Es sei "ein ernstzunehmendes Warnsignal", erklärt Andreas Knecht in einer Pressemitteilung. Der stellvertretende Vorsitzende der 2023 gegründeten Referendariatskommission (RefKo) des Bundesverbands rechtswissenschaftlicher Fachschaften (BRF) bezieht sich damit auf die Ergebnisse einer Umfrage zum psychischen Druck im Vorbereitungsdienst.
Danach leiden beinahe alle befragten Referendarinnen und Referendare unter seelischer Belastung, die sich zum Teil auch in körperlichen Symptomen äußert und bei mehr als einem Viertel der angehenden Volljuristinnen und -juristen den Wunsch weckt, das Referendariat vorzeitig abzubrechen. Der Hauptgrund für diesen Befund sei eine Kombination aus Prüfungsdruck, Geldsorgen und mangelnder Unterstützung im Referendariat, heißt es in der Pressemitteilung.
Ziel der Umfrage ist es laut RefKo gewesen, zu erfassen, ob psychischer Druck im juristischen Vorbereitungsdienst empfunden wird, welche Ursachen und Ausmaße er hat und wie er sich konkret auswirkt. Zudem sollten belastbare Zahlen für den Vorbereitungsdienst erhoben werden. Für den BRF belegen die Umfrageergebnisse einen dringenden Reformbedarf beim Vorbereitungsdienst. An der nicht repräsentativen Umfrage haben knapp 700 Referendarinnen und Referendare teilgenommen.
Seelische Belastungsprobe Referendariat
Dass unter den Teilnehmenden an einer Umfrage zur psychischen Belastung im Referendariat wahrscheinlich viele Menschen sind, die das Referendariat als belastend empfinden, darauf weist auch der BRF in seinem nun veröffentlichten Ergebnisbericht hin. Dennoch sprächen die Zahlen eine deutliche Sprache: 91,8% der Befragten gaben an, unter erheblichem psychischen Druck zu stehen. Zum Vergleich: Eine Stressstudie der Techniker Krankenkasse aus dem Jahr 2021 hatte ergeben, dass in der vergleichbaren Altersgruppe von 18 bis 29 Jahren 78% der Befragten angaben, zumindest gelegentlich unter Stress zu stehen.
Die Umfrage der RefKo zeigt auch, dass Frauen (96,8%) eher belastet sind als Männer (83,1%). Die familiäre Herkunft – insbesondere, ob mindestens ein Elternteil einen juristischen Beruf ausübt – hatte dagegen kaum Einfluss auf die empfundene Belastung. Insgesamt haben laut Umfrage 27,4% der Befragten ernsthaft über einen vorzeitigen Abbruch des Referendariats nachgedacht.
Das Examen als Damoklesschwert
Als Grund für den Stress nannten die meisten Befragten Mehrfachbelastung (33,7%), aber auch Prüfungs- und Zeitdruck (24,1% bzw. 23,4%). Auch die Tatsache, dass sehr viel von der Examensnote abhängt, verursacht bei vielen Befragten Versagens- und Zukunftsängste.
Doch die Referendarinnen und Referendare nannten auch strukturelle Probleme als Stressoren, etwa die schlechte Bezahlung im Referendariat (11,3%) und mangelhafte Organisation des juristischen Vorbereitungsdienstes (10,2%). "Mich stresst am meisten, dass die Sinnhaftigkeit des 2. Examens fehlt: Arbeitsmarktintegration gelingt nicht durch ein theoretisches Examen, sondern allein durch Überprüfung meiner praktischen Tätigkeit", schreibt etwa eine teilnehmende Person im Freitextfeld.
Schließlich waren die angehenden Volljuristinnen und -juristen auch nach den (körperlichen) Auswirkungen der psychischen Belastung gefragt worden. Hier nannten die an der Umfrage Teilnehmenden eine Vielzahl von Beschwerden, die sie auf den Druck im Referendariat zurückführen. Am häufigsten (40%) gaben sie an, an Schlafproblemen zu leiden. Aber auch Symptome wie Depressionen (knapp 10%) und Angstzustände (16%) bis hin zu Panikattacken (8%) waren vertreten. Seltener waren Erschöpfung mit 7%, Konzentrationsschwierigkeiten mit 6%, Essstörungen und sozialer Rückzug (beide etwa 5%).
Mit den Problemen allein (gelassen)?
"Ich habe mich sehr zurückgezogen und keinen Kontakt zu meinen Kolleg:innen in der Freizeit gehabt. Ich wollte mich dem ständigen Vergleich entziehen, der mich sehr gestresst hat. Dabei habe ich mich auch einsam gefühlt." Auch das schreibt eine Person im Freifeld. Ein Teil der Befragung bezog sich nämlich auch auf den Umgang der Referendarinnen und Referendare mit dem psychischen Druck sowie mit Unterstützungsangeboten.
