Regressanspruch gegen Arztpraxis für unbrauchbare Impfstoffe

Werden Impfstoffe durch falsche Kühlung unbrauchbar und müssen vernichtet werden, hat der Vertragsarzt die Beschaffungskosten den gesetzlichen Krankenkassen zu erstatten. Das Risiko eines Schadenseintritts könne er als Betreiber seiner Praxis in weitem Umfang beeinflussen, betonte das Bundessozialgericht. Eine abweichende Risikoverteilung komme hingegen nicht in Betracht.

Kinderarztpraxis will Risiko des Impfstoff-Untergangs auf Krankenkasse abwälzen

Eine Gemeinschaftspraxis wehrte sich gegen den bei einer Wirtschaftlichkeitsprüfung erhobenen Regress von 24.400 Euro, nachdem sie falsch gekühlten Impfstoff vernichten und neu beschaffen musste. Zur mehrstündigen Unterschreitung der vorgesehenen Temperatur in dem von ihr verwendeten Kühlschrank war es gekommen, weil ein Relais im Regler des Verdichters klemmte. In der Folgezeit beschaffte die Praxis erneut Vakzine, die sie zulasten der gesetzlichen Krankenkassen größtenteils als Ersatz für die zerstörten Seren verordnete. Die Kontrollstelle forderte von der Praxis  die Kosten zurück. Der Widerspruch scheiterte beim Beschwerdeausschuss, weil die Verordnung des ersatzweise beschafften Impfstoffs zulasten der gesetzlichen Krankenkassen unzulässig gewesen sei. Die Praxis habe die Arznei unsachgemäß verbraucht. Das Risiko für einen Untergang von Impfstoff trage der Arzt. Das SG Magdeburg wies die Klage ab, da die Vernichtung des verordneten Impfstoffes anstelle der zweckentsprechenden Verwendung als unwirtschaftliches Verordnungsverhalten zu werten sei. Der Arzt trage das Risiko der Lagerung und der bestimmungsgemäßen Verwendung von Impfstoff. Damit war die Klägerin nicht einverstanden und legte die Sprungrevision beim BSG ein - ohne Erfolg.

Risiko eines Schadenseintritts beeinflussbar

Den Kasseler Richtern zufolge ist der Regress zu Recht gegen die kinderärztliche Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) festgesetzt worden. Zwar handele es sich dabei nicht um einen sonstigen Schaden, für den die Klägerin nach § 48 Bundesmantelvertrag Ärzte (BMV-Ä) verschuldensabhängig einzustehen hätte. Die ersatzweise Verordnung von Impfstoff erweise sich jedoch als unwirtschaftlich (§ 106 Abs. 1 Satz 1 SGB V aF, § 13 Abs. 1 Satz 1 PrüfV-Sachsen-Anhalt). Sie war den obersten Sozialrichtern zufolge unzulässig. Für diese Annahme sei ausreichend, dass der Schaden aufgrund einer Fehlfunktion eines Geräts in den Praxisräumen des Arztes eingetreten sei.  Zwar könnten technische Fehler eines Arzneikühlschranks nie vollständig ausgeschlossen werden. Das Risiko eines Schadenseintritts könne der Arzt als Betreiber seiner Praxis aber in weitem Umfang beeinflussen. Durch Auswahl, Wartung und Überwachung der Praxisausstattung könne die Gefahr von Sachschäden so gering wie möglich gehalten werden. Hinzu komme, dass der Mediziner in gewissem Rahmen Einfluss auf die Menge des gelagerten Impfstoffs habe. In welchem Umfang der Arzt Vorsorge treffe (auch durch den Abschluss von Versicherungen), unterliege seiner freien unternehmerischen Entscheidung und könne weder von den Prüfgremien noch von den Krankenkassen kontrolliert werden. Eine abweichende Beurteilung könne zwar geboten sein, wenn etwa ein Fall sogenannter höherer Gewalt (insbesondere bei Naturereignissen) vorliege, gegen den regelmäßig keine planbaren Vorkehrungen möglich seien. Eine solche Konstellation liege aber nach den Feststellungen des SG nicht vor.

BSG, Urteil vom 29.06.2022 - B 6 KA 14/21 R

Redaktion beck-aktuell, 30. Juni 2022.