BRAK sieht geplante Beschleunigung im Infrastrukturbereich skeptisch

Die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) hat zu einem Referentenentwurf für ein Gesetz Stellung genommen, das es sich zum Ziel gesetzt hat, verwaltungsgerichtliche Verfahren für Infrastrukturprojekte, wie zum Beispiel Windräder oder Stromtrassen, zu beschleunigen. Zwar teile man die Einschätzung, dass Verfahren für umweltrechtliche Großvorhaben zum Teil zu lange dauern, so die Anwaltskammer. Skeptisch sei man aber, ob das Problem durch weitere Änderungen des Prozessrechts substanziell gelöst werden könne. Die BRAK verweist in diesem Zusammenhang auf die zahlreichen Beschleunigungsbemühungen des Gesetzgebers in der Vergangenheit.

Verzögerungen materiell-rechtlich bedingt

So beschränkten sich die Beschleunigungsbemühungen des Gesetzgebers vielfach auf Verkürzungen der Rechtsschutzmöglichkeiten Betroffener, während die Gründe für den Zeitbedarf in Zulassungsverfahren für umweltrelevante Großvorhaben anerkanntermaßen im materiellen Recht, insbesondere im europäischen Umweltrecht, lägen, gab die BRAK unter anderem zu bedenken. So sehr die Kammer Überlegungen nach einer weiteren Beschleunigung von Großvorhaben insbesondere vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Lage und der Sorge um die Versorgungssicherheit in Deutschland unterstütze, so sehr bestehe die Sorge, dass erneut Rechtsschutzmöglichkeiten Betroffener verkürzt werden, heißt es in der Stellungnahme weiter. Verfahrensverzögerungen stammten aber nicht aus der gerichtlichen Sphäre, sondern beruhten auf Anforderungen des materiellen Rechts.

Einschränkungen bei Rechtsschutz kritisiert

Die BRAK verweist dazu auf § 80c und § 87c VwGO-E, die auf Verfahren nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 15 VwGO verweisen. In diesem Zusammenhang werde zur Begründung des Entwurfs an mehreren Stellen – von "besonders bedeutsame Infrastrukturvorhaben" gesprochen. Dem sei zu widersprechen, so die BRAK: Denn nicht jedes Straßenbau-, Schienenwegebau- oder Wasserwegebauvorhaben, nicht jede Änderung eines Verkehrsflughafens, nicht jedes wasserrechtliche Planfeststellungsvorhaben und nicht jedes bergrechtliche Zulassungsverfahren sei – selbst wenn es erstinstanzlich dem Oberverwaltungsgeericht  beziehungsweise Verwaltungsgerichtshof zugewiesen ist – so bedeutsam, als dass damit die für die Rechtsbetroffenen verbundenen über die ohnehin schon bestehenden Einschränkungen von Rechtsschutzmöglichkeiten weitergehenden Einschränkungen gerechtfertigt erscheinen.

Überlastung des BVerwG befürchtet

Auch mit Blick auf § 50 Abs. 1 VwGO-E äußerte die Anwaltskammer Bedenken – und das nicht nur wegen verfassungsrechtlicher Einwände gegen eine weitere Ausdehnung der erst- und letztinstanzlichen Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts, die auf Ausnahmefälle – gegebenenfalls zeitlich befristet – beschränkt werden sollte. Auch seien die Kapazitäten des obersten Verwaltungsgerichts als "Ersatz-Erstinstanz" wegen der damit über die Aufgaben einer Revisionsinstanz hinausgehenden Aufgaben, etwa bei der Sachverhaltsermittlung und häufig umfangreichen Beweisaufnahmen, erschöpft. Ohne weitere personelle Ausstattung werde die Hoffnung auf eine Verfahrensbeschleunigung durch nur eine Instanz beim BVerwG aus Sicht der BRAK "verpuffen".

§ 80c Abs. 1 und 2 VwGO-E zu unbestimmt

Ferner hält die BRAK § 80c Abs. 1 und 2 VwGO-E für zu unbestimmt. Dieser bürde damit Antragstellerinnen und Antragstellern nicht absehbare Kostenrisiken auf. Denn die Aufzählung der Mängel, die das Gericht im einstweiligen Rechtsschutzverfahren "außer Acht" lassen dürfte, sei nicht bestimmt. Hier werde weder zwischen Abwägungsvorgang und Abwägungsergebnis noch nach Schwere und Auswirkungen des Fehlers unterschieden. Erfasst würden – auch wegen der nur beispielhaften Aufzählung der Mängel in § 80c Abs. 2 Satz 2 VwGO-E ("insbesondere"), die "außer Acht" gelassen werden dürfen – sämtliche Rechtsfehler.