Dabei zeigt sich, dass die wenigsten (12%) die Möglichkeit sehen, ihre Belastungen gegenüber Ausbildenden oder Verantwortlichen äußern zu können. Als Grund wurde unter anderem die Angst genannt, als schwach zu gelten oder nicht ernst genommen zu werden. Von anderweitigen Unterstützungsangeboten, wie Beratungsstellen, Ombudspersonen oder Personalräten, wussten nur 4,5% der Befragten.
Immerhin 41% gaben an, mit Kommilitoninnen und Kommilitonen über ihre Situation sprechen zu können, was aber nicht unbedingt dazu beitrage, dass sich die Belastungssituation entspanne: "Nahezu jede zweite Person hat von Burnout gesprochen und in der Zukunft erst mal nichts Juristisches mehr machen zu wollen. Eine Person hat eine Bademeisterrinnenausbildung angefangen, mehrere sind zurück zum Kellnern", heißt es von einer teilnehmenden Person.
Für die Initiatoren der Umfrage liegt hier ein besonderes Problem, denn: "die fast einhellige Beobachtung der Belastung bei anderen birgt die Gefahr einer Normalisierung", heißt es vom BRF. "Der Druck könnte als unvermeidlicher Teil der Ausbildung hingenommen werden, wodurch die Hemmschwelle steigt, über eigene Schwierigkeiten zu sprechen oder Unterstützung in Anspruch zu nehmen."
Referendare wollen bessere AGs und offizielle "Tauchstation"
Gefragt nach dem Reformbedarf im Referendariat, antworteten knapp 84% den Befragten mit "ja". Mehr als die Hälfte (57%) stuft den Reformbedarf sogar als sehr hoch ein. Konkrete Ideen, wie die psychische Belastung im Referendariat gesenkt werden könnte, hatten die Teilnehmenden auch.
Knapp jeder Fünfte wünschte sich weniger Prüfungsstoff, etwa jede Dritte will bessere AGs mit kompetenten Leitungen und etwa 15% nannten die Einführung einer offiziellen "Tauchstation" zum Lernen in den letzten Monaten vor dem Examen, also die Schaffung von Freiräumen zur intensiven Prüfungsvorbereitung. Eine Erhöhung der Unterhaltsbeihilfe sowie die verdeckte Zweitkorrektur im Examen wurden ebenfalls genannt. Dazu schrieb eine teilnehmende Person: "Mehrere Beispiele haben aufgezeigt, dass die Benotung der Klausuren vorrangig subjektiv ist (…). Es gibt kaum objektive Kriterien, die Lösungsskizzen und Anforderungen sind teilweise realitätsfern."
BRF pocht auf Reformen
Für den Fachschaftsverband zeigen die Umfrageergebnisse eindeutig, dass es an der Zeit ist, zu handeln: "Der juristische Vorbereitungsdienst darf nicht krank machen", heißt es von den Machern der Umfrage. "Dies ist nicht nur eine Frage des fairen Umgangs mit zukünftigen Jurist:innen, sondern auch im staatlichen Interesse: Ein Rechtsstaat und eine funktionierende Justiz erfordert gesunde Nachwuchskräfte."
Der BRF nutzt die Gelegenheit, um konkrete Forderungen zu stellen. "Es ist höchste Zeit, dass die Politik Verantwortung übernimmt – für eine Ausbildung, die nicht krank macht", heißt es von Justine Börngen, Referentin und Vorsitzende a.D. der RefKo. "Wer über Monate hinweg zwischen Stationsarbeit, Prüfungsvorbereitung und finanzieller Unsicherheit jongliert, braucht mehr als Durchhalteparolen." Deshalb fordert der Verband nicht nur eine Erhöhung der Unterhaltsbeihilfe, sondern möchte auch, dass die letzten Monate vor der Examensprüfung offiziell nur zum Lernen verwendet werden dürfen. Schließlich solle die Einführung einer verdeckten Zweitkorrektur eine objektivere Bewertung sicherstellen, so der Verband.
Andreas Knecht erklärt: "Die Ergebnisse zeigen deutlich: Der psychische Druck im Referendariat ist kein individuelles Problem, sondern ein strukturelles. Wenn rund 40% der Teilnehmenden über Schlafstörungen und viele weitere über Angstzustände oder depressive Verstimmungen berichten, ist das ein ernstzunehmendes Warnsignal. Die Mehrfachbelastung durch Ausbildung, Prüfungsdruck und finanzielle Sorgen verdeutlicht den dringenden Reformbedarf des Referendariats."