Prozess-Odyssee zweier Kläger
Opfer einer Gewalttat haben prinzipiell Anspruch auf Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG). Die Regelungen knüpfen ans Bundesversorgungsgesetz (BVG) an und gehören zum Sozialen Entschädigungsrecht. Die Prozess-Odyssee von zwei Klägern, über deren Ansprüche das BSG nun entschieden hat, zeigt das komplizierte Zusammenspiel mit diversen anderen Rechtsgrundlagen - von der Gesetzlichen Unfallversicherung über die Kranken- und Arbeitslosen- bis hin zur Rentenversicherung.
Filialleiterin überfallen
Der eine Fall betraf eine gelernte Drogistin (Jahrgang 1956). Sie führte Schulungen für Branchenangehörige durch und leitete schließlich selbst eine Filiale. Die wurde im Jahr 2000 überfallen. Die Frau wurde von den Tätern gewürgt, geschlagen und gefesselt. Wegen der psychischen Folgen der Tat war sie anschließend arbeitsunfähig. Sie trat ihre Arbeitsstelle nicht wieder an, schloss 2006 einen Aufhebungsvertrag und nahm eine Teilzeitstelle als Dozentin an einem Berufskolleg an, nebenher studierte sie selbst. Im Kern ging es ihr vor den Sozialgerichten um Versorgungskrankengeld: Das Versorgungsamt hatte die Zahlungen abgelehnt, weil Verletztengeld vorgehe. Das SG Köln und das LSG Nordrhein-Westfalen wiesen sie ab: Sie habe ihren Beruf gewechselt, und nach den seitherigen Maßstäben sei sie nicht arbeitsunfähig.
Job zu früh gewechselt
Auch vor den obersten Sozialrichtern hatte die ehemalige Drogistin kein Glück. Maßstab für die Beurteilung des Vorliegens von Arbeitsunfähigkeit sei ihre Tätigkeit als Dozentin am Berufskolleg, teilten diese heute mit. Spätestens mit der Entfristung dieser Tätigkeit im August 2003 habe sich die Klägerin von ihrer früheren Arbeit gelöst: "Die Tätigkeit als Filialleiterin stellte für sie in ihrer Erwerbsbiografie nur eine vorübergehende Ausnahme dar." Von Beginn der Tätigkeit beim Berufskolleg an wollte sie demnach wieder lehrend und nicht mehr in einem Filialbetrieb tätig sein. Die Arbeits- und Belastungserprobung war zudem aus Sicht der Berufsgenossenschaft mit Einstellung der Zahlung des Verletztengelds beendet. Anhaltspunkte, die dafür sprechen könnten, dass die Frau ihre Dozententätigkeit auch nach deren Entfristung lediglich ausprobiert und gerade nicht im Sinn einer tatsächlichen, auf Dauer ausgerichteten Arbeitsleistung ausgeübt hätte, bestehen aus Sicht der Kasseler Richter nicht: "Vielmehr mündete die Erprobung noch vor dem hier streitgegenständlichen Zeitraum in eine unbefristete Tätigkeit im Berufskolleg." Ab Oktober 2003 habe sie ein berufsbegleitendes Studium zur Betriebswirtin für Soziale Einrichtungen begonnen, das als geeignete Fortbildungsmöglichkeit gerade für diese Tätigkeit ausgewählt worden sei. Doch weder in der Tätigkeit als Dozentin am Berufskolleg noch hinsichtlich des berufsbegleitenden Studiums war die Klägerin nach den bindenden Feststellungen der Vorinstanz arbeitsunfähig, so das BSG.
Bankkunde zum Hinlegen gezwungen
Der zweite Fall drehte sich um einen gelernten Optiker und Bankkaufmann (Jahrgang 1946), der sich 1979 selbstständig gemacht hatte. Im Außendienst war er seither für eine Bausparkasse unterwegs. Einen Tag vor Silvester 1999 hielt er sich in einer Bank auf, als diese von zwei maskierten und bewaffneten Räubern überfallen wurde. Wie andere Kunden und Angestellte musste er sich auf den Boden legen, wurde aber nicht verletzt oder unmittelbar bedroht. Die Täter wurden später wegen anderer Bankraube verurteilt. Der Kläger wurde ambulant wie auch stationär wegen einer Posttraumatischen Belastungsstörung behandelt. Später schied er gegen eine Abfindung aus seinem Kontrakt mit der Bausparkasse aus. Von der Berufsgenossenschaft erhielt er wegen dauerhafter Arbeitsunfähigkeit aufgrund eines Arbeitsunfalls Verletztenrente und Verletztengeld. Das Versorgungsamt stellte überdies einen Grad der Behinderung nach dem Schwerbehindertenrecht von 50 fest. Die Deutsche Rentenversicherung zahlte zunächst eine Rente wegen voller Erwerbsminderung und sodann eine Altersrente für Schwerbehinderte. In dieser komplexen Gemengelage lehnte das LSG Nordrhein-Westfalen, das im Urteil allerhand weitere Einkommensquellen auflistete, ebenso wie zuvor das SG Köln parallele Forderungen nach Versorgungskrankengeld und Grundrente ab.
Dauerhaft arbeitsunfähig
Auch hier verwarfen die Kasseler Bundesrichter die Revision: Der Kläger habe seit 2003 keinen Anspruch mehr auf Versorgungskrankengeld gehabt. Ein solcher habe jedenfalls deshalb nicht (mehr) bestanden, weil zu diesem Zeitpunkt bereits ein Dauerzustand eingetreten war - und zwar in dem Sinne, dass die Arbeitsunfähigkeit in den nächsten 78 Wochen voraussichtlich nicht zu beseitigen war (§ 18a Abs 7 Satz 2 BVG). Dabei ist es aus Sicht des 9. Senats unschädlich, dass das beklagte Versorgungsamt die Feststellung dieses Dauerzustands erst nachträglich und nicht vorher durch gesonderten Bescheid getroffen hat. Denn bis dahin habe der Anspruch auf Versorgungskrankengeld von Beginn an durchgehend vollumfänglich geruht, weil der Kläger wegen desselben schädigenden Ereignisses bereits Verletztengeld aus der Unfallversicherung bezogen hatte (§ 65 Abs 3 Nr 1 BVG).