Bankkauffrau im Stress
Manche Arbeitnehmer klagen über Stress oder Burnout im Job, andere umgekehrt über chronische Unterforderung (Boreout). Eine psychische Belastung am Arbeitsplatz kann bei gesundheitlichen Folgen sogar zur Anerkennung als Arbeitsunfall führen, wie das BSG jetzt klargestellt hat. In dem entschiedenen Fall klagt eine Bankkauffrau gegen einen Träger der gesetzlichen Unfallversicherung. Sie war nach einem Streit mit einem Vorgesetzten mit einem Herzstillstand auf ihrem Schreibtischstuhl zusammengebrochen, ein Notarzt konnte sie wiederbeleben. Im Krankenhaus bekam sie gegen die Herzrhythmusstörungen einen Defibrillator eingesetzt.
Widersprüchliche Angaben
Gegenüber der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft gab sie zunächst an, am Tag ihres Kollapses habe "keine besondere arbeitsseitige Belastung" bestanden, doch dann pochte sie auf eine Anerkennung als Arbeitsunfall: Der Tag ihrer Herzattacke sei sehr stressig mit viel Kassengeschäft gewesen. Zudem verwies sie auf ein kontroverses Gespräch mit dem Stellvertreter ihrer Abteilungsleiterin. Sie hatte einen Kollegen in Schutz genommen, bei dem eine Kassendifferenz festgestellt worden war, und wollte eine Meldung an den Gebietsleiter verhindern. Der Vize-Chef sagte jedoch vor dem LSG Schleswig-Holstein aus, zwischen ihm und der Frau seien "unterschiedliche Standpunkte in sachlichem und angemessenen Ton ausgetauscht worden". Dabei habe die Klägerin allerdings sichtlich erregt reagiert. Das Gespräch endete nach seinen Aussagen "unschön, unharmonisch und frostig", aber so etwas sei Alltagsgeschäft im Vertriebsbereich - gerade montags und zum Monatswechsel.
Vorinstanzen lehnen ab
Die Richter in Schleswig wiesen die Klage ebenso wie zuvor das dortige SG ab. Für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls mangele es bereits am Tatbestandsmerkmal eines von außen auf den Körper einwirkenden Ereignisses. Zwar könne auch eine geistig-seelische Einwirkung genügen. Hierfür würden in der Rechtsprechung aber nur Extremsituationen wie Geiselnahmen, Amokläufe, Erleben einer Todesgefahr, versehentliche Tötung eines Kollegen, demütigende Versagenssituationen eines Schülers vor der Klasse, ernsthafte Streitigkeiten mit Vorgesetzten oder extrem belastende Personalgespräche anerkannt. Verbale Differenzen hingegen seien überall anzutreffen - "in jedem Beruf, im Straßenverkehr und im privaten Bereich".
BSG: Intensives Gespräch kann reichen
Das war den Bundesrichtern in Kassel aber nicht genau genug. Für den Unfallbegriff sei nicht konstitutiv, dass ein besonderes, ungewöhnliches Geschehen vorliege, teilten sie nach der mündlichen Verhandlung mit. Vielmehr genüge als von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis auch ein alltäglicher Vorgang. Somit liege ein Unfall auch dann vor, wenn sich durch bloße Wahrnehmungen (Sehen, Hören, Schmecken, Ertasten oder Riechen) der physiologische Zustand des Verletzten ändert. "Ein solches Ereignis hat hier mit dem intensiven Gespräch der Klägerin mit ihrem Vorgesetzten vorgelegen", schreiben die obersten Sozialrichter.
Offene Fragen
Unklar sei allerdings, ob das Gespräch überhaupt im Rahmen der versicherten Tätigkeit der Bankangestellten stattgefunden habe. Eine nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versicherte Tätigkeit erfordere das Vorliegen einer "Verrichtung, deren Ergebnis nicht dem Beschäftigten selbst, sondern dem Unternehmer unmittelbar zum Vor- oder Nachteil gereicht". Das LSG muss demnach noch die konkreten Umstände des Gesprächs ermitteln. Gegebenenfalls soll es zudem klären, ob die Frau davon ausgehen durfte, mit dem Eintreten für ihren Kollegen auch eine Verpflichtung aus dem Beschäftigungsverhältnis zu erfüllen oder unternehmensbezogene Rechte aus ihrem Arbeitsverhältnis wahrzunehmen. Genauer sollen die Richter in Schleswig außerdem feststellen, welche Gesundheitsschäden genau vorlagen. Denn zum einen hätten sie eine Herzrhythmusstörung sowie einen Herzstillstand benannt, andererseits aber einen "plötzlichen Herztod" diskutiert. Dabei sollen sie überdies dem Argument der Bank nachgehen, dass die wesentliche Ursache des Gesundheitsschadens in langjährigen Vorerkrankungen (Tachykardie) und der Einnahme von Medikamenten liege.