Prognoseregelung nicht hilfreich

Das solle zwar nur dann geschehen dürfen, wenn "offensichtlich" ist, dass diese Mängel "in absehbarer Zeit" behoben sein werden. Die dafür erforderliche Prognose dürfte sich aber laut BRAK auf die Fälle beschränken, in denen – so die Begründung des Vorschlags – die Behörde bereits ein ergänzendes Verfahren zur Behebung des Mangelverfahrens eingeleitet habe. Ist dies nicht der Fall, habe das Gericht eine Prognose dahingehend zu treffen, dass Mängel "in absehbarer Zeit offensichtlich behoben sein werden". Das setze voraus, dass das Gericht verlässlich absehen kann ("offensichtlich ist"), dass festgestellte Mängel überhaupt geheilt werden können, und dies auch in absehbarer Zeit geschehen werde, so die BRAK.

Abschreckung vor Inanspruchnahme von Eilrechtsschutz

Bei Abwägungsfehlern komme hinzu, dass das Gericht eine Abwägungsentscheidung prognostizieren müsste, die nicht ihm, sondern ausschließlich der Behörde obliegt. Laut Einschätzung der Rechtsanwaltskammer würde die Vorschrift daher eher dazu führen, Rechtsbetroffene von ihren Rechtsschutzmöglichkeiten abzuhalten, weil der Ausgang einstweiliger Rechtsschutzverfahren nicht mehr vorhergesehen werden könne. Hinzu komme, dass die Vorschrift (§ 80c Abs. 2 Sätze 3 und 4 VwGO-E) wohl so zu verstehen sei, dass es zu einer Aussetzung der Vollziehung nur dann kommen soll, wenn das Gericht eine Frist zur Behebung des Mangels setzt, was es nicht tun muss ("kann"). Welche Folge es für den Rechtsschutzsuchenden habe, wenn keine Frist gesetzt wird, bleibt offen.

Kostenfolge bleibt offen

Offen ist nach Ansicht der BRAK auch die Kostenfolge. Die Entwurfsbegründung verweise insofern – neben der Möglichkeit beidseitiger Erledigungserklärungen und der sich daraus ergebenden Kostenfolge (§ 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO) – darauf, dass mit einer Erledigungserklärung sowie dem Übergang auf einen Fortsetzungsfeststellungsantrag in der VwGO Instrumente existierten, um das Risiko des Klägers, die (volle) Kostenlast nach der Behebung des Mangels zu tragen, abzufedern. Auch dies ist laut BRAK bedenklich. Denn ein Fortsetzungsfeststellungsantrag in entsprechender Anwendung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO – sollte das gemeint sein – sei nach der Rechtsprechung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens grundsätzlich unzulässig.

Kostenrisiko bleibt zulasten der Rechtsschutzsuchenden offen

Bei der einseitig erklärten Erledigung gehe es vielmehr um Folgen nachträglich außerhalb des gerichtlichen Verfahrens eingetretener Ereignisse für das gerichtliche Verfahren. Durch die Regelung des § 80c VwGOE werde einem Rechtsschutzbegehren aber nicht durch ein nachträgliches außerhalb des gerichtlichen Verfahrens liegendes Ereignis die Grundlage entzogen. Vielmehr werde die Überprüfungsbefugnis des Gerichts im Verfahren beschränkt. Das Kostenrisiko bleibe somit zulasten der Rechtsschutzsuchenden offen und eine verantwortungsvolle Beratung durch einen Rechtsanwalt müsste im Zweifel von der Einleitung eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens abraten.

Regelung zu aufschiebender Wirkung entbehrlich

Des weiteren hält die BRAK die Regelungen in § 80c Abs. 3 und 4 VwGO-E für entbehrlich: Bereits heute – das betrifft § 80c Abs. 3 VwGO-E – bestehe nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die Möglichkeit, die aufschiebende Wirkung nur "teilweise" – etwa zugunsten der Rechte des Rechtsmittelführers – anordnen zu können. Den Gerichten sei es bereits heute unbenommen, die in der Begründung des Entwurfs beispielhaft aufgeführten Wertungen des Gesetzgebers im NABEG, EnLAG und im LNGG, dass diese Vorhaben im überragenden öffentlichen Interesse liegen, in der Vollzugsfolgenabwägung zu berücksichtigen. Einer besonderen Regelung in § 80c Abs. 4 VwGO bedürfe es daher nicht.

