als anwaltliche Tätigkeit, ebenso wie die Beratung im öffentlichen Dienst, solange sie keinen hoheitlichen Charakter hatte. Auch die Frage, was unter einer Prägung durch die anwaltliche Tätigkeit zu verstehen sei, beantworteten die Bundesrichterinnen und -richter nach einiger Zeit und stellten – eigentlich ohne ausreichende Begründung – fest, dass eine solche Prägung erst ab 65% anwaltlicher Tätigkeit gegeben sei. Auch die Rechtsangelegenheiten von Arbeitgebern wurden von Seiten des Anwaltssenats sehr restriktiv ausgelegt, jede erlaubte Rechtsberatung Dritter wurde nicht als solche angesehen, so zum Beispiel bei Rentenberaterinnen und -beratern oder externen Datenschutzbeauftragten.
Detailfragen liegen noch heute bei den Gerichten
Neben dem Berufsverständnis der Syndizi mussten und müssen weitere sozialversicherungsrechtliche Fragen geklärt werden. So hatte sich das BSG schon mit Übergangsfragen aus dem damals geschaffenen § 231 Abs. 4b bis 4d SGB VI zu befassen. Dabei entschieden die Sozialrichterinnen und -richter im September 2020, dass als einkommensbezogene Beiträge auch gezahlte Mindestbeiträge anzusehen seien und daher rückwirkende Befreiungen von der Versicherungspflicht möglich wurden. Weitere Detailfragen sind weiterhin beim 12. Senat in Kassel anhängig.
Zum 1. August 2022 korrigierte dann der Gesetzgeber einige "Kinderkrankheiten" des 2016 sehr rasch verabschiedeten Gesetzes. So wurde die Rechtsberatung Dritter in einem bestimmten Umfang (§ 46 Abs. 6 BRAO) gestattet, auch die vorübergehenden berufsfremden Tätigkeiten – etwa im Betriebsrat – führen jetzt nicht mehr zum Verlust der Zulassung von Syndizi und sorgen damit für einen Gleichlauf von Berufs- und Sozialrecht.
Allerdings sind auch bis heute noch nicht alle Rechtsfragen geklärt: So wird der Anwaltssenat des BGH am 11. November 2024 (AnwZ (Brfg) 22/23) über die Frage entscheiden, ob ein angestellter (Fremd-) GmbH-Geschäftsführer überhaupt als Syndikusrechtsanwalt zugelassen werden kann, weil § 46 Abs. 2 BRAO von einem "Arbeitsverhältnis" spricht. Die DRV vertritt diese Auffassung, Anwaltsgerichtshöfe haben hier gegenläufig entschieden, jetzt muss der BGH für Klarheit sorgen. Je nachdem, wie die Entscheidung ausfällt, ist unter Umständen der Gesetzgeber gefordert. Aber auch die Frage, ob ein Übergang eines Arbeitsverhältnisses im sogenannten dreiseitigen Vertrag zwischen zwei Arbeitgebern und Syndizi wie ein Betriebsübergang zu behandeln ist, und damit kein Widerruf der bisherigen Zulassung und eine Neuzulassung erforderlich ist, liegt dem Anwaltssenat zur Entscheidung vor (AnwZ (Brfg) 6 und 9/24).
Zehn Jahre nach den Leitentscheidungen des BSG haben sich nunmehr die Syndizi als eines der drei Tätigkeitsfelder (Kanzleiinhaberinnen und -inhaber sowie Sozien, angestellte Anwältinnen und Anwälte in Kanzleien, Syndikusrechtsanwältinnen und -rechtsanwälte) innerhalb der deutschen Anwaltschaft manifestiert. Heute sind mit gut 25.000 rund ein Viertel der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte als Syndizi zugelassen. Auffällig ist dabei der hohe Frauenanteil, der dafürspricht, dass die Tätigkeit in diesem Bereich Beruf und Familie besser miteinander verbinden lässt, als dies in Anwaltskanzleien der Fall ist.
Martin W. Huff ist Rechtsanwalt in Singen (Hohentwiel) und war lange Jahre Geschäftsführer der Anwaltskammer Köln. Er publiziert regelmäßig zum anwaltlichen Berufsrecht.