Beide Ehepartner gehandicapt
Gegen die Stadt Minden geklagt hat eine unter Epilepsie leidende Frau, die mit ihrem Ehemann seit dem Jahr 2010 in einer Mietwohnung lebt. Sie bezieht eine Erwerbsminderungsrente sowie Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Erschwerend kommt hinzu: Ihr unter Betreuung stehender Ehemann ist geistig behindert, bezieht ebenfalls eine Rente und ist in einer Werkstatt für behinderte Menschen tätig – Leistungen der Grundsicherung benötigt er aber nicht. Bei der Leistungsbewilligung kam es im Juni 2016 zum Streit: Das Sozialamt berücksichtigte die Kosten der Unterkunft bei der Klägerin und im Rahmen der Anrechnung von Einkommen ihres Ehemanns lediglich in einer aus ihrer Sicht angemessenen Höhe. Das SG Detmold gab der Frau teilweise recht, das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen wies sie dann ganz ab: Das Konzept der Stadt sei schlüssig. Außerdem seien die geltend gemachten Kosten im konkreten Fall konkret unangemessen: Es sei nicht ersichtlich, dass die Klägerin keinen günstigeren Wohnraum finden könne. Auch bei ihrem Ehemann seien im Rahmen der Einkommensanrechnung Kosten der Unterkunft lediglich in angemessener Höhe zu berücksichtigen."Relevante Besonderheiten des Einzelfalls"
Dieses Urteil haben die Bundesrichter gestern aufgehoben und die Sache an dieses Gericht zurückverwiesen. Der Senat in Kassel könne auf Grundlage der Feststellungen der Vorinstanz nicht den Umfang der Hilfebedürftigkeit bestimmen. Insbesondere könne er nicht entscheiden, ob bei der Klägerin und ihrem Ehemann ein höherer Unterkunftsbedarf zu berücksichtigen sei, schreiben die Richter aus Kassel in einer Mitteilung. Vor dem Hintergrund der eingeschränkten Überprüfbarkeit "schlüssiger Konzepte" in der Revision liege jedenfalls keine Verletzung von Bundesrecht vor. Auch erinnern sie an das, was sie zur Einbeziehung vergleichsraumübergreifender Daten bei Hilfsgrößen wie etwa der Bestimmung des Umfangs der Nachfragekonkurrenz bereits im Jahr 2014 entschieden haben (BeckRS 2015, 70771). Doch abschließend konnten die obersten Sozialrichter hier nicht beurteilen, ob die Aufwendungen für die Unterkunft konkret angemessen sind. Denn es lägen relevante Besonderheiten des Einzelfalls vor, die näher aufgeklärt werden müssten. So bestehe die Möglichkeit, eine Wohnung zu einem nach einem schlüssigen Konzept angemessenen Quadratmeterpreis zu finden, nicht uneingeschränkt, wenn Leistungsberechtigte "individuelle Zugangshemmnisse zum Wohnungsmarkt" aufweisen. Das könne beispielsweise bei geistigen, psychischen oder seelischen Behinderungen der Fall sein. Dafür ließen sich in dem aktuellen Rechtsstreit den Feststellungen des Landessozialgerichts deutliche Anhaltspunkte entnehmen, jedoch fehlten Angaben zu Umfang und Auswirkungen der Beeinträchtigungen sowohl bei der Frau wie auch bei ihrem Mann.
"Verschlossener Wohnungsmarkt"
Für die nächste Verhandlungsrunde gibt das BSG den Richtern in Essen mit auf den Weg: Führen bestehende individuelle Beeinträchtigungen zu einer erheblichen Einschränkung bzw. zur "Verschlossenheit des Wohnungsmarkts", sollen sie berücksichtigen, dass dann regelmäßig eine individuelle Hilfestellung des Leistungsträgers geboten sei, um eine Unterkunft zu finden. "Andernfalls ist grundsätzlich von der konkreten Angemessenheit der Wohnung auszugehen." Soweit ein Verfahren zu Senkung der Kosten erforderlich sei, bedürfe es außerdem einer Aufforderung hierzu an den nichtleistungsberechtigten Ehegatten (§ 35 Abs. 2 Satz 1 SGB XII). Geklärt werden müssten überdies etwaige "Absetzbeträge" vom Renteneinkommen der Klägerin.