"Durchhalten macht ohne reelle Wahlchance keinen Sinn“: Warum Brosius-Gersdorf aussteigt
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Nach der geplatzten Wahl zur Verfassungsrichterin wehrte sich Frauke Brosius-Gersdorf öffentlich wiederholt gegen Anwürfe und Unterstellungen. Auch zu ihrem Rückzug wird die Professorin deutlich. Sie kritisiert neben Unionsabgeordneten auch ein Qualitätsmedium scharf. 

Über die von ihr mandatierte Kanzlei Redeker Sellner Dahs hat die Potsdamer Jura-Professorin Frauke Brosius-Gersdorf am Donnerstag erklärt, für die Wahl ans BVerfG nicht mehr zur Verfügung zu stehen. In einer ausführlichen Erklärung, die beck-aktuell hier im Wortlaut veröffentlicht hat, begründet sie ihren Rückzug – und teilt noch einmal heftig aus. 

Es habe deutliche Signale aus der CDU/CSU-Fraktion gegeben, dass ihre Wahl ausgeschlossen sei; Teile der Fraktion hätten sie kategorisch abgelehnt. Sie wolle aber, so die Potsdamer Juristin, auch verhindern, dass das Gesamtpaket für die Richterwahl erneut aufgeschnürt werde, um die anderen beiden Nominierten – Ann-Katrin Kaufhold und Günter Spinner – zu schützen. Auch eine Zuspitzung des Koalitionsstreits wegen der Richterwahl und den Beginn einer Entwicklung, "deren Auswirkungen auf die Demokratie nicht absehbar sind", gelte es zu verhindern, heißt es in dem Schreiben.

"Politik ließ sich von Kampagnen treiben"

Die Wahl der drei Richterinnen und RIchter für das höchste deutsche Gericht war im Juli im Bundestag kurzfristig von der Tagesordnung genommen worden. Teile der Unionsfraktion hatten Vorbehalte gegen die von der SPD nominierte Brosius-Gersdorf. Als Grund wurden unter anderem Äußerungen zum Schwangerschaftsabbruch und zu einer möglichen Impfpflicht in Corona-Zeiten angeführt. Auch meldete sich kurz vor der geplanten Wahl der mittlerweile als sogenannter Plagiatsjäger bekannte Österreicher Stefan Weber mit Fragen zur Dissertation der Staatsrechtlerin zu Wort. Er relativierte seine Aussagen dann zunächst noch am Tag der geplatzten Wahl.

Am vergangenen Montag, mehrere Wochen später, stellte Weber die Doktorarbeit der Potsdamer Verfassungsrechtlerin aber erneut unter Plagiatsverdacht. Es gebe Hinweise darauf, dass Stellen "mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit" von ihrem Ehemann, dem Leipziger Rechtsprofessor Hubertus Gersdorf, verfasst worden seien. Die Universität Hamburg teilte am Montag mit, nun ein Prüfverfahren aufgenommen zu haben. Brosius-Gersdorfs Anwalt, der Äußerungsrechtler Gernot Lehr, sprach von einem "unzutreffenden, haltlosen und ehrverletzenden Vorwurf".

In ihrer Rückzugserklärung kritisierte Brosius-Gersdorf, der Unionsfraktion sei es bis zuletzt nicht gelungen, sich mit ihren Themen und Thesen inhaltlich auseinanderzusetzen. Auch eine Einladung in die Fraktion habe es nicht gegeben. Sie spricht von einer "in sozialen Netzwerken organisierten und zum Teil KI-generierten Desinformations- und Diffamierungskampagne“, die sich zum Parlament Bahn gebrochen habe. Dabei müsse man von Verantwortungsträgerinnen und-trägern in derUnionsfraktion erwarten, "dass Grundlage ihrer Entscheidung nicht ungeprüfte Behauptungen und Stimmungen, sondern Quellen- und Faktenanalysen sind".

Wenn die Politik sich "auch künftig von Kampagnen treiben" lassen würde, droht laut Brosius-Gersdorf eine nachhaltige Beschädigung des Verfahrens der Verfassungsrichterwahl. Die fachliche Kompetenz als zentrales Entscheidungskriterium dürfe nicht von öffentlichen Diskussionen über vermeintliche politische Richtungen oder persönliche Eigenschaften überlagert werden, schreibt die Juraprofessorin und fordert, das Verfahren künftig mit mehr Verantwortungsbewusstsein zu praktizieren.

"Speerspitze eines ehrabschneidenden Journalismus“

In ihrer Deutlichkeit neu ist die Attacke der Professorin gegen ein "Qualitäts- und Leitmedium, das gerade in Juristenkreisen Verbreitung und Wertschätzung genießt". In dessen Politik-Teil seien einzelne Journalisten "Speerspitze" einer ehrabschneidenden Berichterstattung gewesen, schreibt sie. Den Feuilleton-Teil der Zeitung nimmt die Juristin von ihrer Kritik ausdrücklich ebenso aus wie weibliche Beschäftigte des Mediums.

Im Blatt sei das Narrativ einer "ultralinken Aktivistin" geprägt worden, obwohl die Verantwortlichen - teilweise selbst Juristen, wie Brosius-Gersdorf betont – hätten wissen müssen, dass sie ein wirklichkeitsfremdes Zerrbild zeichneten. Der „Kampagnencharakter“ habe sich auch in Artikeln über ihre Position zum Schwangerschaftsabbruch manifestiert.

