Unfall bei Wendemanöver nach Falschabbiegen
Der in F. wohnende Kläger war als Lagerist bei einer Firma in E. beschäftigt, die auch ein Lager in G. unterhielt. Der übliche Arbeitsweg von der Wohnung des Klägers zu diesem Lager führte über zwei Autobahnen bis zur Abfahrt G. und dann über eine Bundesstraße. Am Unfalltag befuhr der Kläger zunächst die beiden Autobahnen bis zur Abfahrt G., bog dann aber aus ungeklärter Ursache in entgegengesetzter Richtung zur Arbeitsstelle auf die Bundesstraße ab und fuhr in diese Richtung etwa 2,5 Kilometer. Sodann führte er ein Wendemanöver auf der vierspurigen Bundesstraße durch, bei dem er mit einem hinter ihm auf der Überholspur fahrenden Pkw zusammenstieß. Bei dem Unfall erlitt der Kläger erhebliche Verletzungen.
Vorinstanzen bejahten Arbeitsunfall
Die Beklagte lehnte die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ab. Der Kläger habe sich auf einem Abweg befunden, weil er die Bundesstraße nicht in Richtung auf seine Arbeitsstätte, sondern in der der Arbeitsstelle entgegengesetzten Richtung befahren habe, ohne dass hierfür betriebliche oder verkehrstechnische Gründe erkennbar gewesen seien. Das SG hob die Bescheide der Beklagten auf und stellte einen Arbeitsunfall fest. Das LSG wies die Berufung der Beklagten zurück. Durch das falsche Abbiegen habe der Kläger bei unveränderter Handlungstendenz keinen unversicherten Abweg angetreten. Die Beklagte legte dagegen Revision ein.
BSG verneint Arbeitsunfall: Unfall ereignete sich auf nicht versichertem Abweg
Die Revision der Beklagten hatte Erfolg. Der Kläger habe keinen in der gesetzlichen Unfallversicherung versicherten Wegeunfall erlitten. Denn er habe sich zum Zeitpunkt des Unfallereignisses nicht auf dem "unmittelbaren Weg" von seiner Wohnung zu seiner Arbeitsstätte (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII) befunden, sondern auf einem Abweg. Durch den in der Vorschrift verwendeten Begriff "unmittelbar" werde klargestellt, dass grundsätzlich nur das Zurücklegen des direkten Weges nach und von der versicherten Tätigkeit unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung steht. Bewege sich der Versicherte nicht auf einem solchen direkten Weg, sondern in entgegengesetzter Richtung von diesem Ziel fort, befinde er sich auf einem Abweg. Werde ein solcher Abweg allein aus eigenwirtschaftlichen Gründen zurückgelegt, bestehe, sobald der direkte Weg verlassen und der Abweg begonnen werde, kein Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung. Erst wenn sich der Versicherte wieder auf dem direkten Weg befinde und der Abweg beendet sei, bestehe wieder Versicherungsschutz.
Versicherungsschutz besteht nur bei irrtümlichen Abweichungen aufgrund von Wegegefahren fort
Laut BSG führt allerdings nicht jedes irrtümliche Abweichen vom direkten Weg zum Verlust des Versicherungsschutzes. Der Senat hält ausdrücklich an seiner Rechtsprechung fest, wonach der Versicherungsschutz bei irrtümlichen Wegeabweichungen erhalten bleibt, wenn diese auf einem Umstand beruhen, der mit der die versicherte Tätigkeit vor- oder nachbereitenden Nutzung des Wegs zusammenhängt. Irrtümliche Abweichungen, die auf äußeren, mit der besonderen Art des Weges verbundenen Gefahren – wie zum Beispiel Dunkelheit, Sichtbehinderung durch Nebel, schlecht beschilderte Wege – beruhten, beendeten den Versicherungsschutz nicht, weil das Verirren in einem solchen Fall aus Umständen folge, die sich gerade aus der äußeren Beschaffenheit des Verkehrsraumes ergäben, den der Versicherte betrieblich veranlasst nutze.
Irrtümliche Abweichungen aufgrund von Umständen in der Person des Versicherten sind eigenwirtschaftlich
Verfahre sich der Versicherte demgegenüber aufgrund von Umständen, die in seiner Person lägen – wie zum Beispiel Unaufmerksamkeit aufgrund angeregter Unterhaltung, Telefonieren während des Fahrens – und sei es deshalb seinem eigenwirtschaftlichen Bereich zuzuordnen, rechtfertige der Schutzzweck der Wegeunfallversicherung eine Einbeziehung des Weges in den Versicherungsschutz nicht, erläutert das BSG weiter. Eine eigenwirtschaftliche Abweichung vom direkten Weg lasse den inneren Zusammenhang zur versicherten Tätigkeit entfallen und führe zum Verlust des Versicherungsschutzes.
Kläger trägt objektive Beweislast für Gründe seiner Wegabweichung
Deshalb sei für die Frage, ob auf einer irrtümlichen Wegabweichung Versicherungsschutz besteht, nicht allein die Handlungstendenz des Versicherten maßgeblich, sondern auch die den Irrtum begründenden Umstände, so das BSG. Nach den bindenden Feststellungen des LSG sei nicht mehr aufklärbar, aus welchen Gründen der Kläger irrtümlich von dem üblicher Weise genutzten direkten Weg abgewichen sei. Die Nichterweislichkeit der für den eingeschlagenen Abweg maßgeblichen Gründe gehe nach den Regeln der objektiven Beweislastverteilung zulasten des Klägers. Da die irrtümliche Nutzung eines objektiv nicht in Richtung der Arbeitsstätte führenden Weges nur unter bestimmten Umständen unter Versicherungsschutz stehe, handele es sich bei diesen Umständen um anspruchsbegründende Tatsachen.