BSG: Allein Gericht entscheidet über Glaubhaftigkeit der Angaben eines Gewaltopfers

Nur das Gericht selbst und nicht ein von ihm gehörter aussagepsychologischer Sachverständiger entscheidet, ob Angaben eines Gewaltopfers zur Tat relativ wahrscheinlicher sind als die Annahme, das von ihm Geschilderte habe so nicht stattgefunden. Das hebt das Bundessozialgericht mit einer Entscheidung vom 15.12.2016 hervor (Az.: B 9 V 3/15 R).

Angebliches Gewaltopfer verlangt vergeblich Opferentschädigung

Die Klägerin hatte geltend gemacht, im September 1989 durch Folter und sexuellen Missbrauch im Kaßberg-Gefängnis in Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz) Opfer einer Gewalttat geworden zu sein. Zehn Jahre später beantragte sie deswegen ohne Erfolg eine Beschädigtenversorgung nach Opferentschädigungsrecht. Ihr Opferentschädigungsantrag blieb auch vor dem Sozialgericht, dem Landessozialgericht und dem BSG erfolglos.

LSG verzichtete auf weiteres aussagepsychologisches Gutachten

Das SG hatte unter anderem zwei aussagepsychologische Begutachtungen der Klägerin veranlasst. Die Sachverständigen fanden Hinweise auf fremd- und autosuggestive Einflüsse in den Aussagen der Klägerin beziehungsweise auf intentionale Täuschung. Das LSG hatte entgegen den bisherigen Vorgaben des Neunten Senats des BSG davon abgesehen, ein weiteres aussagepsychologisches Gutachten über die Frage einzuholen, ob die Angaben der Klägerin zu der von ihr behaupteten Gewalttat als "in hohem Maße wahrscheinlich glaubhaft“ oder "mit relativer Wahrscheinlichkeit glaubhaft“ zu beurteilen seien, sondern dies selbst beurteilt.

LSG: Zutreffende Aussagen durch aussagepsychologisches Gutachten nicht zu erlangen

Die Angaben der Klägerin erschienen danach als nicht ausreichend glaubhaft. Ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff sei nicht nachgewiesen, auch nicht unter Zugrundelegung der besonderen Beweiserleichterungen des sozialen Entschädigungsrechts. Diese lassen insoweit eine gute Möglichkeit ausreichen, dass die Angaben des Opfers zutreffen. Seinen Verzicht auf ein weiteres Gutachten hatte das LSG auf grundsätzliche methodische Erkenntnisse aus weiteren ins Verfahren eingeführten Gutachten gestützt. Danach dienen aussagepsychologische Begutachtungen ausschließlich der Substantiierung des Erlebnisbezugs und der Zuverlässigkeit einer Aussage, nicht hingegen der Erlangung inhaltlich zutreffender Aussagen nach juristischen Beweismaßstäben.

BSG billigt Vorgehen des LSG

Das BSG hat dieses Vorgehen gebilligt. Ein aussagepsychologisches Gutachten sei im sozialen Entschädigungsrecht zulässig und könne für die Rechtsfindung nützlich sein. Allerdings obliege die anschließend umfassende rechtliche Würdigung der vom Sachverständigen bereit gestellten Feststellungen, Erkenntnisse und Schlussfolgerungen allein dem Gericht.

BSG, Urteil vom 15.12.2016 - B 9 V 3/15 R

Redaktion beck-aktuell, 15. Dezember 2016.

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