Keine Dauerbefreiung für Ex-Anwalt von Rentenversicherung
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Pech vor dem Bundessozialgericht hatte ein früherer Rechtsanwalt, der sich auch für spätere Berufsstationen von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht befreien lassen wollte. Die Kasseler Richter hoben am 11.03.2021 die Entscheidungen der Vorinstanzen auf, die ihm Recht gegeben hatten, und schlugen sich auf die Seite der Deutschen Rentenversicherung.

Unterschiedliche Jobs

Geklagte hatte ein Jurist mit wechselhafter Biografie: Zunächst angestellt in einer Anwaltskanzlei, wurde er 1999 Mitglied der Berliner Anwaltskammer und Pflichtmitglied im berufsständischen Versorgungswerk, weshalb ihn die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (heute: Deutsche Rentenversicherung) wunschgemäß von der Einzahlungspflicht befreite. Neun Jahre später gab er den Job auf und war fast ein Jahr lang ­arbeitslos, blieb aber Mitglied in Kammer und Versorgungswerk. Dann heuerte er mehrfach - jeweils befristet auf bis zu zwei Jahre - als Arbeitsvermittler bei der Bundesagentur für Arbeit bzw. einem kommunalen Jobcenter an, hatte danach wieder ein Jahr lang keine Anstellung und wurde schließlich 2015 befristet Sachbearbeiter für Grundsicherung bei einem Landkreis.

Rentenversicherer spielt nicht mehr mit

Nun streikte der Rentenversicherer und lehnte die zuvor immer wieder ausgesprochenen Verlängerungen der Befreiung ab: Der Mann sei berufsfremd beschäftigt und habe unmittelbar zuvor keine berufsspezifische Tätigkeit ausgeübt. Entfallen seien damit die Voraussetzungen des § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI. Danach kann sich die Entbindung von der Beitragspflicht auch auf eine andere versicherungspflichtige Tätigkeit erstrecken, "wenn diese infolge ihrer Eigenart oder vertraglich im Voraus zeitlich begrenzt ist und der Versorgungsträger für die Zeit der Tätigkeit den Erwerb einkommensbezogener Versorgungsanwartschaften gewährleistet".

Untere Instanzen sahen Ausnahme

Das sahen das SG Darmstadt und das LSG Hessen freilich anders: Dem Wortlaut der Bestimmung sei gerade nicht zu entnehmen, dass die der Befreiung zugrunde liegende Beschäftigung neben der neuen - berufsfremden - Tätigkeit fortbestehen oder unmittelbar darauf folgen müsse. Erforderlich seien lediglich fortbestehende Pflichtmitgliedschaften in einer berufsständischen Versorgungseinrichtung und einer berufsständischen Kammer. Und dies sei bei dem Kläger der Fall, weil § 47 BRAO Anwälten, die vorübergehend im öffentlichen Dienst angestellt sind, (nur) die Ausübung ihres Berufs verbiete. § 6 Abs. 5 S. 2 SGB VI solle Freiberuflern während einer Unterbrechung des Hauptberufs die Möglichkeit eröffnen, eine Lücke in der Erwerbsbiografie zu schließen und dabei in ihrem berufsständischen Versorgungssystem versichert zu bleiben. Wohlwollend stellen Hessens oberste Sozialrichter zudem fest, seit dem 01.04.2017 sei der Kläger in der gesetzlichen Renten­versicherung pflichtversichert: "Er hat sich nunmehr von seinem ursprünglichen Hauptberuf ,Rechtsanwalt' losgelöst und endgültig einem neuen (unbefristeten) Tätigkeitsfeld als Jobvermittler zugewandt." Durch ­diesen Wechsel des Alterssicherungssystems bestehe keine Missbrauchsgefahr.

BSG verneint Anspruch

Doch das Bundessozialgericht kam jetzt zum gegenteiligen Ergebnis. Der Kläger habe keinen Anspruch darauf, dass die ihm im Jahr 1999 für eine Beschäftigung als angestellter Rechtsanwalt erteilte Befreiung auf die befristete Beschäftigung als Sachbearbeiter für Grundsicherung bei einem Landkreis, die er 2015 begonnen hatte, erstreckt wird. Zwar erfasse § 6 Abs 5 Satz 2 SGB VI  ausnahmsweise auch eine andere nicht-anwaltliche Tätigkeit, wenn sie lediglich befristet ausgeübt wird, um einen nur vorübergehenden Wechsel des Alterssicherungssystems zu vermeiden. Doch befanden die Kasseler Richter, die Anwendung komme nur dann in Betracht, wenn der ursprünglich zur Befreiung führende Sachverhalt weiterhin vorliegt. Und das sei hier nicht der Fall gewesen.

"Kein Zusammenhang mehr"

Der erforderliche Zusammenhang mit der Tätigkeit, für die die Befreiung ursprünglich erteilt wurde, sei nicht mehr gegeben gewesen, schreibt das BSG in seinem Sitzungsbericht. Denn die befristete "andere versicherungspflichtige Tätigkeit" habe die befreite anwaltliche Tätigkeit nicht bloß unterbrochen, und sie habe sich auch nicht unmittelbar daran angeschlossen. Der zur Befreiung führende Sachverhalt sei schließlich bereits mit Aufgabe der Tätigkeit als angestellter Anwalt Ende 2008 beendet worden. Ein hinreichender zeitlicher Zusammenhang besteht dem Urteilsspruch zufolge nicht mehr, wenn für eine Erstreckung entsprechend der Verwaltungspraxis des Rentenversicherers lediglich verlangt wird, dass die befristete "andere Tätigkeit" innerhalb von drei Monaten nach Aufgabe der befreiten Beschäftigung aufgenommen wird: Bei einem noch größeren zeitlichen Abstand komme eine Erstreckung nicht mehr in Betracht. Entgegen der Ansicht von SG und LSG sei auch nicht ausschlaggebend, dass dem Kläger neben seiner befristeten Beschäftigung im öffentlichen Dienst eine anwaltliche Tätigkeit nach § 47 BRAO untersagt war: Diese berufsrechtliche Vorschrift ermögliche lediglich den Erhalt des Status als zugelassener Rechtsanwalt, könne aber die Voraussetzungen des § 6 Abs 5 Satz 2 SGB VI nicht ersetzen. Auch der Umstand, dass der Mann zuvor für vergleichbare Tätigkeiten bereits mehrfach eine Befreiung nach jener Vorschrift erhalten hatte, begründete für die Bundesrichter keinen Anspruch auf Befreiung aus Vertrauensschutzgründen.

BSG, Urteil vom 11.03.2021 - B 5 RE 2/20 R

Redaktion beck-aktuell, Prof. Dr. Joachim Jahn ist Mitglied der NJW-Schriftleitung, 11. März 2021.