BSG bejaht Anspruch auf Nachzahlungen trotz Wegfalls der Hilfebedürftigkeit

Ein nicht mehr Leistungsberechtigter kann auch nach Wegfall seiner Hilfebedürftigkeit über Anträge nach § 44 SGB X Nachzahlungen für Zeiten des Leistungsbezugs beanspruchen. Dies hat das Bundessozialgericht mit Urteil vom 04.04.2017 entschieden. Eine fortbestehende Hilfebedürftigkeit als zusätzliche Anspruchsvoraussetzung lasse sich den anwendbaren Verfahrensbestimmungen nicht entnehmen, heißt es in der Begründung des Gerichts (Az.: B 4 AS 6/16 R).

Bescheide unstreitig anfänglich rechtswidrig

Die im entschiedenen Fall zu überprüfenden Bescheide aus 2004 und 2005 waren unstreitig anfänglich rechtswidrig im Sinne des § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X, weil der Beklagte bei Erlass der genannten Bescheide unzutreffend davon ausgegangen war, dass nur ein Teil der Kosten der Kläger für deren Unterkunft und Heizung zu übernehmen war.

Fehlentscheidung soll nicht zulasten des Berechtigten gehen

Entgegen der Auffassung des Beklagten sei ein Anspruch der Kläger nicht dadurch ausgeschlossen, dass deren Hilfebedürftigkeit ab Oktober 2010 entfallen ist. Der Senat habe bereits entschieden, dass sich aus dem SGB II keine § 40 Abs. 1 SGB II in Verbindung mit § 44 SGB X verdrängende Besonderheiten ergeben. Solche Besonderheiten, aus denen – auch ohne ausdrückliche Anordnung des Gesetzgebers abzuleiten sein könnte, dass die Rücknahme- und Nachzahlungsansprüche nach § 44 SGB X für bestimmte Sachverhalte (teilweise) eigenständig und abweichend festzulegen sind, habe zur Sozialhilfe zwar der zuständige Achte Senat angenommen. Für das SGB II folge aus der Ausgestaltung des § 40 SGB II indes, dass der Gesetzgeber den Berechtigten im SGB II grundsätzlich so stellen wollte, als hätte die Verwaltung von vornherein richtig entschieden. Dem Hilfebedürftigen sollen diejenigen Leistungen zukommen, die ihm nach materiellem Recht zugestanden hätten.

Gericht verweist auf Besonderheiten für Aufhebung von Verwaltungsakten

Zwar seien die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II im Allgemeinen von einer aktuellen, nicht anderweitig zu beseitigenden Hilfebedürftigkeit abhängig. Anders als die Sozialhilfe nach dem SGB XII würden sie aber nur auf Antrag erbracht und die Bewilligung erfolge für einen Zeitraum von seinerzeit regelmäßig sechs Monaten. Dies verdeutliche, dass eine Bedarfsdeckung nicht nur wegen eines gegenwärtigen, sondern auch wegen eines prognostischen zukünftigen Hilfebedarfs durch eine Dauerleistung stattfindet und insofern bereits normativ eine Einschränkung von dem in der Vergangenheit für die Sozialhilfe vertretenen Konzept einer "Nothilfe" vorliege. Hinzu komme die Bezugnahme nicht auf sozialhilferechtliche Grundsätze, sondern auf die in § 330 SGB III für das Arbeitsförderungsrecht geltenden Besonderheiten für die Aufhebung von Verwaltungsakten, die der Senat als abschließend ansieht.

BSG, Urteil vom 04.04.2017 - B 4 AS 6/16 R

Redaktion beck-aktuell, 6. April 2017.

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