Materielle Präklusion "light" durch die Hintertür?

Hier verweist die BRAK auf § 87b Abs. 4 VwGO-E und die durch Art. 2 Nr. 1 vorgeschlagene Erweiterung des § 43e EnWG durch einen neuen Abs. 3, der § 6 UmwRG nachgebildet ist und auch für Änderungen im Anzeigeverfahren nach § 43f EnWG und § 25 NABEG und für Veränderungssperren nach § 16 NABEG gelten soll. Mit § 87b Abs. 4 VwGO-E werde die prozessuale Präklusion des § 87b VwGO für die genannten Vorhaben insofern verschärft, als es auf eine Verzögerung des Verfahrens (anders, als nach § 87b Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO) nicht mehr ankommen und dem Gericht kein Ermessen mehr zustehen soll. Der Vorschrift sei zugute zu halten, so die BRAK, dass zumindest über die Folgen einer Fristversäumnis belehrt werden muss, was bei § 43e EnWG und § 6 UmwRG nicht der Fall sei. Ob es dadurch allerdings zu einer Beschleunigung kommen wird, sei zweifelhaft.

Klagebegründungsfrist zu kurz

Die an § 6 UmwRG angelehnte Regelung in § 43e Abs. 3 EnWG-E lehnt die BRAK ab. Vor allem in Verfahren, in denen Betroffene im Verwaltungsverfahren anwaltlich nicht vertreten waren und umfangreiche Antragsunterlagen und gutachtliche Stellungnahmen angefallen sind, die gesichtet werden müssen, könne erst nach Kenntnis der Aktenlage substantiiert vorgetragen werden. Das könne erst erfolgen, wenn dem Rechtsanwalt Akteneinsicht gewährt wurde und die im Verfahren angefallenen Behördenunterlagen zur Verfügung stehen, was in umweltrelevanten Großverfahren wegen des Umfangs der angefallenen Behördenunterlagen nicht nur Tage, sondern Wochen dauern kann. Dabei soll – legt man die Vorschriften eng aus – von der Zehnwöchigen Klagebegründungsfrist, die ohnehin zu kurz bemessen ist, abgegangen werden. Hinzu komme, so die BRAK, dass keine Verpflichtung besteht, den Kläger auf die Klagebegründungsfrist des § 43e EnWG (und die des § 6 UmwRG) hinzuweisen. Dies ist aus Sicht der BRAK nicht förderlich, für die geplanten Vorhaben in der Bevölkerung für mehr Akzeptanz zu sorgen, sondern könnte bei Betroffenen den Eindruck erwecken, es gehe um Verfahrensbeschleunigung durch Klageverhinderung.

Vorschrift zu frühem Erörterungstermin nicht förderlich

Die BRAK ist ferner skeptisch gegenüber dem Vorschlag, für die genannten Verfahren durch eine "Soll-Regelung" (§ 87c Abs. 2 VwGO-E) einen frühen Erörterungstermin vorzuschreiben. Diese Möglichkeit hätten die Gerichte im Rahmen ihres Verfahrensermessens bereits heute und ein solcher früher Erörterungstermin für Planungs- und Genehmigungsverfahren erscheine nur sinnvoll, wenn es gleichzeitig durch eine personelle und technische Aufrüstung der Gerichte nicht deswegen zu einem Stau in anderen anhängigen Verfahren kommt, für die ein früher Erörterungstermin nicht vorgeschrieben werde.

Gsetzliche Regelung von besonderen Kammern nicht notwendig

Auch eine Änderung des erst vor Kurzem eingefügten § 188b VwGO in eine "Soll-Verpflichtung" (§ 188b VwGO-E), dass für Angelegenheiten des Planungsrechts besondere Kammern oder Senate gebildet werden (sollen), hält die BRAK für entbehrlich. Die Möglichkeit bestehe bereits nach § 188b VwGO und könne unabhängig davon von den Gerichten durch organisatorische Maßnahmen geregelt werden. Eine gesetzliche Regelung sei daher entbehrlich, so die Bundesrechtsanwaltskammer abschließend.

Gitta Kharraz, 14. September 2022.