Der Entscheidung liegt der Fall eines in Syrien geborenen jungen Mannes zugrunde, der 2015 mit seinem Onkel nach Deutschland floh. Sein Vater war bereits 2012 verstorben, seine Mutter blieb in Syrien. Der Mann beanspruchte Kindergeld für sich selbst mit der Begründung, er kenne den Aufenthaltsort seiner Mutter nicht, da diese infolge des Krieges öfters den Wohnort wechsele und über keine feste Adresse verfüge. In seinem Kindergeldantrag gab er jedoch an, zwei bis dreimal monatlich mit seiner Mutter zu telefonieren.
Nachdem das SG die Ablehnung des Antrags zunächst bestätigte, bejahte das LSG den Anspruch auf Kindergeld. Bei der Auslegung der Formulierung "den Aufenthalt seiner Eltern nicht kennt" in § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) sei allein auf die Kenntnis des Kindes abzustellen, so die Begründung. Allein bei positiver Kenntnis des Kindes vom konkreten Aufenthaltsort der Eltern könne der Anspruch auf Kindergeld entfallen. Dies erfordere jedoch, dass wenigstens ein Elternteil für das Kind "greifbar" bzw. erreichbar sei, was wiederum eine gewisse örtliche Verfestigung des Aufenthaltsortes sowie die "postalische Determinante" dieses Aufenthaltes voraussetze. An beidem fehle es hier.
Das BSG folgte dieser Auffassung nicht und stellte insbesondere auf die modernen Kommunikationsmöglichkeiten ab (Urteil vom 14.12.2023 - B 10 KG 1/22 R). Bei den Telefonaten mit seiner Mutter habe der Sohn zumindest die zumutbare Möglichkeit gehabt, sich nach deren aktuellen Aufenthaltsort zu erkundigen. Ein Kind kenne den Aufenthalt seiner Eltern, wenn es weiß, an welchem für ihn bestimmbaren Ort sich seine Eltern oder zumindest ein Elternteil aufhalten. Auf die Kenntnis einer postalischen Adresse oder eines "verstetigten" Aufenthalts komme es dagegen nicht an, weil sich seit Einführung des Kindergelds für "alleinstehende Kinder" im Jahr 1986 die Kommunikationsmöglichkeiten und -gewohnheiten durch Internet und Mobilfunk grundlegend verändert haben. Es reiche, wenn aus Sicht des Kindes die Möglichkeit besteht, innerhalb eines angemessenen Zeitraums Kontakt mit seinen Eltern aufzunehmen. Die Kenntnis fehle erst dann, wenn Dauer und Ausmaß der Unkenntnis über den Verbleib der Eltern den endgültigen Verlust der Eltern-Kind-Beziehung wie bei einer Vollwaise befürchten lassen.