Nachdem zunächst rechte Medien wie das Portal Nius gegen die Personalie mit Blick auf ihre angeblichen Positionen zum Schwangerschaftsabbruch Stimmung gemacht hatten, stellte Ende Juni die Frankfurter Allgemeine Zeitung im Politikteil die Nominierten für die Bundesverfassungsrichterwahl vor mit dem Hinweis, die Wahl könnte "Folgen für die Rechtsprechung zur Abtreibung" des BVerfG haben. Es folgten diverse Artikel, die sich Positionen von Brosius-Gersdorf - vor allem zum Schwangerschaftsabbruch – primär aus der Sicht kritischer Unionsabgeordneter widmeten. Die "veränderte Berichterstattung im Blatt in der letzten Zeit" könnte aber laut der Juraprofessorin "Ausdruck einer entsprechenden Selbstreflektion sein". 

"Gute Gründe für die Geltung der Menschenwürdegarantie erst ab Geburt"

Den ihr vor allem vorgehaltenen Satz erklärt Brosius-Gersdorf auch in ihrer Rückzugserklärung erneut. Ihre viel zitierte Aussage in Bezug auf die Problematik beim Schwangerschaftsabbruch lautete: "Es gibt gute Gründe dafür, dass die Menschenwürdegarantie erst ab Geburt gilt“. Die nicht abwägungsfähige Menschenwürdegarantie für einen Embryo ab Nidation würde, so die Verfassungsrechtlerin, zu einem unlösbaren Rechtskonflikt mit den Grundrechten der Schwangeren führen, weil ein Schwangerschaftsabbruch dann unter keinen Umständen rechtmäßig wäre, auch nicht bei Gefährdung des Lebens der Frau, so Brosius-Gersdorf.

Doch ein Abbruch bei medizinischer (§ 218a Abs. 2 StGB) und kriminologischer (§ 218a Abs. 3 StGB) Indikation sei nach geltender Rechtslage legal. "Die verfassungsrechtliche Lösung kann denklogisch nur sein, dass entweder die Menschenwürde abwägungsfähig ist oder für das ungeborene Leben nicht gilt."

CDU will gemeinsame Lösung mit der SPD finden

Unionsfraktionschef Jens Spahn, der nach der gescheiterten Wahl erheblich in der Kritik stand, weil er die Abgeordneten nicht hinter der auch im Richterwahlausschuss bereits abgestimmten Kandidatin versammeln konnte, sagte der Deutschen Presse-Agentur nach dem Rückzug von Brosius-Gersdorf, sie genieße "für ihre juristische Expertise und persönliche Integrität (...) zu Recht hohe Anerkennung. Jenseits der sachlichen Auseinandersetzung gab es herabsetzende und beleidigende Kritik, die Frau Professor Brosius-Gersdorf in den letzten Wochen erdulden musste. Diese verurteilen wir ausdrücklich. Das habe ich ihr auch persönlich im Namen der Unionsfraktion gesagt." In Sachen Verfassungsrichterwahl will er nun "eine gemeinsame Lösung" mit der SPD finden.

Die SPD-Fraktion, die Brosius-Gersdorf nominiert und auch nach der gescheiterten Wahl an ihr festgehalten hatte, bedauerte ihren Rückzug und forderte zugleich mehr Verlässlichkeit vom Koalitionspartner ein. "Wir werden als SPD-Bundestagsfraktion einen neuen Vorschlag für eine geeignete Besetzung unterbreiten, weiterhin mit klarer Orientierung an fachlicher Exzellenz", kündigte Fraktionschef Matthias Miersch an. Brosius-Gersdorf sei eine herausragende Juristin, die Ziel einer beispiellosen Kampagne geworden sei. Die Unionsfraktion habe nicht einmal ein persönliches Gespräch mit der Kandidatin ermöglicht. All das hinterlasse Spuren, so Miersch.

"Über die Solidarität von Kolleginnen und Kollegen sehr gefreut“

Spuren hat all das wohl auch bei Frauke Brosius-Gersdorf selbst hinterlassen. Die Professorin hatte schon früher berichtet, sie habe Drohungen und verdächtige Poststücke erhalten. "Ich musste vorsorglich meine Mitarbeitenden bitten, nicht mehr am Lehrstuhl zu arbeiten“, sagte die Juristin im ZDF. Die Berichterstattung über die Verfassungsrichterwahl und ihre Person sei "nicht spurlos an mir vorbei gegangen, nicht an mir, nicht an meinem Mann, an meiner Familie, meinem gesamten sozialen Umfeld.“

In ihrer Rückzugserklärung dankte die Juraprofessorin nicht nur der SPD, die an ihrer Seite gestanden habe, sowie den Grünen und der Bundestagsfraktion Die Linke, deren Stimmen im Bundestag für eine Zwei-Drittel-Mehrheit rechnerisch nötig würden, wenn Union und SPD für die Richterwahl nicht auf die AfD angewiesen sein wollen. "Sehr gefreut" habe sie auch die Solidarität von Kolleginnen und Kollegen. Tausende von Mails aus allen Teilen der Gesellschaft im In- und Ausland, die ihr auf sehr persönliche Weise zugesprochen und beigestanden hätten, hätten sie besonders berührt.

"Mein Verzicht auf die Wahl als Richterin des Bundesverfassungsgerichts wird viele Menschen enttäuschen, die mir geschrieben und mich – bis zuletzt – zum Durchhalten aufgefordert haben, weil sich unsachliche und diffamierende Kampagnen nicht durchsetzen dürfen. Durchhalten macht aber nur Sinn, wenn es eine reelle Wahlchance gibt, die leider nicht mehr existiert."

Redaktion beck-aktuell, Pia Lorenz, 7. August 2025 (ergänzt durch Material der dpa).

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