Unangemessene Dauer
Wer eine unangemessene Dauer seines Gerichtsverfahrens erdulden musste, hat Anspruch auf eine Entschädigung nach
§ 198 GVG. Doch die wollte im Streitfall das Jobcenter auf seine Leistungen anrechnen. Geklagt hat eine Frau, die mit ihrem pflegebedürftigen Mann in einer Bedarfsgemeinschaft zusammenlebt. Nach einem 21-monatigen Prozess vor dem
SG Hildesheim um Kosten für Unterkunft und Heizung hatten sie jeweils einen niedrigen vierstelligen Betrag vom Land Niedersachsen für die überlange Verfahrensdauer erhalten. Das
LSG Niedersachsen-Bremen billigte im Gegensatz zur Vorinstanz die Leistungskürzung, weil die GVG-Entschädigung unter keine der Ausnahmen im SGB II für nicht zu berücksichtigendes Einkommen falle.
Wiedergutmachung ist ausgenommen
Die obersten Sozialrichter befanden nun aber, dass eine Entschädigung wegen eines immateriellen Schadens für ein überlanges Gerichtsverfahren nicht als Einkommen bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes II zu berücksichtigen ist. Denn gemäß
§ 11a Absatz 3 Satz 1 SGB II sei sie von der Berücksichtigung des Einkommens bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes II ausgenommen. Dieser besagt: "Leistungen, die aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck erbracht werden, sind nur so weit als Einkommen zu berücksichtigen, als die Leistungen nach diesem Buch im Einzelfall demselben Zweck dienen." Die Zahlung dient aber einem
§ 198 GVG ausdrücklich zu entnehmendem Zweck, wie die Kasseler Bundesrichter befanden - nämlich der Wiedergutmachung der Folgen eines überlangen Verfahrens. Auch sei keine "Zweckidentität" mit den Leistungen nach dem SGB II gegeben. Schließlich sehe dieses für immaterielle Schäden keine Zahlungen vor.
BSG, Urteil vom 11.11.2021 - B 14 AS 15/20 R
Redaktion beck-aktuell, Prof. Dr. Joachim Jahn ist Mitglied der NJW-Schriftleitung, 11. November 2021.