Vertragsarzt "streikt" und schließt vorübergehend Praxis
Der als Facharzt für Allgemeinmedizin zugelassene Kläger informierte die beklagte Kassenärztliche Vereinigung im Herbst 2012 darüber, dass er zusammen mit fünf anderen Vertragsärzten "das allen Berufsgruppen verfassungsrechtlich zustehende Streikrecht" ausüben und deshalb am 10.10.2012 sowie am 21.11.2012 seine Praxis schließen werde. Die Beklagte erteilte dem Kläger einen Verweis als Disziplinarmaßnahme, da er durch die Praxisschließungen seine vertragsärztlichen Pflichten schuldhaft verletzt habe. Das Sozialgericht hat die hiergegen erhobene Klage abgewiesen. Ein Streikrecht als Grund für eine Unterbrechung der Praxistätigkeit sei im Vertragsarztrecht nicht vorgesehen.
BSG sieht vertragsärztliche Pflichten schuldhaft verletzt
Die dagegen eingelegte Sprungrevision hat das BSG jetzt zurückgewiesen. Der Kläger habe seine vertragsärztlichen Pflichten schuldhaft verletzt. Vertragsärzte müssten während der angegebenen Sprechstunden für die vertragsärztliche Versorgung ihrer Patienten zur Verfügung stehen (sogenannte Präsenzpflicht). Etwas Anderes gelte etwa bei Krankheit oder Urlaub, nicht jedoch bei der Teilnahme an einem "Warnstreik". Dem Kläger stehe kein durch die Verfassung oder die Europäische Menschenrechtskonvention geschütztes "Streikrecht" zu.
Verstoß gegen Konzeption des Vertragsarztrechts
Ein Recht der Vertragsärzte, Forderungen gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen im Weg von "Arbeitskampfmaßnahmen" durchzusetzen, sei mit der gesetzlichen Konzeption des Vertragsarztrechts nicht vereinbar, so das BSG. Der Gesetzgeber habe durch die Ausgestaltung des Vertragsarztrechts die teilweise gegenläufigen Interessen von Krankenkassen und Ärzten zum Ausgleich gebracht, um auf diese Weise eine verlässliche Versorgung der Versicherten zu angemessenen Bedingungen sicherzustellen. Die gemeinsame Selbstverwaltung von Ärzten und Krankenkassen besitze ein hohes Maß an Autonomie bei der Regelung der Einzelheiten der vertragsärztlichen Versorgung. Dementsprechend werde die ärztliche Vergütung zwischen Krankenkassen und Kassenärztlichen Vereinigungen ausgehandelt. Die Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung sei den Kassenärztlichen Vereinigungen als Körperschaften des öffentlichen Rechts übertragen worden. In diesen Sicherstellungsauftrag sei der einzelne Vertragsarzt aufgrund seiner Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung und seiner Mitgliedschaft bei der KÄV eingebunden.
BSG verweist auf Verfahren vor Schiedsämtern
Konflikte mit Krankenkassen um die Höhe der Gesamtvergütung würden in diesem System nicht durch "Streik" oder "Aussperrung" ausgetragen, sondern durch zeitnahe verbindliche Entscheidungen von Schiedsämtern gelöst. Die Rechtmäßigkeit des Schiedsspruchs werde im Streitfall durch unabhängige Gerichte überprüft.